Quantencomputer von IBM.

Quantencomputer basieren auf quantenmechanischen Prinzipien. Sie können wesentlich komplexere Rechnungen durchführen als herkömmliche Computer. (Bild: IBM)

Die zunehmende Komplexität von Produkten und Produktion ließ in den vergangenen Jahren den Ruf nach mehr Leistungsfähigkeit von Rechnern laut werden. Was in der 60er- und 70er-Jahren als Gedankenspiel zweier IBM-Forscher begann, soll in naher Zukunft all jene Aufgaben lösen helfen, die sich mit Computern im herkömmlichen Sinn, auch mit den heutigen Hochleistungssystemen, nicht mehr werden bewältigen lassen.

Das Geheimnis von Quantencomputern liegt – anders als bei üblichen Rechenprozessen – in den sogenannten Qubits. Im Gegensatz zu den üblicherweise in Form von Bits gespeicherten Informationen, die entweder den Zustand Eins oder Null annehmen, kann ein Qubit beides zugleich sein. Diesen Zustand kann es halten, bis es genauer betrachtet oder vermessen wird. Anstelle eines klaren Ergebnisses nimmt ein Quantencomputer ein Quantenexperiment vor. Dieses muss häufig wiederholt werden.

Kollaborationsplattformen pushen Quantencomputing

Erste Einsätze mit fragilen Qubits reichen in die 1980er-Jahre zurück. In Folge langjähriger Verbesserungen sehen Experten die Technologie heute als vielversprechenden Weg, künftig sehr komplexe Rechnungen durchführen zu können. Bestimmte Arten mathematischer Probleme können dabei in Quantenäquivalente übersetzt werden. Um zuverlässig zu funktionieren, müssen jedoch zahlreiche äußere Parameter stimmen. Vereinfacht gesagt bedürfen die Systeme einer Abschottung gegen äußere Einflüsse etwa in Form einer entsprechenden Kühlung, eines Vakuums oder einer elektromagnetischen Abschirmung.

Mit Blick auf die Entwicklung der Systeme gehen IBM-Experten von einem stufenweisen Prozess in den kommenden Jahren aus, wobei sie von einer immer höheren Zahl simulierbarer Qubits, dem Erreichen der 1.000-Qubits-Barriere und einer fast perfekt arbeitenden Fehlerkorrektur sprechen. Dies werde in den nächsten Jahren komplexe Aufgaben in Wirtschaft und Wissenschaft erst lösbar machen, heißt es bei IBM. Bis dahin bleibt jedoch noch viel zu tun. Insbesondere sieht man beim Blick auf das Quantencomputing hierzulande die Wichtigkeit der Zusammenarbeit von Entwicklern und Nutzern in Kollaborationsplattformen als entscheidenden Hebel, um der Technologie zum Durchbruch zu verhelfen.

Quantum System One markiert einen Wendepunkt

In kurzer Abfolge wurden in diesem Jahr gleich zwei der leistungsstärksten Systeme präsentiert. Das erste außerhalb eines IBM-Forschungszentrums stehende kommt seit Jahresbeginn in Ehningen nahe Stuttgart bei der Fraunhofer-Gesellschaft zum Einsatz. Das sogenannte IBM Quantum System One bezeichnet das Tech-Unternehmen als leistungsstärksten Quantencomputer Europas. Die Anlage besteht aus einer Kühl- und Leitungseinheit (Cryostat), die wie ein goldener Armleuchter (Kandelaber) aussieht. An dessen unterem Ende befindet sich der Quantenchip. Dahinter steht eine schrankgroße Steuereinheit, mit der die Signale zu den Qubits geschickt und auch wieder ausgelesen werden.

Vom Start weg soll das System Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten für deren Projekte und Aufgaben zur Verfügung stehen und eine Experten-Community schaffen. Die Nutzung basiert auf einem Art Ticketsystem, anhand dessen die Rechnerkapazitäten monatsweise genutzt werden können. Das System wird unter deutscher Gesetzgebung betrieben, was für die Nutzer im Hinblick auf den Datenschutz und die IP-Sicherheit große Vorteile bieten soll.

Quantum System One

IBM Quantum System One

Im Quantum System One, wie es nun in Ehningen steht, setzt IBM einen 27-Qubit-Falcon-Prozessor ein. Beim Quantenprozessor handelt es sich um ein extrem mikroelektronisches Gerät, das lange Kohärenzzeiten und exakte, rauscharme Operationen mit einer Präzision von etwa zehn bis 20 Watt ermöglichen soll. Das IBM System Q One ist dahingehend optimiert, die Qualität, Stabilität, Zuverlässigkeit und Reproduzierbarkeit von Multi-Qubit-Anwendungen sicherzustellen.

Den Einsatz des Systems bezeichnete Arvind Krishna, CEO von IBM, anlässlich der Präsentation im Juni als Wendepunkt, von dem die deutsche Wirtschaft, Industrie und Gesellschaft stark profitieren werde. Mit Blick in die Zukunft sprechen die Experten vom Erreichen eines Quantenvorteils noch innerhalb dieses Jahrzehnts, also von jenem Punkt, von dem an ein Quantencomputer genauere und rechnerisch günstigere Lösungen liefert und überdies Lösungen für Probleme berechnet, die heute noch als unlösbar gelten.

Noch sind Unternehmen auf die Technologie weitgehend unvorbereitet und auch Trainings- und Weiterbildungsoptionen seien rar, heißt es bei IBM. Daher seien Partnerschaften wie jene mit dem Fraunhofer-Institut sehr wichtig, damit die Technologie Fuß fassen könne. Den Betrieb eines weiteren System One meldete IBM dann kürzlich im Juli mit der Universität von Tokio.

Interesse von OEMs und Zulieferern ist groß

In diesem Sommer erfuhr das Thema Quantencomputing zusätzlichen Schub in Form der Gründung des Quantum Technology and Application Consortiums, kurz QUTAC. Die Allianz aus deutschen Unternehmen, zu denen unter anderem Bosch, BMW und Volkswagen zählen, will industrierelevante Lösungen für die Branchen Technologie, Chemie und Pharma, Versicherung sowie die Automobilindustrie zur Marktreife bringen. Der kleine Kreis von Mitgliedern erlaube einen pragmatischen Austausch und eine schnelle Entscheidungsfindung bei der kurz- und mittelfristigen Entwicklung praxisrelevanter Lösungen, heißt es von Seiten des Autobauers BMW. Vorstandschef Oliver Zipse dazu: „Deutschland und Europa brauchen ein starkes Quanten Computing-Ökosystem, um technologisch auf der Höhe der Zeit zu sein und global wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Aktuell identifizieren die Mitglieder mögliche Applikationen und bewerten deren Potenzial für eine industrielle Umsetzung.

Der Münchener OEM ist beim Quantencomputing indes ein starker Treiber und arbeitet an diesem Thema auch mit der Forschung zusammen. Für den neuen Stiftungslehrstuhl an der Münchner Hochschule investiert BMW 5,1 Millionen Euro in Professur, Ausstattung und Mitarbeiter. Die Unterstützung soll über eine Laufzeit von sechs Jahren erfolgen. Die  bayerische Landeshauptstadt München und Stammsitz des OEMs soll sich dem Willen der Beteiligten nach zum „Munich Quantum Valley“ aufbauen, dessen unterschiedliche Initiativen die Landesregierung mit 300 Millionen Euro fördert. BMW identifiziert bereits seit 2017 im Rahmen eines interdisziplinären Projektteams das Anwendungspotenzial, das Berechnungen eines Quantencomputers für Optimierungen in kürzester Zeit bieten könnte. Zu den möglichen Profiteuren zählen die Produktion, die Teile-Logistik, die Fahrzeugentwicklung wie auch die Materialforschung.

Supraleitende Prozessoren oder gefangene Ionen?

Doch auch das Quantencomputing lässt Raum nicht nur mit Blick auf mögliche Anwendungen, sondern auch für Grundsatzfragen technischer Art: Während Google und IBM beim Prozessor auf supraleitende Schaltkreise setzen, nutzen die Forscherinnen und Forscher im Projekt IQuAn - Ionen-Quantenprozessor mit HPC-Anbindung - eine Rechnerplattform mit gefangenen Ionen. „Obwohl supraleitende Quantenprozessoren aktuell über mehr Recheneinheiten verfügen, ist bei gefangenen Ionen die Qualität der Rechenoperationen erheblich besser. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, in diese Technologie zu investieren", sagt Ferdinand Schmidt-Kaler von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, kurz JGU. Gemeinsam mit dem Entwicklungsdienstleister Akka meldete die JGU Ende März im Rahmen des Starts dieses auf drei Jahre angesetzten Projekts, den Anschluss des Quantenprozessors an den sogenannten Mogon II High Performance Computer in Mainz.

Mit dem technologischen Ansatz, einen Ionenfallen-Quantencomputer mit Rechenoperationen hoher Qualität mit hoher algorithmischer Flexibilität zu kombinieren, bieten sich laut Markus Müller, Leiter der Forschungsgruppe Theoretische Quantentechnologie am Forschungszentrum Jülich, vielversprechende neuartige Anwendungsmöglichkeiten sowohl für wissenschaftliche wie auch industriell relevante Problemstellungen. Ein wesentliches Kriterium für den Weg in die Anwendung liege jedoch in der Miniaturisierung der komplexen optischen Aufbauten und deren Integration in robuste Mikrosysteme, sagt Uwe Zeitner vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF. Am Projekt sind auch das Fraunhofer Institut für Lasertechnik ILT sowie der Anbieter von Lasersystemen für Forschung und Entwicklung, Toptica Photonics beteiligt und nehmen sich der Miniaturisierung und der entsprechenden Bearbeitungsprozesse an.

Experimenteller Aufbau eines Ionenfallen-Quantenprozessors der JGU Mainz.
Experimenteller Aufbau eines Ionenfallen-Quantenprozessors der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. (Bild: Thomas Klink)

Unternehmen erkennen Chancen des Quantencomputing

Wer Quantentechnologien beherrschen und anwenden kann, wird sich maßgebliche Wettbewerbsvorteile sichern“, ist sich Bitkom-Präsident Achim Berg sicher. Einer von Bitkom Research durchgeführten Studie zufolge, für die 605 Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern befragt wurden, schreiben rund 54 Prozent der Unternehmen der Entwicklung von Quantencomputern eine große Bedeutung für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu.

Mit zunehmender Größe des Betriebs wächst laut der Studie auch die Bedeutung des Themas: Während etwa jeder zweite Betrieb mit 20 bis 99 Mitarbeitern mit einer großen Bedeutung von Quantencomputern rechnet, beträgt der Wert in Großunternehmen mit mehr als 2.000 Beschäftigten 74 Prozent. Das Thema ist in der Politik angekommen: Um die Erforschung und Anwendung von Quantentechnologie zu unterstützen, nimmt der Bund in den kommenden Jahren rund zwei Milliarden Euro in die Hand.

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