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Im vernetzten Fahrzeug kommt eine Vielzahl an standardessenziellen Patenten zum Einsatz, die von den OEMs und Zulieferern lizensiert werden müssen. (Bild: Adobe Stock / Gorodenkoff)

Die deutsche Kartellaufsichtsbehörde hat genehmigt, dass BMW, Mercedes-Benz, Thyssenkrupp und VW eine Einkaufsgemeinschaft für standardessenzielle Patente starten dürfen. Solche Patente sind unerlässlich für das Connected Car und haben in der Vergangenheit unter dem Schlagwort „Patentkrieg“ in der Automobil-, Telekommunikations- und Technologiebranche unrühmliche Bekanntheit erlangt. Rechtsexperten beurteilen die nun erteilte Genehmigung als wichtigen Schritt für die Seite der Lizenznehmer.

„Auf Lizenzgeberseite gibt es schon lange Patentpools, aber auf Nachfrageseite ist das neu, wenn es auch schon in ähnlicher Form von einem Expertengremium der EU-Kommission vorgeschlagen wurde“, sagt Beatriz Conde Gallego, wissenschaftliche Referentin in der Abteilung Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb. Jan Dreyer, Rechtsanwalt für Kartell- und Wettbewerbsrecht und Partner bei der Wirtschaftskanzlei FPS, urteilt: „Es ist das erste Mal, dass kartellrechtliche Regeln für den gemeinsamen Einkauf auf Intellectual Property angewandt werden, bislang blieb IP hierbei immer außen vor.“

Was sind standardessenzielle Patente?

Das Thema, es ist ein komplexes. Standards wie 4G, 5G oder für die Videoübertragung entstehen durch häufig patentgeschützte Entwicklungen vieler Unternehmen aus der ganzen Welt. Die EU-Kommission hat im vergangenen Jahr dazu eine anschauliche Zahl veröffentlicht: Um zum Beispiel einen Laptop interoperabel zu machen, sind mindestens 150 standardessenzielle Patente betroffen. Kartellamts-Chef Andreas Mundt sagte anlässlich der Genehmigung der Einkaufsgemeinschaft gar, dass „die Verwendung von Technologien wie 4G oder 5G in Smartphones oder Autos die Lizenzierung tausender von Patenten erfordert“. Für standardessenzielle Patente gilt, dass sie jedem Lizenznehmer zu fairen, angemessenen und diskriminierungsfreien Bedingungen zu erteilen sind. In der Praxis klappt das nicht immer zur gegenseitigen Zufriedenheit.

Mehr noch: In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Patentklagen von Technologiefirmen gegen Automobilunternehmen. Bekannte Beispiele waren Nokia gegen Daimler oder Sharp gegen Daimler. Der Vorwurf lautete immer gleich: Der OEM nutze in seinen Fahrzeugen unlizenzierte Connectivity-Technologien. „In so einer Situation drohen Rückrufe; gerichtliche Auseinandersetzungen ziehen sich oft über Jahre hin“, verdeutlicht Dreyer das Problem.

Lizenzierung standardessenzieller Patente ist komplex

„Wenn man so will“, sagt Conde, „widerfuhr der Automobilindustrie das, was zuvor bereits den Telekommunikationsfirmen widerfahren ist.“ Das Problem sei oft nicht nur Unwille oder Ignoranz der Lizenznehmer, sondern auch fehlende Transparenz und unterschiedliche Lizenzierungsmodelle, sodass etwa nicht immer klar sei, ob der OEM oder der Zulieferer in der Pflicht stehe. „Ich sehe eindeutig einen Zusammenhang zwischen diesen Streitigkeiten und dem jetzt vom Bundeskartellamt genehmigten Vorhaben“, sagt Conde.

Die neue Einkaufsgemeinschaft der drei OEMs und des Zulieferers trägt den Namen Automotive Licensing Negotiation Group (ALNG). Das Bundeskartellamt spricht offiziell von einer Tolerierung. Voraussetzung sei, so sein Chef Mundt, dass sich die Tätigkeit der ALNG „auf nicht automobilspezifische Standards beschränkt und weitere kartellrechtliche Leitplanken beachtet werden. Insbesondere müssen Verhandlungen in diesem Rahmen stets freiwillig sein. Die Kooperation muss Zulieferern aus der Automobilbranche offenstehen. Der Informationsaustausch muss auf das unerlässliche Minimum beschränkt bleiben.“

Diese Grenzen setzt das Kartellamt

Für den gemeinsamen Marktanteil auf den betroffenen Märkten, den solche Kooperationen nicht überschreiten dürfen, gilt nach EU-Recht ein Schwellenwert von 15 Prozent. Im Lizenzmarkt für standardessenzielle Patente zu allgemeinen Mobilfunktechnologien, so das Kartellamt, liege der Nachfrageanteil der Beteiligten und künftiger ALNG-Mitglieder aus dem Bereich der Automobilbranche gemeinsam darunter. Rechtsanwalt Dreyer hält es in diesem Zusammenhang für wichtig, dass das Kartellamt „sowohl den Einkaufs- als auch den Verkaufsmarkt betrachtet hat“. Was als nicht automobilspezifische Standards gilt, ist in seinen Augen eigentlich eindeutig: „Aber ich empfehle immer jedem Unternehmen, so etwas gut zu überwachen, weil die Dinge gerne ein Eigenleben entwickeln.“

Max-Planck-Wissenschaftlerin Conde hält den sehr weit gefassten Einkaufsmarkt für diskutabel: „Darunter fällt beim Kartellamt alles, vom Smartphone über den Smart Sensor bis zum Smart Car. Da kann man sich fragen, ob nicht Teilmärkte, die sich aus technischen Kriterien wie den Anforderungen an Latenz oder Bandbreite ableiten lassen, die passendere Abgrenzung gewesen wären.“ Ein grundsätzliches Hemmnis für Innovationen sieht sie durch die ALNG jedoch nicht: „Unsere Forschung zeigt, dass Innovation nicht nur bei der Entwicklung der Technologie entsteht, sondern auch bei ihrer Implementierung ins Produkt. Insofern wäre ein Ansatz wie die ALNG sogar eher innovationsfördernd.“

Was machen die Patent-Plattformen?

Interessant zu verfolgen wird sein, wie sich Lizenzplattformen zu diesem Vorstoß der deutschen Automobilhersteller verhalten werden. Seit 2016 gibt es mit der von einem ehemaligen Ericsson-Manager gegründeten Avanci einen unabhängigen Intermediär, der Angebot und Nachfrage bei standardessenziellen Patenten zusammenbringt – alles aus einer Hand, später hinzukommende Patent inklusive. Es ist das Rundum-sorglos-Paket. Pro Fahrzeug zahlen die OEMs einen zweistelligen Dollarbetrag. BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen sind Avanci-Mitglieder. Avanci deckt auf der Lizenzgeberseite aber nicht alle Unternehmen ab. So hat zum Beispiel Samsung erst vergangenes Jahr seine 4G-Lizenzen eingebracht.

Zudem bindet die Tolerierung der ALNG nur das Bundeskartellamt. „Gefällt jemandem diese Duldung nicht, kann er Beschwerde bei der EU-Kommission, Gerichten oder bei einer anderen europäischen Kartellbehörde einlegen“, sagt Dreyer. Wobei: Ob die vom Kartellamt geforderte Offenheit der ALNG nun einem Run auf die Mitgliedschaft auslöst, lässt sich kaum seriös beurteilen. Conde weist darauf hin, dass viele OEMs sich bereits bilateral bei standardessenziellen Patenten geeinigt haben. „Ich betrachte die jetzt erteilte Genehmigung daher eher für andere Branchen als relevant, in denen auch vernetzte Geräte an Bedeutung gewinnen, nicht so sehr für die Automobilindustrie.“

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