Volocopter

Rund 350 verschiedene Unternehmen sind im Markt für Flugtaxis aktiv. Diese Zahl dürfte in Zukunft sinken. (Bild: Volocopter)

Die Zahlen sind beeindruckend. Im Sommer 2022 führte die Vertical Flight Society (VFS) erstmals mehr als 700 Designs für elektrisch betriebene Senkrechtstarter – eVTOLs, vulgo: Airtaxis oder Passagierdrohnen – in ihrem Verzeichnis auf. Darunter fallen aktiv verfolgte und ruhende. Die Zahl, hinter der fast 350 Unternehmen aus aller Welt stehen, hat sich laut der VFS innerhalb der vergangenen zwei Jahre verdoppelt. Zudem habe sich 2021 die Summe der Finanzmittel für die eVTOL-Entwicklung verdoppelt. Waren es laut der VFS zwischen 2010 und 2020 etwa 4,5 Milliarden US-Dollar, so gingen 2021 mehrere Unternehmen an die Börse oder ergatterten massive private Investitionen. Deshalb sei das Volumen auf insgesamt zehn Milliarden US-Dollar gewachsen.

Und trotzdem: „Die Konsolidierung des Marktes ist bereits in vollem Gang“, sagt Manfred Hader, Partner bei der Managementberatung Roland Berger. „Erste Projekte werden gestoppt, verlassen den Markt oder werden von anderen Playern übernommen.“ Roland Berger beziffert die Zahl aktiver Projekte auf derzeit rund 400. Im Moment betreffe die Konsolidierung vor allem noch kleinere Projekte, die keine weiteren Mittel von Geldgebern erhielten und somit gezwungen seien, ihr Geschäft aufzugeben oder zu veräußern. „Ab 2023 wird es auch bekanntere Player auf dem Markt treffen, sollten sie keine weitere Finanzierungsrunde mehr abschließen und die bestehenden Investoren kein weiteres Kapital zur Verfügung stellen“, mutmaßt Hader.

Nur eine Handvoll Anbieter bleibt übrig

Dass eVTOLs und ihre Versprechungen wie jede neue Technologie das Tal der Tränen durchschreiten werden, war klar. „Wir rechnen mit gut einer Handvoll Playern, die sich erfolgreich durchsetzen können, maximal acht bis zehn“, so Hader. Die Corona-Pandemie habe im positiven Sinne wie eine Art Brandbeschleuniger für eVTOLs gewirkt, weil das Thema Nachhaltigkeit stark in den Vordergrund rückte. „Inflation, steigende Leitzinsen, hohe Energiepreise wirken sich dagegen negativ aus, weil Investoren zurückhaltender werden“, sagt Hader. „Hinzu kommt, dass eine gewisse Ernüchterung eingetreten ist. Die von den eVTOL-Playern proklamierten Zeitleisten waren zu optimistisch, was immer mehr Marktteilnehmer realisieren. Das wiederum macht es für Investoren ebenfalls unattraktiver.“ Bislang hat auch noch kein Anbieter den langwierigen Prozess der Zulassung durch die Behörden in den verschiedenen Weltregionen abgeschlossen.

Die aktuelle Situation, so Hader, berge aber auch Gelegenheiten für eVTOL-Player und Unternehmen aus anderen Branchen, um sich wertvolles geistiges Eigentum zu sichern. „Man sollte also den Markt und die Player genau beobachten und frühzeitig attraktive Targets identifizieren, die für eine Akquisition sinnvoll erscheinen, um das eigene Technologieportfolio zu ergänzen.“ Das gelte auch für die Automobilindustrie.

Unterschiedliche Strategien der Autobauer

Überhaupt die Automobilindustrie: Als das Konzept der Passagierdrohnen aufkam, war die Branche sehr interessiert an der „Alternative zum Stau“. Später wurde es dann ruhiger, mancher OEM ließ seine Designstudien wieder mehr oder minder still in den Schubladen der Entwicklungsabteilungen verschwinden. Trotzdem ist es nicht so, dass sich die Branche zurückgezogen hätte, im Gegenteil – die Strategien fallen aber sehr unterschiedlich aus. „Der Fokus der OEMs ist stark von der jeweiligen Region abhängig“, sagt Hader. „In Asien sehen wir verstärkt OEMs die selbst Vehikel entwickeln, wohingegen OEMs in Europa und den USA sich entweder auf die angrenzenden Services fokussieren oder selektiv in bestehende eVTOL-Player über ein Direktinvestment eingekauft haben.“ Stichworte für „angrenzende Services“ seien etwa das Laden oder die intermodale Mobilität.

Ein Beispiel für ein Direktinvestment ist das der damaligen Daimler AG beim Bruchsaler Unternehmen Volocopter oder Toyota Motors beim kalifornischen Unternehmen Joby Aviation. Die Hyundai Motor Group dagegen hat mit Supernal eine Konzerntochter gegründet, die selbst ein eVTOL entwickelt und mit Partnern an einem Ökosystem für Passagierdrohnenflüge arbeitet.

Hyundai Supernal
Die Hyundai-Tochter Supernal arbeitet in Großbritannien an einem Flughafen für Flugtaxis. (Bild: Hyundai)

Flugzeugbauer entdecken der Markt für sich

Neben vielen Start-ups agieren in diesem Feld inzwischen auch etablierte Flugzeugbauer, die natürlich allein aufgrund ihres Standings im Markt und ihrer Netzwerke in einer guten Ausgangsposition für künftige kommerzielle Angebote sind. Ein Beispiel ist Airbus, das mit dem CityAirbus NextGen ein eigenes eVTOL entwickelt: einen Viersitzer mit 80 Kilometer Reichweite und 120 Kilometer pro Stunde Reisegeschwindigkeit. Weitere Beispiele sind Boeing, das sich für 450 Millionen US-Dollar in den kalifornischen Start-up Wisk Areo eingekauft hat, und der brasilianische Flugzeugbauer Embraer, der Eve Air Mobility im Jahr 2020 als Tochterunternehmen ausgründete.

Doch über Erfolg oder Misserfolg der eVTOL-Vision entscheiden bei Weitem nicht nur die eigentlichen Fahrzeuge. Laurie Garrow, Co-Direktorin des Center for Urban and Regional Air Mobility am Georgia Tech Institute in Atlanta hat zusammen mit Kollegen mehr als 800 Veröffentlichungen aus den Jahren 2015 bis 2020 zur Urban Air Mobility in einer Metastudie analysiert, um wichtige Fragestellungen für die weitere Entwicklung des Feldes zu identifizieren. Die Studie ist 2021 erschienen und benennt vier Punkte: Erstens bedürfe es verfeinerter Nachfragemodelle, die die Zeiten und Situationen berücksichtigten, zu denen Reisende ein eVTOL nutzen wollen. Zweitens seien Simulationsmodelle nötig, die Vertiport-Standorte, Nachfrage, Preisgestaltung, Abfertigung und Luftraumrestriktionen in Zusammenhang brächten. Drittens müssten Einwegflüge und Parklimitierungen in Bedarfs- und Betriebsmodellen berücksichtigt werden. Und schließlich, viertens, seien realistischere tageszeitliche Energiebedarfsprofile für die eVTOLs nötig, um zu klären, ob die Stromnetze dafür geeignet seien. „Diese Probleme lassen sich nicht allein durch die Luftfahrt-Community lösen“, resümiert das Autorenteam.

Lieferdrohnen als Wegbereiter

Ein wichtiges Feld für einen reibungslosen Verkehr mit Passagierdrohnen ist die Sicherung des unteren Luftraums. In den großen Industrienationen gibt es hierfür inzwischen Entwürfe, sowohl seitens der Flugaufsichtsbehörden als auch seitens der Forschung. „Die Rahmenbedingungen für den Betrieb von unbemannten Drohnen machen rasch Fortschritte“, resümiert ein spanisch-serbisches Autorenteam um den Forscher Jordi Pons-Prats in einer aktuellen Analyse. Dagegen sei der Passagiertransport mit eVTOLs „noch auf einem sehr unfertigen Niveau“. Deshalb geht das Autorenteam davon aus, dass Lieferdrohnen für die letzte Meile den eVTOLs den Weg ebnen werden. Einige der mit Lieferdrohnen gemachten Erfahrungen ließen sich direkt auf Passagierdrohnen übertragen.

Wie positionieren sich die Weltregionen?

Nach Einschätzung von Roland-Berger-Berater Hader kommt China und der Mittlere Osten die Rolle als eVTOL-Pilotanwender zu. China werde allerdings ein für ausländische Player schwer zugänglicher Markt sein. Politisch gewollt ist dort eine Dominanz der eigenen Unternehmen. In Asien schätzt Hader auch Japan als wichtigen Markt ein, aufgrund „der hohen Einwohnerdichte und Megacities, hier entstehen bereits ganze Ökosysteme“. In den USA sorgten die beschränkten öffentlichen Verkehrsmittel und die vielen regionalen Flughäfen für attraktive eVTOL-Marktbedingungen. „Dagegen werden Use Cases für eVTOLs in Europa durch die existierenden umfangreichen öffentlichen Transportmittel limitiert, mit denen sie im Preiswettbewerb stehen“, sagt Hader. „Damit sich eVTOLs gegenüber Schnellzügen behaupten können, muss es erst zu einer großflächigen Skalierung kommen.“

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