Vielleicht hat das erzwungene Umdenken während der Coronakrise darüber, wie gearbeitet wird, auch positive Aspekte: „Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Systeme sich vom Mindset her nachhaltig erst dann ändern, wenn Komfortzonen durchbrochen werden oder externe Faktoren wie Krisen ins Spiel kommen“, sagt Jutta Rump vom Institut für Beschäftigung und Employability IBE. Corona habe deshalb auch beim Thema New Work wie ein Beschleuniger gewirkt. Zu diesem Thema gehören für sie allerdings auch Agilität, ein hoher Vernetzungsgrad, der partizipative Gedanke und die Überzeugung der Mitarbeitenden, dass ihre Tätigkeit einen Sinn oder Mehrwert hat.
„Agiles Arbeiten funktioniert dann richtig gut, wenn ein Team so zusammengesetzt ist, dass sich jeder nach Stärken und Talenten einbringen kann, und auf Augenhöhe hierarchiefrei miteinander kommuniziert wird“, glaubt Rump. Die Professorin ist unter anderem auch Botschafterin der Initiative Neue Qualität der Arbeit des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. „Agile und New Work passen perfekt zusammen. Beides gemeinsam hat allerdings massive Veränderungen in der Organisation zur Folge – wenn man es ernst nimmt“, stellt Andreas Eichhorn fest, Business and Transformation Coach und Managing Partner der Beratungssparte Business Design der Cosmo Consult Gruppe.
Viele Mitarbeiter kennen bereits vollmundige Ankündigungen zu New Work, die dann als kleine Maßnahmen verstanden, weil das fundamentale Kulturthema nicht angegangen werde, so der Experte. Für die Glaubwürdigkeit sei es wichtig, New Work nicht nur als Trend im Sinne kosmetischer Veränderungen wie beispielsweise flexiblere Arbeitszeiten aufzugreifen. Gefragt seien eine echte agile Haltung und das Einüben einer intensiveren Zusammenarbeit, die im Zuge der digitalen Transformation zunehmend auf zentralen Cloud-Plattformen stattfindet. Doch für die neuen Tools müssten die Mitarbeiter auch erst einmal gewonnen werden. „Dazu braucht es Weiterqualifizierungsangebote und Zeit“, so Eichhorn.
Frauen gehen mit agilen Prozessen lockerer um
Agile Strukturen und Prozesse leben vor allem davon, dass Verantwortung von klassischen Hierarchieebenen in Fachteams wandert, Machtstrukturen verändern sich. Doch dafür sind die wenigsten Unternehmen bislang richtig aufgestellt. Gerade die schon vor einigen Jahrzehnten sozialisierten Männer, die sich im Beruf „nach oben gekämpft“ haben, tun sich schwer mit der Forderung, Macht abzugeben. Das stelle teilweise den Lebensweg in Frage, konstatiert Jutta Rump: „Frauen haben oft mehr Brüche in ihrer Biographie, gehen mit Veränderungen häufig lockerer und proaktiver um“.
Agilität bedeute Selbstbestimmung auf Augenhöhe: Diese Logik lasse sich auch auf die Organisation übertragen, sagt die New-Work-Expertin und erzählt, dass mit einem solchen Wandel an ihrem Institut auch die Abschaffung ihrer Position als Institutsleiterin anstand. „Wir haben Führungsrollen und Aufgaben auf den Tisch gelegt und die Mitarbeitenden haben sich Aufgaben nach Stärken und Interessen ausgewählt. Je nach Projektabschnitt können diese auch rotieren: So hat vielleicht jemand seine Stärke darin, etwas anzuschieben, zu sondieren oder zu akquirieren, in der Umsetzungsphase ist dann ein anderer Mensch besser aufgestellt“, berichtet Rump. Pro Meilenstein und Projektabschnitt könne es unterschiedliche Projektleiter oder -leiterinnen geben. Wenn das Gesamtkonzept neu aufgesetzt wird, haben künftig vielleicht auch Frauen mehr Interesse, verantwortliche Rollen zu übernehmen.
Um Hierarchie geht es auch in anderen Kontexten. Aus den Unternehmen ist immer häufiger zu hören, dass Abteilungsgrenzen beim Weg zu digitalen Services und Geschäftsmodellen zunehmend stören. Gerade wenn Prozesse stärker im Sinne der Kunden gedacht werden, kommt es auf die intensive bereichsübergreifende Zusammenarbeit an. Bei Agilität und New Work sei Silodenken an sich „völlig absurd“, sagt Eichhorn: „Agilität wird gebraucht, um in dynamischen, komplexen Umfeldern flexibel neue Dinge auszuprobieren – dort, wo Lösungen oft noch nicht bekannt und erprobt sind“. Das erfordere, die Kreativität von möglichst vielen Menschen ins Spiel zu bringen. Klassische Organisation und Incentive-Systeme wirkten diesem Anspruch jedoch oft komplett entgegen. „Solange es Profit Center gibt und im Controlling nur auf deren Zahlen geschaut wird, gibt es wenig Anreiz, auch etwas zu tun, dessen Erfolg dann vielleicht einer anderen Abteilung zugerechnet wird“, so Eichhorn.
Einstieg in agiles Arbeiten Top-Down oder mit Pilotteams
Bei der Frage, wie der Wandel erreicht werden soll, gibt es allerdings unterschiedliche Vorgehensweisen. Für Jutta Rump muss eine solche Veränderung oben im Top-Down-Verfahren ansetzen und klar vorgegeben werden: „Wenn sich die Führungskräfte oben ausschließen, klappt es auch nicht im mittleren Management. Es ist also zunächst ein kleines Paradoxon: Wenn diese Veränderung in Gang gesetzt wird, kann das nicht diskutabel sein“. Agile-Experte Eichhorn glaubt hingegen: „Ein solcher Wandel zur Selbstorganisation darf nicht von oben in die Organisation hinein oktroyiert werden.“ Wenn ein Unternehmen diesen Schritt gehen will, lohne sich der Einstieg mit einem Pilotteam, das nach und nach andere Menschen im Unternehmen involviert und für das Thema gewinnt. Ein solches Team müsse unterschiedliche Kompetenzen vereinen und notwendige Methoden vorab zum Beispiel in Workshops erwerben dürfen, anstatt „auf gut Glück“ loszulegen.
Die meisten Prozesse und Systeme in den Unternehmen sind bereits durchoptimiert und ausgereizt, immer mehr von „demselben“ reicht nicht aus, meint Eichhorn. Denn damit gingen steigende Unzufriedenheit bei den Arbeitnehmern, zunehmende Überlastung und Burnouts einher. Stattdessen gehe es darum, Lust am Neuen zu wecken, Sinnhaftigkeit und persönliche Entwicklungschancen zu bieten – das sei vor allem jüngeren Fachkräften immer wichtiger. „Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Energie aus sich selbst aufbringen, um neue Wege zu gehen“, so der Agile-Experte. Grundlage dafür ist aus seiner Sicht eine Innovationskultur, die den Namen verdient. „Dazu gehört, physische, aber auch zeitliche und mentale Räume zu schaffen: Kreativität funktioniert nicht unter Stress und Druck“, sagt Eichhorn. Die Beschäftigten müssten dazu wissen, dass sie nicht ständig 120 Prozent liefern müssen, sondern auch spielerisch Dinge ausprobieren können, die nicht nach drei Tagen oder einer Woche die perfekte Lösung liefern.