Herbert Diess

Volkswagen-Chef Herbert Diess geht davon aus, dass sich in den kommenden zehn Jahren die großen Gewinn- und Umsatztöpfe vor allem bei Software auftun werden. (Bild: Volkswagen)

Wenn Automobilmanager über die Mobilität der Zukunft reden, geraten sie fast immer ins Schwärmen. „Voll digital“ und „vernetzt“ werden die Vehikel in einigen Jahren unterwegs sein. Alles wird komfortabel und einfach, angefangen vom autonomen Fahren bis hin zum Reisen von A nach B. Für die Menschen heißt es nur noch einsteigen und genießen. Außerdem wollen die OEMs noch eine Transformation vom Autobauer zum Mobilitätsanbieter hinlegen, um auch in Zukunft Geld zu verdienen.

„Bis 2030 wird der Markt für Mobilitätsdienstleistungen voraussichtlich von heute unter zehn Milliarden US-Dollar auf über 100 Milliarden US-Dollar anwachsen“, prognostiziert VW-Konzernchef Herbert Diess bei der Vorstellung der neuen Konzernstrategie New Auto und geht dann ins Detail: „Für unsere Geschäftsmodelle bedeutet dies, dass sich unsere Umsatz- und Gewinnpools bis 2030 schrittweise verschieben werden. Zunächst vom Verbrenner zum Elektroauto, später, wenn das autonome Fahren zusätzliche Umsätze bietet, zu Software und Diensten.“ Dieses Geschäftsmodell bedingt tiefgreifende Veränderungen für BMW, Volkswagen & Co. Die Frage ist nur, ob man sich das Bett „mit dem Teufel teilen will“, wie es ein Manager eines britischen Automobilherstellers einmal bezeichnet hat.

Warum es bei Software ohne Tech-Player nicht geht

Der Beelzebub, wenn man denn diesen martialischen Duktus verwenden will, sind Hightech-Unternehmen wie Google oder Apple, bei deren Geschäftsmodell es um Daten und Software geht. Ohne Tech-Player wird es die schöne neue Welt der vernetzten Autos nicht geben. Daher arbeiten viele Automobil-OEMs schon mit diesen Unternehmen zusammen, die Frage ist nur, wie hoch man die Decke der Schlafstätte lupfen will. „Während die großen Konzerne zwar über Budgets und vielfach auch über passende Kompetenzen verfügen, ist der Faktor Zeit für alle eine nahezu unüberwindbare Hürde. Die Systeme werden schließlich eher heute und nicht erst in drei oder vier Jahren benötigt. So lange dauert es, ein Vehicle.OS zu entwickeln. Hier ist die Kooperation mit neuen Playern der Königsweg, um diese Entwicklung zu beschleunigen“, erklärt Jan Becker, CEO und Gründer von Apex.AI, dessen Unternehmen Softwaredienstleistungen in diesem Bereich anbietet.

Während McLaren bei der Navigation lediglich auf Google Maps zurückgreift, setzt die Volvo-Tochter Polestar auf Android Automotive, also die Gesamtlösung. Auch Ford holt das große „G“ in seine Autos, denn die „Pflaumenmarke“ ist Anfang dieses Jahres eine Partnerschaft mit Google eingegangen, die zunächst für sechs Jahre anberaumt ist. Diese Kooperation soll dem amerikanischen Autobauer helfen, Geld einzusparen, das bislang in die Entwicklung der Konnektivität und cloudbasierten Funktionalitäten geflossen ist.

Der Vertrag sieht vor, dass Ford- und Lincoln-Modelle ab 2023 Dienste wie Google Assistant, Google Maps und Google Play nutzen werden. „Partnerschaften sind ein wichtiger Teil unserer Strategie“, erklärt Ford-CEO Jim Farley und ergänzt: „Wir haben jedes Jahr hunderte Millionen Dollar ausgeben, um Produkte zu schaffen, die nicht mit unseren Handys mithalten konnten.“ Der finanzielle Druck steigt weiter, nicht jeder Automobilhersteller wird in der Lage sein, sich teure Eigenentwicklungen zu leisten.

Das Marken-Konglomerat Stellantis geht einen ähnlichen Weg und hat sich den chinesischen Auftragsfertiger Foxconn, der auch schon von Apple engagiert wurde, ins Boot geholt, um verlorenen Boden beim Infotainment gutzumachen. Wenn die Augenhöhe mit den anderen Marken erreicht ist, soll das Joint Venture mit dem verheißungsvollen Namen Mobile Drive Geld verdienen, indem die Softwarelösungen auch anderen Kunden zur Verfügung gestellt werden.

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Volvos Elektromarke Polestar setzt für die Infotainment-Funktionalitäten vollumfänglich auf Android Automotive. (Bild: Polestar)

Die deutschen OEMs setzen auf eigene Betriebssysteme

Viele sehen die Partnerschaft mit einem chinesischen Unternehmen kritisch. Vor allem die deutschen OEMs wie BMW, Volkswagen und Daimler wollen ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen und beschreiten den Pfad, den Tesla vorgegeben hat. „Diese ‚Own-OS-Player‘ sehen und verfolgen bewusst den Vorteil hoher Eigenwertschöpfung rund um Kundenerlebnis und Software-Stack im Fahrzeug. Um diesen zu kapitalisieren, entwickeln sie ihre eigenen Betriebssysteme und schützen dadurch die Kundenschnittstelle vor dem Zugriff fremder Akteure“, fasst Jan Burgard, CEO der Strategieberatung Berylls, die Intention zusammen.

Volkswagen setzt diese Strategie mit der 100-prozentigen Tochter Cariad um, bei der aktuell rund 4.500 Mitarbeiter an einer einheitlichen, skalierbaren Softwareplattform für alle Marken des Konzerns tüfteln, die das Betriebssystem, eine Automotive Cloud sowie eine E/E-Architektur umfasst. „Bis 2025 wollen wir bei Cariad den Eigenanteil der Entwicklung von Fahrzeugsoftware im Volkswagen Konzern auf 60 Prozent anheben“, gibt Cariad-CEO Dirk Hilgenberg als Zielvorgabe aus.

Ganz allein wagen sich die Wolfsburger dann doch nicht in das digitale Wasser und haben Anfang des Jahres die Partnerschaft mit Microsoft vertieft, die zum Aufbau einer cloudbasierten Entwicklungsplattform für das automatisierte Fahren (Automated Driving Platform) führen soll. Cariad ist zum Erfolg verdammt. Denn die beiden Hightech-Fahrzeuge, die unter den Codenamen Artemis und Trinity entwickelt werden, sind Prestigeobjekte, die das autonome Fahren auf Level 4 beherrschen sollen. Ein Scheitern wäre fatal und würde Volkswagen im Hightech-Wettlauf weit zurückwerfen.

Bei BMW arbeiten die Entwickler mit Hochdruck daran, den elektrischen iX noch dieses Jahr mit einem eigenen Betriebssystem auszustatten. Etwas langsamer geht es Daimler an. „Unser Ziel ist es, 2024 ein eigenes, datengestütztes und flexibel updatebares Mercedes-Benz Operating System in unsere Fahrzeuge zu bringen und damit das Fahrzeug intelligent mit der Cloud und der IoT-Welt zu vernetzen. Das MB.OS-Betriebssystem wird vier Domänen enthalten: Antriebsstrang, autonomes Fahren, Infotainment, Fahrzeugsteuerung“, erklärt Sajjad Khan, der ehemalige CTO und Leiter von Daimlers Case-Organisation (Connected, Autonomous, Shared & Services, Electric). Daimler hat inzwischen verlautbart, dass Khan das Unternehmen auf eigenen Wunsch hin verlassen wird. Die Verantwortung in Sachen Softwareentwicklung übernimmt der Schwede Magnus Östberg. 

Letztendlich wollen aber auch die Schwaben Geld verdienen. Mit digitalen Services will Mercedes bereits in vier Jahren rund eine Milliarde Euro an Ebit erwirtschaften und erwartet bis 2030 ein deutliches Wachstum durch Abo-Modelle und Funktionen, die drahtlos freigeschaltet werden können.

autoMOTIVES: Der Talk zum Thema Digital Car

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Aufbauend auf den Erkenntnissen und Analysen im Spezial der neuen automotiveIT (Ausgabe 05/2021, EVT: 6. September 2021) diskutieren wir im Live-Webcast autoMOTIVES mit Branchenexperten und unseren Autoren die Trends und Herausforderungen rund um das DIGITAL CAR. Im Interview mit Johann Jungwirth, Vice President Mobility-as-a-Service bei Mobileye, sprechen wir darüber hinaus über die Zukunft des autonomen Fahrens und welche Hürden es noch zu überwinden gilt.

 

Die Möglichkeit zur kostenfreien Anmeldung zum autoMOTIVES-Webcast am 7. September 2021 von 14 bis 15 Uhr finden Sie hier.

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