Heiko Schilling, Senior Vice President of Software and AI Engineering bei Stellantis.

Heiko Schilling ist Senior Vice President of Software and AI Engineering bei Stellantis. (Bild: Stellantis)

Herr Schilling, in Vorbereitung auf dieses Interview fiel auf, dass Sie auf LinkedIn ein Video geteilt haben, auf dem ein Tesla, der per Autopilot fuhr, frontal in ein anderes Auto fährt. Können Sie garantieren, dass so etwas mit den von Stellantis entwickelten Systemen niemals passieren wird?

Tesla verfügt über Automatisierung der Stufe 2. Der Schlüssel liegt darin, sicherzustellen, dass die Kundinnen und Kunden klar verstehen, was das System kann und was nicht. Stufe 3 bedeutet „Eyes off“ und „Hands off“, und es ist entscheidend, diesen Unterschied genau zu kommunizieren. Unsere KI-Lernalgorithmen sind darauf ausgelegt, komplexe Szenarien zu berücksichtigen und dabei zu helfen, solche Vorfälle zu verhindern. Bei Stellantis sind wir bestrebt, die richtigen Erwartungen zu setzen und Technologien bereitzustellen, bei denen die Sicherheit im Vordergrund steht.

In der offiziellen Mitteilung heißt es, dass STLA AutoDrive eine Eigenentwicklung sei, während andere Stellantis-Quellen auf eine Zusammenarbeit mit BMW hinweisen. Was stimmt?

Stellantis hat das Level-3-System mithilfe eines internen Ansatzes entwickelt, der das Engagement des Unternehmens für Innovation und fortschrittliche Technologie widerspiegelt. Das System integriert außerdem wertvolle Erkenntnisse aus der Zusammenarbeit mit BMW und anderen Partnern und gewährleistet so ein nahtloses und innovatives Erlebnis für unsere Kundeinnen und Kunden. Wir haben im November 2018 mit der Entwicklung begonnen und seither den L2-Plus-Stack („Eyes on, Hands off“) und den L3-Stack („Eyes off, Hands off“) entwickelt. BMW hat das System vergangenes Jahr in Deutschland auf den Markt gebracht. Unser System ist marktreif und kann über die Marken von Stellantis eingeführt werden. Aktuell analysieren wir den Business Case für jede Marke.

Aktuelle Modelle wären bereit für Serienbetrieb

Gibt es dennoch Unterschiede zwischen den Systemen?

Wir haben als Kooperation begonnen, aber jeder OEM hat spezifische Entwicklungen vorgenommen. Da BMW bereits letztes Jahr in Serie gegangen ist, konnten wir unser System noch optimieren. Wir nutzen die IQ6-Kameras von Mobileye und sind der erste OEM, der mit dieser Technologie auf den Markt geht. Zusätzlich haben wir bei den Sensoren Upgrades vorgenommen, da wir mehr Entwicklungszeit hatten.

Welche aktuellen Stellantis-Modelle wären hardwareseitig geeignet, um autonomes Fahren auf Level 3 zu ermöglichen?

Die Konfiguration variiert je nach Fahrzeugsegment und Kosten. Wir prüfen markenspezifisch, welche Modelle das System integrieren können. Die Standardarchitektur STLA Brain ist in verschiedenen Größen verfügbar und kann das System aufnehmen. Auch bestehende Architekturen, insbesondere volumenstarke Plattformen, sind kompatibel. Die Vorgängerversion läuft ebenfalls auf aktuellen und zukünftigen Architekturen. Die Sensorkonfiguration ist flexibel genug, um sowohl in älteren als auch neuen Stellantis-Architekturen zu funktionieren. Unsere Systeme nutzen eine Vielzahl fortschrittlicher Kameras und Radare für Level 2 Plus. Für Level 3 ist zusätzlich ein Lidar-System erforderlich.

Wie unterscheidet sich STLA AutoDrive 1.0 technisch und funktional von etablierten Systemen wie dem Drive Pilot von Mercedes-Benz oder Blue Cruise von Ford?

Die Ansätze sind unterschiedlich. Das Thema Autodrive ist sehr agil, und es gibt viele Entwicklungen im Bereich der KI-Modelle. Traditionell fokussierten sich KI-Modelle auf die Wahrnehmung der Umgebung. Neuere Ansätze verfolgen einen holistischen Ansatz und integrieren auch das Motion Planning, also die Umsetzung der erfassten Umgebung in Fahrbewegungen. Unser System kombiniert L2 Plus und Level 3 in einem Fahrzeug. Das verbessert die Nutzererfahrung durch einen nahtlosen Übergang zwischen verschiedenen Automatisierungsstufen. Tests zeigen, dass Fahrer bei einer täglichen Pendelzeit von zwei Stunden das System derzeit für etwa zehn Minuten aktiv nutzen können. Künftig soll das System Geschwindigkeiten bis 95 km/h ermöglichen und per OTA-Update weiter optimiert werden.

Autonomes Fahren für den Massenmarkt?

Das System ist also technisch fähig, Level 3 bis 95 km/h zu ermöglichen?

Ja, wir testen bereits bis 95 km/h. Entscheidend sind Sicherheitskonzepte: Wir müssen ausreichende Testkilometer und Fahrstunden nachweisen, um die Sicherheit für den Fahrgast zu gewährleisten. Diese Sicherheitsprüfungen und die Homologation in verschiedenen Ländern sind der aktuelle Engpass. Technisch könnten wir das System bereits mit höheren Geschwindigkeiten einführen.

Wie schnell kann Stellantis das System auf viele Modelle ausrollen, inklusive Marken wie Opel oder Fiat?

Unser Ziel ist die Demokratisierung von AutoDrive-Technologien. Es soll kein Premium-Feature bleiben, sondern durch Skalierung in den Massenmarkt und zu unseren Volumenmarken wie Opel oder Fiat gelangen.

Welche Rolle spielt KI generell bei der Entwicklung autonomer Fahrsysteme?

KI-Modelle existieren seit 20, 30 Jahren. Solche Technologien entwickeln sich zunächst langsam, bevor sie eine disruptive Phase erreichen. Ein Beispiel ist Deepseek, das mit weniger Rechenleistung ähnlich komplexe Modelle betreiben kann wie OpenAI. Autodrive wird durch KI vorangetrieben. Der Fokus liegt derzeit auf der Wahrnehmung, aber es wird zunehmend auch das Motion Control und weitere Sensoren einbeziehen. Zum Beispiel können Kameras im Innenraum feststellen, ob der Fahrer aufmerksam ist oder gesundheitliche Probleme hat. Solche Informationen müssen in KI-Modelle integriert werden. Hier werden wir in Zukunft große Fortschritte sehen.

Welche Manpower steckt hinter der Entwicklung des Systems und wie groß ist das Entwicklungsteam bei Stellantis generell?

Unser AutoDrive-Team umfasst etwa 300 Entwickler. Insgesamt beschäftigt Stellantis weltweit rund 4.000 Entwickler in zehn Hubs, die sich über Nord- und Südamerika, EMEA sowie Asien erstrecken. Neben AutoDrive gehören dazu auch die Entwicklung des Cockpits, der Basissoftware, des Betriebssystems, der Onboard-Elektronik sowie der Backend-Systeme und mobilen Anwendungen.

Zur Person:

Heiko Schilling ist seit August 2022 bei Stellantis tätig und leitet dort den Aufbau eines Software-Teams zur Förderung erschwinglicher, emissionsfreier Mobilität. In seiner Rolle soll er die digitale Transformation des Unternehmens vorantreiben und Strategien zur Integration moderner Softwarelösungen in die Fahrzeugarchitektur entwickeln.

Vor seiner Zeit bei Stellantis war Schilling unter anderem Vice President Software Engineering und Head of Navigation bei TomTom, wo er über 13 Jahre lang die Entwicklung von Navigationslösungen verantwortete. Dort leitete er weltweit über 50 Softwareentwicklungsteams und trug zur Skalierung des Navigationsgeschäfts bei.Weitere Stationen seiner Karriere umfassen Amazon, wo er als Leiter des International Tech Expansion Teams die globale Expansion des Unternehmens beschleunigte, sowie Beratungs- und Führungsrollen bei Greater Than und Gousto. Seine Karriere begann er als Wissenschaftler an der TU Berlin, wo er innovative Algorithmen für Navigations- und Verkehrsleitsysteme entwickelte.

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