Nach einer mehrjährigen Evaluationsphase hat die BMW Group im Jahr 2020 ihre Quantencomputing-Strategie formuliert. „Wir verstehen das Quantencomputing als strategische Zukunftstechnologie, die unserem Kerngeschäft nützen kann und uns als Innovationsführer positioniert“, sagt Andre Luckow, Leiter Innovation & Emerging Technologies der BMW Group. „Mit unseren Aktivitäten in diesem Feld wollen wir zudem den Standort Europa in seiner digitalen Souveränität stärken.“ Alle Quantencomputing-Aktivitäten der BMW Group IT seien dabei auf mögliche industrielle Anwendungen ausgerichtet. Dazu gehöre auch viel Benchmarking gemäß anerkannten Standards, aber auch nach neuen Applikationsbenchmarks.
Drei große Anwendungsfelder bilden den Kern der Strategie: Materialwissenschaften, Engineering sowie Prozesse. Bei Prozessen stehen Optimierungsprobleme im Vordergrund, für die ein Quantencomputer interessant sein könnte. Bei materialwissenschaftlichen Fragen ist er für die Simulation von Vorgängen auf atomarer Ebene relevant und im Engineering womöglich bei spezifischen numerischen Simulationen. „Für alle drei Anwendungsfelder spielt natürlich auch künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle, schließlich setzen wir im Konzern schon heute fast überall KI ein, wo wir Daten produzieren“, so Luckow. „Die Verknüpfung von Quantencomputing mit KI eröffnet nochmals neue Möglichkeiten.“
KI und Simulation erfordern mehr Rechenleistung
Im Engineering wird die Bedeutung von numerischen Simulationen und digitalen Zwillingen künftig weiter zunehmen. Durch neue und komplexere Simulationsformen, immer neue Fahrzeugmodelle und den verstärkten Einsatz von KI steigen die Anforderungen an die Rechenleistung. CPUs, von denen der Konzern heute 400.000 für das High-Performance Computing (HPC) einsetzt, stehen an einem Ende der Spanne möglicher Hardware. Sie sind sehr flexibel einsetzbar, aber nicht so effizient beim Rechnen. Dagegen können Quantencomputer sehr effizient rechnen, sind aber nur für spezifische Aufgaben einsetzbar. „Wir untersuchen ständig neue Hardwaretechnologien, auch bei CPUs, nun erweitern wir unsere GPU-Kapazitäten fürs HPC“, sagt Luckow. „Des Weiteren untersuchen wir Quantencomputer auf ihre Eignung für spezielle Aufgaben.“ Wichtig bei solchen Evaluationen sei aber immer, dass die „im Konzern vorhandenen Softwaretools zur Hardware passen“. Sonst, so der Experte, lasse sich kein Business Case sinnvoll aufsetzen.
Weil das Quantencomputing ein sehr forschungsnahes Thema ist, setzt die BMW Group-IT auf eine enge Vernetzung mit der Wissenschaft und finanziert jeweils eine Stiftungsprofessur an der TU München und der RWTH Aachen. Während das Münchner Team algorithmischen Grundlagen für industrierelevante Anwendungen nachgeht, forscht das Aachener Team an konkreten Softwarelösungen und -kompetenzen. Darüber hinaus vernetzt ein Promotionskolloquium die Doktorandinnen und Doktoranden bei BMW mit denen der Stiftungsprofessuren in München und Aachen.
Quantenentwicklung ist Teamsport
Daneben forscht das Unternehmen zusammen mit akademischen und industriellen Partnern in vier geförderten Projekten zu Fragen des Quantencomputings anhand industriell relevanter Use Cases. Zudem ist BMW Mitglied des Konsortiums QUTAC, in dessen Rahmen große deutsche Unternehmen das Quantencomputing für industrielle Zwecke voranbringen wollen. „Zur weiteren Vernetzung mit der Quanten-Community haben wir gemeinsam mit Airbus 2023 die Quantum Mobility Quest ausgerufen“, so Luckow. „In diesem Wettbewerb können Unternehmen oder Forschungseinrichtungen Lösungsvorschläge für vier vorgegebene Probleme einreichen, die einen Bezug zur Mobilität haben.“ Mehr als 100 Vorschläge gingen ein. In einer zweiten Phase benchmarken nun insgesamt 15 Teams ihre Lösungen mit Datensätzen, die Airbus und BMW zur Verfügung stellen. In jedem der vier Problemfelder winken dem Sieger 30.000 US-Dollar Preisgeld.
„Durch unsere kontinuierliche Arbeit am Thema Quantencomputing haben wir inzwischen die für uns vielversprechendsten Anwendungen identifiziert“, sagt Luckow. Fortschritte in der Entwicklung des Quantencomputings gebe es überall. So sei die Qubit-Technologie weiter und vielfältiger als noch vor wenigen Jahren. Zum Beispiel gibt es inzwischen Systeme mit 1.000 physikalischen Qubits aus Supraleitern. Darüber hinaus wurden signifikante Fortschritte bei anderen Qubit-Modalitäten erzielt, wie beispielsweise bei Qubits aus Ionenfallen oder neutralen Atomen. Trotzdem bleibt zu bedenken: „Die Hardware entwickelt sich noch nicht schnell genug für industrielle Anwendungen“, wie Luckow schildert.
Use Cases müssen gut überlegt sein
BMW ist zu dem Schluss gekommen, dass die aktuellen Systeme nicht performant genug sind, um Optimierungsprobleme zum Beispiel in der Produktion oder in der Werkplanung mit Quantencomputern anzugehen. „Für solche Anwendungen erwies sich ein klassischer Ansatz als schneller“, so Luckow. Ein Beispiel, bei dem das BMW-Team zu diesem Ergebnis kam, ist die Roboterbahnplanung zur Versiegelung von Nähten an Karosserie und Unterboden mittels mehrerer Roboter – ein typisches Optimierungsproblem. „Obwohl der Quanten-Ansatz dabei letztlich keinen Geschwindigkeitsvorteil bot, profitierte der klassische Ansatz übrigens von dem Benchmarking, weil wir das Modellierungsproblem dafür nochmals grundlegend neu durchdenken mussten“, sagt Luckow.
Bei materialwissenschaftlichen Problemen sei die Situation anders. „Grundsätzlich ist man sich in der Forschung einig, dass bei Berechnungen, die viele Teilchen berücksichtigen, allein schon aufgrund der quantenphysikalischen Wechselwirkungen zwischen den Partikeln ein Quantencomputer überlegen ist. Klassische Computer scheitern bei der vollständigen Berechnung von mehr als 40 bis 50 Teilchen“, verdeutlicht Luckow. So hat BMW in einem gemeinsamen Projekt mit Airbus und Quantinuum, einem Hersteller von Ionenfallen-Quantencomputern, Alternativen zu reinem Platin als Katalysatormaterial in Brennstoffzellen-Elektroden simuliert. Eine Materialmischung aus Platin und Cobalt erwies sich als vielversprechend. Allerdings war die Rechenleistung des Quantencomputers auch hier zu beschränkt, um die Metalle unter realen Brennstoffzellenbedingungen zu simulieren, möglich war nur die Untersuchung einer etwas künstlichen Situation.
KI und Quantencomputing versprechen Synergie
Vielversprechende Signale gibt es auch bei KI-Ansätzen für das Quantencomputing. So kann Quantum Machine Learning genutzt werden, um einfache Datensätze zu klassifizieren. Darüber hinaus spielt KI eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Quanten-Hardware und -Software, beispielsweise um Ergebnisse aus einem Quantencomputer fehlerkorrigiert auszulesen oder um Realdaten vorzubereiten, um sie für Quantenrechner überhaupt verarbeitungstauglich zu machen.
„Beim Quantencomputing ist BMW sehr tief in eine IT-Technologie eingestiegen – vielleicht so tief wie nie zuvor“, so Luckow. „Quantencomputing ist ein hochstrategisches und langfristiges Thema für uns. Wir setzen uns aber auch kritisch mit den aktuellen Entwicklungen auseinander und adaptieren unsere Vorgehensweise entsprechend.“