"Knowledge-Sharing" statt Unterricht wie hier mit Linux CAN-Experte Oliver Hartkopp

"Knowledge-Sharing" statt Unterricht wie hier mit Linux CAN-Experte Oliver Hartkopp von Volkswagen ist im SEA:ME-Lab in Wolfsburg keine Seltenheit. (Bild: SEA:ME)

automotiveIT car.summit 2024

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Der automotiveIT car.summit am 5. November 2024 in München bringt Experten und Stakeholder von OEMs, Zulieferer und Tech-Player an einen Tisch, um die Herausforderungen um das Software-Defined Vehicle, autonomes Fahren und Connectivity zu diskutieren. Gleichzeitig soll die Brücke zwischen klassischer Fahrzeugentwicklung und Software/IT geschlagen werden, da die Autobranche das Auto von Grund auf neu denken und verstärkt auf Kollaborationen setzen muss. 🎫 Jetzt Ticket sichern!

Das SDV repräsentiert eine neue Ära der Automobilindustrie, in der Software zum entscheidenden Innovationsmotor wird. Fahrzeuge, die einst durch mechanische Exzellenz glänzten, basieren nun auf Plattformen, die sich durch agile Softwarelösungen und permanente Konnektivität auszeichnen. Dieses Paradigma verschiebt nicht nur die technologische Basis von Fahrzeugen, sondern erfordert auch eine Neudefinition der Fähigkeiten und Kompetenzen, die von den Fachkräften dieser Branche erwartet werden. In einer Welt, in der Fahrzeuge durch Software gesteuert, verbessert und geschützt werden, benötigt die Branche nicht nur Experten in traditioneller Fahrzeugtechnik in ihren Reihen, sondern ebenso versierte Softwareentwickler, Datenwissenschaftler und Sicherheitsspezialisten.

Und das besser gestern als morgen, um dem steigenden Wettbewerbsdruck – unter anderem durch neue Automobilhersteller, die ihre fehlende Legacy in der Industrie durch enorme Geschwindigkeit wettmachen – standhalten zu können. Diese neue Realität stellt die Aus- und Weiterbildung vor immense Herausforderungen und macht deutlich, dass der Weg zu einem konkurrenzfähigen Automobilsektor durch die Schulung und Qualifizierung einer neuen Generation von Fachkräften führt, die bereit ist, diese komplexen, softwaregesteuerten Systeme zu meistern.

SEA:ME vertieft den Automotive-Fokus der 42 Wolfsburg

Mit genau diesen Herausforderungen vor Augen wurde das SEA:ME-Programm an der Coding-Hochschule Wolfsburg 42 initiiert. „Das Curriculum der 42 Wolfsburg ist darauf ausgerichtet, Software-Talente mit grundlegenden Skills auszustatten, die sie unter anderem für die Arbeit in der Automobilindustrie qualifizieren. Aber um das Software-Defined Vehicle zu meistern, ist das nicht genug“, erklärt Pratikkumar Prajapati, der die Entwicklung von SEA:ME als Technical Program Manager von Beginn an begleitete. Gemeinsam mit dem früheren Schulleiter Max Senges war Prajapatis Ziel, Studierenden eine praxisorientierte Lernerfahrung rund um das SDV zu bieten, bei der sie Aufgaben ohne standardisiert vorgegebenen Lösungsweg meistern müssen. In Zusammenarbeit mit Hochschulprofessoren anderer Universitäten entstand hierfür ein spezifischeres Curriculum, das sich zunächst aus drei Hauptmodulen zusammensetzte: Embedded Systems, Autonomous Driving Systems und Mobility Ecosystems.

Mittlerweile hat man diese ersten Fokusthemen um die Module Cybersecurity Systems und Saefty Critical Systems ergänzt und plant für die Zukunft weitere Bausteine, wie zum Beispiel Robotics, die eine größere Schnittmenge zu anderen Industrien bieten. Außerdem erweitert sich der Fokus aktuell um MaaS (Mobility as a Service), Smart City-Umgebungen und Verkehrsträger über PKW hinaus. Zudem ist SEA:ME als Open Source-basiertes Curriculum darauf ausgelegt, nicht nur in Wolfsburg angeboten zu werden, sondern soll als nicht kommerzielles Studienangebot unter Lizenz der 42 Wolfsburg auch von weiteren Institutionen weltweit kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Zwei erste solche 'Replikationen' starten mit Beratung durch das Team in Wolfsburg noch 2024 in Korea und Portugal.

Praxisnahe Partnerprojekte vermitteln wichtige neue Skills

Nachdem der erste zwölfmonatige Spezialisierungs-Jahrgang im Juli 2023 mit 23 Studierenden prämierte, starteten in diesem Jahr bereits knapp 40 Software-Begeisterte in die SDV-Ausbildung. Im SEA:ME-Lab in Wolfsburg unweit vom 42 Campus arbeiten die Studierenden mit Modellfahrzeugen im Maßstab 1:10, die mit Raspberry Pi, Arduinos und zahlreichen Sensoren ausgestattet sind. „An der Universität lernen die Studenten zuerst die Theorie und dann werden die Fähigkeiten später mit dem praktischen Teil in Verbindung gebracht. Wir machen es genau andersherum“, kommentiert Prajapati die praxisorientiertere Herangehensweise. Dieser Ansatz fördere kreativere Problemlösung und die Innovationskraft. „Es gibt bei uns nicht den einen richtigen Weg. Einige Studierende wenden herkömmliche Lösungen an, die bereits in der Industrie zum Einsatz kommen, während andere neue Wege finden, auf die langjährige Experten aus ihrer Perspektive heraus vermutlich gar nicht gekommen wären.“

Die Studierenden arbeiten zudem eng mit der Eclipse Foundation zusammen, um weitere wertvolle Praxiserfahrungen in der Softwareentwicklung zu sammeln. Diese Kooperation bietet den Studierenden die Möglichkeit, aktiv an Open-Source-Projekten mitzuarbeiten, was nicht nur ihre technischen Fähigkeiten fördert, sondern ihnen auch Einblicke in die realen Anforderungen der Automobilindustrie gibt. Sie profitieren dabei von den Ressourcen und der Community der Eclipse Foundation, während die Foundation selbst von den frischen Ideen und dem Talent der Studierenden profitiert.

Auch andere SEA:ME-Partner, darunter Microsoft, Hyundai, Cariad und Bosch nutzen die Innovationskraft der Studierenden für sich. Sie schicken Experten mit zeitlich begrenzten Projekten zum Wolfsburger Standort. Die jungen Tech-Talente bekommen den nötigen Input von den Branchenkennern an die Hand gegeben und arbeiten wie auch im restlichen Studium in kleinen Teams gemeinsam an den Aufgaben. Das Ziel hierbei liegt jedoch nicht in abgeschlossenen Projekten oder skalierbaren Lösungen. „Uns geht es darum herauszufinden, ob und welche Fähigkeiten unsere Studierenden während der begrenzten Bearbeitungszeit des Projektes erlangen. Der pädagogische Aspekt steht hier im Vordergrund“, erläutert Prajapati.

Open Innovation als Schlüsselprinzip für neue Techtalente

All diese Projekte haben eines gemeinsam: einen Open Innovation- und Open Source-Ansatz. Das SEA:ME-Programm versteht sich selbst als Community of Practice, weshalb alle erarbeiteten Lösungen sowie Lehrmaterialien per GitHub öffentlich zugänglich gemacht werden, um auch externe Interessierte ohne professionelle Hilfe zu befähigen.

Prajapati ist der Ansicht, dass Open Source für die Automobilindustrie ebenfalls ein großer Enabler sein kann, da ein offener Tech-Stack es dem Talentpool ermöglicht, früher auf bestimmte Fähigkeiten zuzugreifen. Zudem eröffne Open Source zusätzliche Einsatzmöglichkeiten für bestimmte Lösungen – beispielsweise könnten Lösungen aus dem Automobilbereich Anwendung im Bereich der Raumfahrt finden – und erweitere so die Geschäftsmöglichkeiten der einzelnen Player. „Durch Open Source verliert man nicht, man gewinnt dazu“, ist sich der Technical Program Manager sicher. Auch die oft beklagte Geschwindigkeit der Autobranche leide seiner Meinung nach unter den stark fragmentierten Softwarestrukturen der Branche: Wenn ein Software-Ingenieur beispielsweise von Volkswagen zu BMW oder Mercedes-Benz wechselt, muss er sich erst in die völlig neuen Technologien einarbeiten, was am Ende den gesamten Entwicklungsprozess bremst.“

Umso erfreulicher ist es, dass im Rahmen des SEA:ME-Programmes nicht nur möglichst viele junge Menschen mit Interesse am Software-Defined Vehicle gefördert werden, sondern bereits erste Erfolge des erarbeiteten Netzwerkes zu erkennen sind. Einerseits ist die Anzahl an Experten, die aus den Partnerunternehmen des Programmes nach Wolfsburg kommen, um Workshops zu veranstalten oder mögliche gemeinsame Projekte vorzustellen, von ein paar wenigen auf bereits über 30 angewachsen. „Auch das ist etwas, was man an herkömmlichen Universitäten mit Frontalunterricht nicht so einfach bekommt. Unsere Schüler lernen aus erster Hand von Akteuren der Automobilbranche und arbeiten bereits während des Programmes mit ihnen zusammen“, verkündetet Prajapati stolz. Andererseits wächst gleichzeitig die Nähe zu potenziellen zukünftigen Arbeitgebern, was dazu führte, dass sich bereits rund die Hälfte der Absolventen aus dem ersten offiziellen Jahr des SEA:ME-Programmes einen entsprechenden Job in der Automobilindustrie sichern konnte.

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