
„Die Komplexität von Software, Anwendungslandschaften und Architekturen nimmt stetig zu", betont VP Ecosystem Development Michael Plagge von der Eclipse Foundation im Hinblick auf die SDV-Entwicklung. (Bild: Adobe Stock / Catsby_Art)
Anfang April hat die Eclipse Foundation den dritten und letzten Teil einer Studienreihe zur Nutzung von Open-Source-Software im Automobil veröffentlicht. Im Mittelpunkt der Befragung standen die technischen und organisatorischen Herausforderungen, vor denen Unternehmen beim Einsatz von Open-Source-Software in softwaredefinierten Fahrzeugen stehen. Die Studie wurde im Auftrag der noch jungen Software-Defined Vehicle (SDV) Working Group der Eclipse Foundation durchgeführt. Befragt wurden 300 Entwickler und Führungskräfte von OEMs und Tier-1-Zulieferern.
Die Ergebnisse zeigen: der Open-Source-Ansatz ist auch im Auto gekommen, um zu bleiben. Das verdeutlicht das Beispiel BMW. Der Konzern ist strategisches Mitglied der SDV Working Group und seit zehn Jahren in verschiedenen Projekten der Eclipse Foundation involviert. Das Infotainment in den BMW- und MINI-Modellen beruht seit dem BMW Operating System 9 auf dem Android-Open-Source-Projekt. Das markenprägende Kundenerlebnis entwickelt der OEM dann in Eigenregie auf der Grundlage dieses Stacks. Diese Herangehensweise wird sich mit dem Operating System X, das in den Fahrzeugen der Neuen Klasse zum Einsatz kommen soll, weiter fortsetzen. „Insbesondere bei Basisfunktionen und der Entwicklungstool-Kette sehen wir aber noch mehr Potenzial für den Einsatz von Open Source“, sagt Christian Salzmann, Vice President Global Software-Platforms, -Strategy und -Factory bei BMW.
„Wir haben unsere Entwicklungsprozesse angepasst, sodass wir an jeder Stelle im Softwareentwicklungsprozess theoretisch in der Lage sind, Open-Source-Komponenten einzusetzen“, so Salzmann weiter. Eine vollständige Angleichung von Open-Source- und Closed-Source-Entwicklungsprozessen sei jedoch schwer möglich, da sich die vertraglichen Beziehungen mit den Partnern in Bezug auf Lizenz- und Verantwortungsmodelle stark unterscheiden.
Open-Source auch im Sicherheitsbereich?
Auch Elektrobit ist schon länger im Open-Source-Umfeld aktiv und ebenfalls Mitglied der SDV Working Group. „Ein großer Treiber für Open Source im Fahrzeug ist die sich auflösende Grenze zwischen Unternehmens-IT und Automotive-Software“, sagt Moritz Neukirchner, Senior Director Strategic Product Management beim Unternehmen. „Es macht zum Beispiel keinen Sinn, für Fahrzeuge ein eigenes Ökosystem dort aufzubauen, wo es dank Android bereits existiert.“ Besonders bei europäischen und japanischen OEMs stellt Neukirchner ein großes Interesse an Open Source fürs softwaredefinierte Fahrzeug fest.
Inzwischen habe Open Source Einzug in sämtliche Bereiche der automobilen Softwarearchitektur gehalten, selbst sicherheitskritische Prozesse seien abbildbar. „Zunächst passt das ja eigentlich nicht zusammen, weil Open Source historisch nicht in diesem Umfeld entstanden ist“, sagt Neukirchner. Elektrobit hat inzwischen die erforderliche Qualifizierung für erste Open-Source-basierte Produkte mit Safety-Unterstützung vorgenommen und auf den Markt gebracht. Dafür brauche es in den Projekten letztlich immer ein Unternehmen, das zum Beispiel in die Haftung gehe. „Deshalb halten wir auch Distributoren für Open-Source-Automotive-Software für so wichtig“, sagt Neukirchner. „So ein Ansatz verändert natürlich auch für uns völlig den Business Case.“
Christian Salzmann sieht das ähnlich: „Erfolgsentscheidend ist auch ein tragfähiges Geschäftsmodell von Distributoren, die die Pflege, Qualifizierung und Verantwortung für das Open-Source-basierte Softwareprodukt übernehmen, und sich somit in die Wertschöpfungskette unserer Industrie einfügen.“ Überhaupt müsse die Community die Prozesse für die Anwendung von Open-Source-Software gemeinsam weiterentwickeln, sodass die Integration in Fahrzeugprojekte noch einfacher erfolgen könne. Das betreffe vor allem die nicht funktionalen Aspekte der Softwareentwicklung, Dinge wie Dokumentation, Testing und Absicherung oder Releasemanagement.
Wie lassen sich Konzepte umsetzen?
Moritz Neukirchner sagt, dass eine Safety-Qualifizierung in einem Open-Source-Projekt „derzeit noch selten möglich ist“, was dazu führe, dass Projekte immer wieder „im Status einer Machbarkeitsstudie hängen bleiben“. Das liege daran, dass in den Open-Source-Projekten die Erstellung von Sicherheitsnachweisen nicht teil des regulären Entwicklungsprozesses sei. „Hier sollte die Community sich schon viel früher mit der späteren Qualifizierung und Pflege einer Software befassen.“
In dieser Hinsicht sieht Neukirchner in dem Projekt Eclipse S-Core einen Leuchtturm, mit dem die Community genau solche Punkte adressieren möchte. Im Projekt soll ein „Safe Open Vehicle Core“ zum nicht-differenzierenden Kern eines Software-Stacks werden, der auf hochleistungsfähigen Steuergeräten eines softwaredefinierten Fahrzeugs laufen kann. Doch neben der bloßen Code-Implementierung befasst sich das Projekt anhand von Best Practices auch mit der Frage, wie sich Konzepte und Implementierungen von Prozessen umsetzen lassen. „Hier sind ganz klar Unternehmen gefordert, denn nur sie können die entsprechenden Vertragswerke aufsetzen“, sagt Neukirchner.
Die Verbreitung von Open Source für das softwaredefinierte Fahrzeug hat sich in den vergangenen Jahren beschleunigt. Gab es vor einem Jahrzehnt tatsächlich noch OEMs und Tier-1-Zulieferer, deren Entwicklungsteams sogar explizit nachweisen mussten, dass ihr Code keine Open-Source-Anteile enthält, tragen inzwischen immer mehr Unternehmen selbst zu Open-Source-Automotive-Projekten bei. Wie neu diese Entwicklung trotz allem noch ist, zeigt sich auch daran, dass Stakeholder noch immer glauben, betonen zu müssen, dass „Open Source“ nicht mit „gratis“ gleichzusetzen ist. Es ist ein Irrglaube, dem in der Enterprise-IT wohl schon seit zwei Jahrzehnten niemand mehr anhängen dürfte.
Projekte sollen miteinander verknüpft werden
Die SDV Working Group gibt es nun seit rund drei Jahren. „Anfangs waren da zwar viele Projekte, aber oft gab es dann niemanden, der den Code wirklich aufgriff“, sagt Ansgar Lindwedel, Director SDV Ecosystem Development bei der Eclipse Foundation. Das habe sich inzwischen gewandelt. Die später gestarteten Projekte wiesen viel mehr Mitglieder auf. Denn, da ist sich Lindwedel sicher: „Es geht im Fahrzeug nicht mehr ohne Open Source. Software für den Automobilbereich erfordert 20 Jahre lang Maintenance und wird, selbst wenn sie anfangs ein Alleinstellungsmerkmal hatte, irgendwann zum Commodity-Produkt. Wir werden daher wohl immer mehr eine Softwarekonsolidierung hin zu Open Source erleben.“
Gleichzeitig ist Open-Source-Software inzwischen hochprofessionell entwickelt – und vermeidet Parallelaufwand. Um den auch in den Community-Projekten möglichst zu vermeiden, will Eclipse verstärkt auf potenzielle Anknüpfungspunkte zwischen Projekten hinweisen. „Aber letztlich trifft immer die Community und nicht Eclipse die Entscheidung, den einen oder den anderen Weg zu gehen“, stellt Lindwedel klar.
Bei der Open-Source-Entwicklung gehe es zu 70 Prozent um Menschen, Unternehmenskultur und Vertrauen – und nur zu 30 Prozent um Technik. Für eine Weiterentwicklung der Community wünscht sich Lindwedel, dass Entwicklungsteams seitens ihres Arbeitgebers die Freiheiten bekommen, um sich in der Community zu engagieren. „Damit meine ich nicht nur zeitliche Freiräume, sondern klare Signale, dass ein Engagement seitens des Unternehmens gewollt ist. Entwickler sollten in der Community für das Unternehmen auch technische Entscheidungen treffen dürfen.“
Umgekehrt sollten auch die Entwicklungsteams bereit sein, diese Ermächtigung tatsächlich anzunehmen, beispielsweise in Projekten den ersten Schritt zu tun und Code einzustellen, so Lindwedel. Immer wieder stelle er da – vor allem zu Beginn eines Projekts – eine „gewisse Schüchternheit“ fest, wohl gespeist von der Sorge, ob man gut genug ist. Hier rät Lindwedel zu mehr Mut: „Die Open-Source-Entwicklung ist ein Community-Prozess, ein iterativer gemeinsamer Prozess, eingestellter Code muss also anfangs nicht perfekt sein.“ Vielmehr propagiere die Eclipse Foundation die Formel „better done, than perfect“.