"Wer denkt, er erzeugt über Basisfunktionen im Betriebssystem oder über Remote Updates Differenzierung gegenüber dem Kunden, der liegt meiner Ansicht nach falsch", so BMW-Entwicklungschef Frank Weber auf dem Mobility Circle.

"Wer denkt, er erzeugt über Basisfunktionen im Betriebssystem oder über Remote Updates Differenzierung gegenüber dem Kunden, der liegt meiner Ansicht nach falsch", so BMW-Entwicklungschef Frank Weber auf dem Mobility Circle. (Bild: facesbyfrank)

Herr Weber, BMW war mit dem i3 nach Tesla der Vorreiter beim Thema Elektromobilität. Vielleicht skizzieren Sie, wo BMW aktuell steht. Was ist Ihre Strategie?

BMW ist heute die Nummer zwei hinter dem besagten kalifornischen OEM im Bereich der Premium-BEVs. Wir profitieren heute von dem, was wir vor vielen Jahren mit BMW i begonnen haben. Ein BMW i4, i7 oder iX ist nur deshalb so gut, weil wir diese Vorarbeit geleistet haben. Ich sehe aber auch, dass wir häufig missverstanden werden. Oft wird unsere Flexibilität hinsichtlich Antriebsvielfalt mit Unentschlossenheit verwechselt. Es ist doch so: Niemand kann heute verlässlich mehrere Jahre in die Zukunft schauen. Wir leben aktuell in einer im Übergang befindlichen Industrie. Über das Zielbild einer vollelektrischen Mobilität sind wir uns alle einig. Die Frage ist jedoch: Wie kommen wir da hin? Wir bei BMW haben uns entschlossen, uns vollflexibel in Werkstrukturen und Komponenten aufzustellen, um diesen Wandel bestmöglich begleiten zu können. Ich warne davor, die E-Mobilität zu stark rein aus der Produktbrille zu betrachten. Alleine ein gutes Elektro-Auto auf die Straße zu bringen, wird die Probleme nicht lösen. Es braucht eine komplette BEV Economy. Da reicht es nicht, einfach irgendwann den Verbrennungsmotor abzuschaffen. Das ist zu kurz gesprungen.

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Auf der Grundlage des Mobility Services Report zeigt Gastgeber Prof. Stefan Bratzel jährlich die wichtigsten Trends und Entwicklungen rund um die Mobilität der Zukunft. Die Community aus Automobilindustrie, Mobilitätsanbietern, Politik und Verwaltung sowie Tech- und IT-Playern trifft sich in diesem Jahr am 09. November in München zum Mobility Circle 2023.

 

Weitere Infos und Tickets auf: www.mobility-circle.com

Was gehört für Sie zur BEV Economy?

Dazu gehören für mich vier Aspekte und alle müssen gleichermaßen erfolgreich umgesetzt werden. Zunächst brauchen wir als Autohersteller ausreichend bezahlbaren Grünstrom, sowohl zum Produzieren der Batterien und Fahrzeuge als auch für den Betrieb der E-Autos. Alles andere wäre kontraproduktiv. Der nächste Punkt sind grüne Rohstoffe. Wir wissen alle, dass Europa nicht eben zu den gesegneten Regionen der Welt gehört, die über die benötigten Materialien verfügen. Daher brauchen wir gut funktionierende Rohstoffketten.

Ein weiterer Aspekt ist das Laden. Die Autoindustrie fertigt schon heute deutlich mehr Produkte, als die bestehende Ladeinfrastruktur in den kommenden Jahren schultern kann. Und der vierte Aspekt ist Recycling. Wenn wir es nicht schaffen, die kostbaren Materialien, die in einer Batterie stecken, in einen sinnvollen Kreislauf zurückzuführen, dann wird die Elektromobilität nicht fliegen. Sie sehen also, die E-Mobilität geht weit über das Produkt BEV hinaus. Deshalb stört es mich, wenn unsere warnenden Worte als Zögern interpretiert werden. BMW ist nicht zögerlich: Unsere Neue Klasse, eine rein elektrische Technologieplattform, auf der ab 2025 zahlreiche vollelektrische Fahrzeuge aufbauen, ist die größte Investition, die BMW je gemacht hat – ein klares Bekenntnis zur Elektromobilität. Doch uns muss klar sein: Wenn auch nur einer der Aspekte der angesprochenen BEV Economy während der Transformation auf der Strecke bleibt, wird die Elektromobilität gesamthaft nicht fliegen. Im Gegenteil, dann würde Mobilität, so wie wir sie heute kennen und erwarten, nicht funktionieren.

Schauen wir in diesem Atemzug auf das Wertschöpfungselement Batteriezelle. Noch vor ein paar Jahren haben viele Entwicklungsvorstände die Batteriezelle als reine Commodity betrachtet. Heute hat die Zelle eine andere Bedeutung. Wie sieht die Zellstrategie von BMW aus?

Die tiefe Kenntnis über die Batteriezelle ist elementar für einen Automobilhersteller. Noch nie in der gesamten Entwicklungsgeschichte des Automobils hat es etwas gegeben, bei dem Hersteller so stark von der Wettbewerbsfähigkeit einer einzelnen Komponente abhängig waren.

Deutliche Worte...

Ja. Weil man gerade hierzulande verstehen muss, dass das Verständnis für die Batteriezelle schon in Forschung und Lehre beginnen muss. China ist bei dem Thema unglaublich weit. Machen wir uns nichts vor: Wenn in Deutschland aktuell Fertigungen für Batteriezellen entstehen, dann entstehen sie mit chinesischen Anlagen. Der Aufholbedarf ist gigantisch! Und weil Sie vorhin von Commodity gesprochen haben: Die Batteriezelle ist wahrscheinlich das am wenigsten als Commodity zu verstehende Produkt, das man sich vorstellen kann.

Wie gehen Sie also vor?

Unsere Philosophie ist klar: Wir müssen die Zelle tief durchdringen und verstehen, um mit den Lieferanten auf Augenhöhe sprechen zu können. Nicht nur hinsichtlich der Zusammensetzung der Chemie einer Batteriezelle, sondern auch was die Produktion betrifft. Wenn wir eine Batteriezelle auf den Markt bringen, ist das unsere Zelle – auch wenn sie von einem Lieferanten produziert wird. Das machen wir beispielsweise mit Getrieben nicht anders.

Sie wollen mit der Neuen Klasse die Produktionskosten um 25 Prozent senken, Skalierungseffekte erzielen und den CO2-Footprint um 40 Prozent bis 2030 verringern. Wie wollen Sie das erreichen?

Wie gesagt, man kann die Neue Klasse, die 2025 an den Start geht, getrost als das größte industrielle Vorhaben in der Geschichte von BMW bezeichnen. Wir stellen alles, was das Elektroauto umfasst, auf eine neue technologische Basis: von der Art, wie die Batterie verbaut wird, über den Einsatz von Sekundärrohstoffen bis hin zu neuen Bordnetzstrukturen. Allein von dieser Konsolidierung unterschiedlicher Architekturen erwarten wir uns signifikante Skaleneffekte. Außerdem beginnen wir die Produktion bewusst in den volumenstärksten Segmenten, um weitere Effekte zu erzielen.

Sie haben den Bereich der Architekturen angesprochen. Gilt das auch für die Themen Software, Betriebssystem, OTA-Updates?

Natürlich. Wir haben bereits heute eine riesige updatefähige Flotte auf den Straßen. Und es geht hier schon lange nicht mehr nur um Aktualisierungen nur für das Infotainment. Wir haben fast vier Millionen Fahrzeuge im Feld, die wir bis in die Security-Prozesse hinein updaten können. Ich sage Ihnen auch, warum das so ist: E65. Ein Kürzel, das so manchen BMW-Vertrauten aufschrecken lässt (lacht). Das war der erste 7er mit iDrive-Controller. Und auch sonst war in diesem Auto alles neu – der Anlauf war ein Alptraum. Aber er hat uns gezwungen, über das Zusammenspiel aus Software und Hardware mit Höchstgeschwindigkeit nachzudenken. Heute beschäftigen sich 10.000 Mitarbeiter zentral mit der Entwicklung von Software und digitalen Funktionen im Auto. Das klingt erst einmal viel. Aber wenn Sie sich anschauen, wie digitaler Mehrwert generiert wird, dann zeigt sich, dass wir von einer gigantischen Industrie sprechen. Das kann und muss ein Autobauer nicht alles allein stemmen. Ich bin überzeugt, dass wir uns auf das konzentrieren müssen, was für unsere Kunden einen echten Mehrwert im Fahrzeug generiert. Das sehen andere Hersteller anders, und um ehrlich zu sein, halte ich das für eine gefährliche Entwicklung.

Wieso?

Wer denkt, er erzeugt über Basisfunktionen im Betriebssystem oder über Remote Updates Differenzierung gegenüber dem Kunden, der liegt meiner Ansicht nach falsch. Ich fürchte sogar ein Auseinanderdriften der Architekturen. Aktuell arbeiten alle Autobauer auf einer ähnlichen technologischen Basis. Jedes Bordnetz sieht zwar ein wenig anders aus, aber Zulieferer können im Großen und Ganzen in artverwandten Systemen arbeiten. Ich bin der festen Überzeugung, dass die deutschen Hersteller ihre Position im globalen Wettbewerb schwächen, wenn sich diese Architekturen weiter auseinanderbewegen: zum einen, da branchenweit ein immer größerer Wildwuchs entsteht. Zweiter Punkt: Wenn jeder Autohersteller tausende Entwickler auf eigene Betriebssysteme ansetzt, fehlen diese an anderer Stelle, wo kundenwerte Innovationen entstehen. Die Industrie muss stattdessen zusammenkommen und Elemente eines Betriebssystems basierend auf gemeinsamen Standards definieren.

Bleiben wir beim Thema: Der Kunde erwartet schon heute einen nahtlosen Übergang zwischen den digitalen Ökosystemen, die er aus der Consumer-Electronics-Welt kennt, und den digitalen Funktionen seines Fahrzeugs. Steht das nicht im Widerspruch zu einem hersteller- oder industriespezifischen System?

Überhaupt nicht. Selbstverständlich erwartet der Nutzer einen lückenlosen Übergang zwischen den Welten. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Der neue 7er hat im Fond einen riesigen Bildschirm. Alles, was der Kunde zuhause begonnen hat zu streamen, sei es Netflix oder Amazon Prime, kann er problemlos im Fahrzeug fortsetzen. Genau so muss es funktionieren. Das ist ganz und gar kein Widerspruch zu eigenen Betriebssystemen. Wir sind doch nicht so vermessen zu meinen, dass wir ein Medienangebot wie Spotify und Co. plötzlich besser machen könnten. Was ein Autobauer aber unzweifelhaft besser beherrscht, sind die fahrzeugbezogenen Dienste wie beispielsweise die intelligente Routenplanung im Einklang mit der Batterieladung. Es geht also nicht um die Frage, ob wir die Oberflächen von Apple oder Android besser machen können. Es geht darum, wie wir diese Ökosysteme nahtlos in unser Angebot integrieren können. Und genau da liegt für uns auch die Grenze: Wenn Dritte beginnen, das Fahrzeug zu übernehmen, hört für uns die Partnerschaft auf. Wir müssen zwingend Herr über die Kundendaten bleiben. Wenn wir als Hersteller nicht mehr wissen, was in unserem Auto eigentlich passiert, dann ist eine rote Linie überschritten.

OEMs, die vollumfänglich auf die von Ihnen angesprochenen Tech-Ökosysteme setzen, könnten ihren Kunden womöglich schneller reibungslose Dienste anbieten, als Hersteller wie BMW das können. Haben Sie keine Angst vor der Konkurrenz?

Diesem Wettbewerb stellen wir uns gern. Ich kann mich nur wiederholen, wir haben ja bereits über die Größe und Komplexität der digitalen Industrie gesprochen. Es wäre vermessen zu glauben, wir könnten als Autohersteller in diesem Bereich alles besser. Wenn wir zum Beispiel heute einen Sprachassistenten gemeinsam mit unserem Partner Amazon entwickeln, dann ist das Endprodukt definitiv besser als das, was wir allein hätten entwickeln können.

Lassen Sie uns zum Abschluss noch auf einen weiteren großen Tech-Trend schauen: das autonome Fahren. Derzeit nehmen die Entwicklungen scheinbar wieder größere Schritte. Welchen Weg verfolgt BMW, dessen DNA ja bekanntlich durch Freude am Fahren geprägt ist?

Natürlich ist dieses Credo bei uns weiterhin stark verwurzelt. Aber das muss nicht nur die Freude am Selbstfahren bedeuten. BMW hat sich im Bereich der Fahrerassistenz für einen sehr kooperativen Ansatz entschieden. Wie bei den digitalen Features, über die wir gerade gesprochen haben, geht es um die nahtlose Integration der unterstützenden Funktionen ins Fahrerlebnis des Nutzers und nicht um eine Bevormundung. Sie haben die Entwicklungsschritte angesprochen: Auch unser neuer BMW 7er hat, was die automatisierten Fahrfunktionen betrifft, erneut einen großen Sprung nach vorn gemacht. Noch in diesem Jahr werden wir hier eine Level-3-Funktion anbieten. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass die Branche bei Weitem noch nicht so weit ist, wie es manche Ankündigung vor einigen Jahren in Aussicht gestellt hat. Damals klang es oft so, als würde der Mensch schon heute im autonomen Verkehr unterwegs sein. Davon sind wir weit entfernt. Und ich kann Ihnen auch sagen, woran das liegt...

Und das wäre?

Der Zulassungsprozess für hoch- oder vollautomatisierte Level, in denen der Fahrer als Rückfallebene fehlt, ist höchst aufwendig. Der Hersteller muss den Nachweis erbringen, dass das Auto mindestens so sicher agiert wie der Mensch. Statistisch passiert auf deutschen Autobahnen etwa alle 700 Millionen Kilometer ein schwerer Unfall mit tödlichem Ausgang. Unser Ziel ist damit, in etwa eine Milliarde fehlerfrei gefahrene Kilometer nachweisen zu können. Ausschließlich mit realen Straßentests können wir das nicht ansatzweise leisten. Aber auch mit Simulationen ist das eine Mammutaufgabe. In diesem Prozess für Level 3 stecken wir gerade. Aber daran sehen Sie auch: Hoch- und vollautomatisiertes Fahren kann nur schrittweise erreicht werden. Aus den genannten Gründen werden wir daher sicherlich in absehbarer Zeit jenseits von Parken keine Level-4-Fahrfunktionen, insbesondere nicht im urbanen Umfeld, in einem Kundenprodukt sehen – ganz zu schweigen von Level 5.

Das Gespräch führte Prof. Stefan Bratzel im Rahmen des Mobility Circle 2022

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