Stefan Bratzel im Gespräch mit Automobil Produktion

Bei OEMs stellt sich laut Stefan Bratzel gerade ein Konsolidierungsdruck ein. (Bild: Claus Dick)

MSR 2020

Den diesjährigen Mobility Services Report können Sie hier kostenfrei herunterladen.

Das Jahr 2020 ist fest im Griff von Corona-Pandemie und Strukturwandel in der Automobilindustrie. Welche Auswirkungen hat das auf die New-Mobility-Branche und welche Akteure könnten als Profiteure aus der Krise hervorgehen?

Die Coronakrise wirkt wie ein Katalysator auf den aktuellen Ausleseprozess bei neuen Mobilitätsdienstleistungen. Steigende Kosten und schärfere Hygienevorschriften bei gleichzeitig sinkender Nutzerzahl setzen vor allem kleinere Akteure im Feld enorm unter Druck. Hinzukommt, dass durch die Pandemie die Neigung zu Kooperationen zugenommen hat. Unterdessen versuchen vor allem die Städte und Gemeinden bei neuer Mobilität stärker zu koordinieren, um beispielweise durch exklusive Fahrspuren für Micromobility mehr Raum für neue Services zu schaffen. Mobility Provider wie Uber oder Didi Chuxing können derweil nur noch durch Zukäufe wachsen, gleichzeitig sehen sich die großen Fahrdienstvermittler mit immer mehr Regulierung konfrontiert - auch durch Corona.

Und was ist mit den Autoherstellern?

Bei den OEMs stellt gerade auch aufgrund des steigenden Kostendrucks eine Konsolidierungsphase ein: Einige OEMs wie beispielsweise BMW und Daimler ziehen sich aus bestimmten Geschäftsfeldern zurück, andere kommen mit neuen Diensten hinzu wie zum Beispiel Volkswagen, Toyota oder Hyundai – eine sehr heterogene Entwicklung. Insgesamt befinden wir uns in einer Transitionphase, in der nicht eindeutig zu umreißen ist, wie sich die Mobilitätswelt der Zukunft im Detail zusammensetzen wird. Die Phase des Experimentierens, in der Geld keine Rolle spielt, scheint in jedem Fall vorbei zu sein

Im Fokus des diesjährigen Mobility Services Report steht die Multimodalität. Vom Prinzip her sind die Geschäftsmodelle hierbei ja die Königsdisziplin der Future Mobility, da alle Verkehrsträger und Mobilitätsformen vereint werden. Dennoch hat man den Eindruck, das Marktumfeld ist hier deutlich ruhiger als in anderen Mobilitätsbereichen. Täuscht der Eindruck?

Services rund um das Thema Multimodalität befinden sich immer noch in einer Frühphase der Entwicklung und sind zugleich auch sehr voraussetzungsvoll. Akteure müssen eine Vielzahl an Diensten und Verkehrsträgern koordinieren können, es bedarf eines hohen Levels an Datenkompetenz und es darf keine Scheu vor Kooperationen geben. Betrachtet man das Thema derweil aus städtischer Sicht, stellt man nicht nur positive Effekte fest: Multimodalität erzeugt ein erhöhtes Verkehrsaufkommen, es gibt schlichtweg mehr Fahrzeuge, die neue Wege absolvieren. Und sie führt dazu, dass Menschen weg von nachhaltiger Mobilität wie ÖPNV oder Zufußgehen hin zum motorisierten Verkehr gezogen werden. Das zeigt, ein Mehr an Mobilitätsdiensten ist nicht immer gleichzusetzen mit einem Mehr an Komfort und Umweltverträglichkeit. 

Das klingt nach einem Dilemma… 

Es bräuchte eine koordinierende Instanz, die die verschiedenen Verkehrsträger intelligent unter einen Hut bringt, möglichst untermauert durch eine klare Mobilitätsstrategie. Im lokalen Raum liegt diese Rolle meines Erachtens bei Stadt und Verwaltung beziehungsweise den Verkehrsbetrieben, die natürlich über Kompetenzen, aber auch über eine hohe politische Durchsetzungskraft verfügen müssen. Zudem muss man bereit sein, Kooperationen mit der Privatwirtschaft einzugehen, die das Thema New Mobility aktuell pusht. Für eine auf lange Sicht angelegte, nachhaltige Multimodalität sind daher hohe Hürden zu überwinden.

Wie wird sich das aufkommende Mobilitätsuniversum in naher Zukunft weiterentwickeln? 

Wir bewegen uns in Zukunft weiterhin in zwei Bereichen: Der Ownership- und der Sharing-Welt. Bei Charging- oder Parking-Services wird das klassische Ownership-Modell überwiegen, in der Sharing-Welt, die aus ganz unterschiedlichen Verkehrsformen besteht, sieht es indes anders aus. Hier gilt es, Wege zu finden, wie privatwirtschaftliche Player mit öffentlichen Akteuren kooperieren und damit zur Klärung der großen Fragen rund um Mobilität und Umwelt in städtischen Regionen beitragen können. So müssen beispielsweise Fahrdienste als Ergänzung des ÖPNV integriert werden, um beispielsweise Menschen vom Land in die Stadt zu befördern. Das Interesse der Privatwirtschaft allein reicht hier nicht aus. 

Was heißt das für die OEMs?

Autohersteller müssen sich ein Stück weit entscheiden, ob sie das Ownership-Modell auf den suburbanen und ländlichen Raum beschränken und Sharingkonzepte in Kombination mit autonomer Mobilität in der Stadt forcieren wollen. Hier werden sich in den kommenden Jahren Möglichkeiten ergeben, sich dahingehend klar zu positionieren. Momentan sind die OEMs jedoch noch sehr zerrissen zwischen altem und neuem Geschäftsmodell.

Sie möchten gerne weiterlesen?