Smartphone vor Lenkrad

Das Auto soll in Sachen Architektur, Bedienung und Updatefähigkeit wie ein Smartphone funktionieren - leichter gesagt als getan. (Bild: Adobe Stock/Tomasz Zajda)

Das Fahrzeug von morgen wird zum Smartphone auf Rädern. Die Analogie zum erfolgreichsten Produkt der Consumer-Electronics-Branche der vergangenen zwei Dekaden hat sich in den vergangenen Jahren in der Automobilindustrie als nahezu unhinterfragtes Zielbild festgesetzt. Die neuerlichen Bemühungen der Autohersteller, ein einheitliches, hardwareübergreifendes Softwarebetriebssystem zu entwickeln, auf dem Funktionsapplikationen aus den Bereichen automatisiertes Fahren, Vernetzung oder Infotainment aufsetzen, verdeutlichen, wohin die Reise geht: das Connected Car als ein weiteres Endgerät im Internet der Dinge.

Wie Auto und Smartphone sich unterscheiden

Doch der Vergleich mit dem Smartphone hinkt. „Vieles an der Metapher ist wahr, beispielsweise was die Erwartung einer reibungslosen User Experience im Hinblick auf die Bedienung des Infotainments über Apps oder die Updatefähigkeit betrifft“, sagt Elektrobit-CEO Maria Anhalt auf dem Connected-Car-Innovation-Summit 2021. „Doch es gibt auch wesentliche Unterschiede: Die Komplexität und die Rechenleistungen, die es zum Beispiel für anspruchsvolle ADAS-Funktionen braucht, sind viel höher, und letztlich sind die Anforderungen an das Thema Sicherheit logischerweise ganz andere – denn hier geht es am Ende des Tages um Menschenleben.“

Ein weiterer Unterschied zum Smartphone: Die Elektronikarchitektur (E/E), die bislang in Fahrzeuge verbaut wurde, besteht aus mehreren hundert dezentralisierten Steuergeräten, die mit Embedded Software ausgestattet sind, die sehr stark mit im Auto eingebauter Hardware verschmolzen ist und sich daher nur schwerlich aktualisieren und standardisieren lässt. So fehlt es an einer einheitlichen Sprache zwischen Funktionen und Services des Fahrzeugs und der Hardware.

Wie viel kann die Autoindustrie mit Software verdienen?

Die softwarebasierte Wertschöpfung rückt für die Automobilindustrie immer stärker in den Fokus. Kein Wunder, schaut man sich die Umsatzpotenziale an: Laut einer aktuellen Studie des Beratungsunternehmens Capgemini wird sich der Umsatzanteil mit softwarebasierten Features und Services (Bsp. Konnektivität, OTA-Updates, Infotainment) bei den Autoherstellern in den kommenden zehn Jahren von derzeit etwa acht Prozent (181 Milliarden US-Dollar) auf 22 Prozent (640 Milliarden US-Dollar) mehr als verdreifachen. Dagegen sinken die Fahrzeugumsätze anteilig von heute 73 Prozent auf 64 Prozent im Jahr 2031. Eine Triebfeder dieser Entwicklung wird laut Studie der Anteil der Neufahrzeuge pro OEM sein, die auf einer einheitlichen Softwareplattform betrieben werden. Den Befragten zufolge wächst dieser im Durschnitt von heute sieben Prozent auf 35 Prozent in zehn Jahren. Momentan gäben Hersteller durchschnittlich 2,2 Prozent der Umsätze pro Jahr für die softwaregetriebene Transformation aus, so die Analysten von Capgemini. 

OEMs müssen Kostendruck beherrschbar machen

Die Ambitionen vor allem der deutschen Hersteller, Software losgelöst von Hardware zu betrachten und Funktionsapplikationen künftig über APIs und Software Development Kits (SDK) auf einem einheitlichen Betriebssystem zu entwickeln, könnte das Auto also näher an die einfache Architektur eines Smartphones rücken. „Es ist enorm wichtig für die OEMs, den Bereich Softwarebetriebssystem zu beherrschen, den Kostendruck zu senken und über die Skalierung entsprechender Plattformen möglichst viele Funktionen und Funktionsprovider bis hin zur Cloudanbindung zu integrieren“, betont Anhalt.

In der Tat werden mit einem klüger werdenden Auto auch die Kosten in der Entwicklung steigen: Laut einer Studie der Berater von Berylls liegen die Ausgaben für die E/E-Entwicklung inklusive Software in der Autoindustrie im Jahr 2030 bei etwa 39 Milliarden Euro beziehungsweise 40 Prozent der Gesamtentwicklungskosten – im Jahr 2019 lag der Anteil bei gut einem Drittel.

Auf welche Software sollten sich Hersteller konzentrieren?

Um die Kosten und den Aufwand für die Softwareentwicklung nicht ausufern zu lassen, wird es daher in besonderem Maße darauf ankommen, welche Bereiche der Fahrzeugsoftware künftig komplett inhouse oder zusammen mit Partnern entwickelt oder weiterhin von Tier-1-Zulieferern und Technologieanbietern zugekauft werden. „Wir stehen beim Software-defined Car vor einer echten Revolution, beim Blick auf die Wertschöpfung jedoch noch ganz am Anfang. Die Komplexität wird uns überwältigen, wenn wir nicht zusammenarbeiten“, sagte Alois Knoll, der an der TU München den Lehrstuhl für Robotik, künstliche Intelligenz und Echtzeitsysteme leitet, auf dem CCI-Summit. Er ist mit Elektrobit-Chefin Maria Anhalt einig, dass sich Hersteller wie VW oder Daimler, die auf einen hohen Eigenanteil bei der Softwareentwicklung setzen, zuallererst die Frage stellen sollten, welche Software wirklich wettbewerbsdifferenzierend ist.

„Viele der etablierten OEMs haben beim Thema Software ein Kompetenz- und letztlich auch ein Mentalitätsproblem. Deswegen ist es meiner Ansicht nach so wichtig, dass man sich vor allem im Bereich der nicht-wettbewerbsdifferenzierenden Software mit Partnern an einen Tisch setzt.“ Denn auch im zunehmend vernetzten und autonom fahrenden Auto von morgen wird ein erheblicher Anteil der Fahrzeugsoftware, beispielsweise bei der Middleware, von Tech-Providern zugeliefert werden. „Hier wird es in Zukunft zu weiterer Standardisierung kommen, so dass die OEMs in diesem Bereich der Fahrzeugarchitektur deutlich einfacher skalieren und so erhebliche Kosteneinsparungen einfahren können“, meint auch Maria Anhalt.

Darüber hinaus können die Hersteller, die eigene Betriebssysteme federführend implementieren wollen, auf die Expertise und die Cloudinfrastruktur etwa von Google oder AWS setzen. „Selbstentwickelte Betriebssysteme auf dem neuesten Stand zu halten wird enorme Kosten verursachen. Mit zunehmender Komplexität wird es immer mehr Personal brauchen, das Updates für bestehende Systeme nachentwickelt“, betont Experte Alois Knoll. Und er stellt klar: „Aufseiten der deutschen Industrie wird unterschätzt, was es bedeutet, ein Softwarebetriebssystem am Leben zu halten.“

Sie möchten gerne weiterlesen?