
Quantencomputer basieren auf quantenmechanischen Prinzipien. Sie können wesentlich komplexere Rechnungen durchführen als herkömmliche Computer. (Bild: IBM)
Die zunehmende Komplexität von Produkten und Produktionsprozessen hat in den vergangenen Jahren die Forderung nach einer signifikanten Steigerung der Rechenleistung laut werden lassen. Insbesondere in Bereichen wie der Materialwissenschaft, der pharmazeutischen Forschung und der Künstlichen Intelligenz stoßen selbst Hochleistungssysteme an ihre Grenzen. Der Bedarf an leistungsfähigeren Rechnern, die in der Lage sind, äußerst komplexe und rechenintensive Aufgaben zu bewältigen, wächst stetig.
Was in den 1960er- und 1970er-Jahren als theoretisches Gedankenspiel von IBM-Forschern wie Richard Feynman und Yuri Manin begann, hat sich mittlerweile zu einem der spannendsten und vielversprechendsten Forschungsfelder der Informatik entwickelt: Quantencomputing. Diese Technologie könnte schon in naher Zukunft eine Schlüsselrolle bei der Lösung von Problemen einnehmen, die für herkömmliche Computer, selbst für die leistungsstärksten Supercomputer, unüberwindbar sind. Das Potenzial von Quantencomputern reicht weit über die Leistungsgrenzen klassischer Rechner hinaus und verspricht, Bereiche wie die Kryptographie grundlegend zu revolutionieren.
Wie funktioniert ein Quantencomputer?
Das Geheimnis von Quantencomputern liegt – anders als bei üblichen Rechenprozessen – in den sogenannten Qubits. Im Gegensatz zu den üblicherweise in Form von Bits gespeicherten Informationen, die entweder den Zustand Eins oder Null annehmen, kann ein Qubit dank eines Phänomens namens Superposition beides zugleich sein. Diesen Zustand kann es halten, bis es genauer betrachtet oder vermessen wird. Durch diese Besonderheit ist ein Quantencomputer in der Lage, viele mögliche Zustände gleichzeitig „durchrechnen“, anstatt jeden Zustand nacheinander zu prüfen, wie es ein klassischer Computer tun müsste. Dies erlaubt es dem System, eine enorme Parallelität zu erreichen und bestimmte Probleme viel schneller zu lösen als klassische Computer.
Erste Einsätze mit wenigen, fragilen Qubits reichen in die 1980er-Jahre zurück. In Folge langjähriger Verbesserungen sehen Experten die Technologie heute als vielversprechenden Weg, künftig sehr komplexe Rechnungen durchführen zu können. Bestimmte Arten mathematischer Probleme können dabei in Quantenäquivalente übersetzt werden. Um zuverlässig zu funktionieren, müssen jedoch zahlreiche äußere Parameter stimmen. Vereinfacht gesagt bedürfen die Systeme einer Abschottung gegen äußere Einflüsse etwa in Form einer entsprechenden Kühlung, eines Vakuums oder einer elektromagnetischen Abschirmung.
Schon vor einigen Jahren prognostizierten IBM-Experten eine immer höher werdende Zahl von Qubits und sollten mit dieser Vorhersage recht behalten: Auf den IBM-Quantenprozessor Hummingbird mit 65 Qubits, der im September 2020 vorgestellt wurde, folgten in den nachfolgenden drei Jahren die Modelle Eagle (127 Qubits), Osprey (433 Qubits) und Condor (1.121 Qubits). Um den Durchbruch der Technologie weiterhin zu fördern, brauche es weiterhin die Zusammenarbeit von Entwicklern und Nutzern in Kollaborationsplattformen als entscheidenden Hebel.
Quantum System One markierte einen Wendepunkt
Einen ersten kleinen Durchbruch der Technologie markierte 2019 die Ankündigung des sogenannten IBM Q System One. Der erste schaltkreis-basierte, kommerzielle Quantencomputer der Welt wurde anschließend zum Jahresbeginn 2021 an seinem Standort in Ehningen nahe Stuttgart bei der Fraunhofer-Gesellschaft in Betrieb genommen. Die Anlage besteht aus einer Kühl- und Leitungseinheit (Cryostat), die wie ein goldener Armleuchter (Kandelaber) aussieht. An dessen unterem Ende befindet sich der Quantenchip. Dahinter steht eine schrankgroße Steuereinheit, mit der die Signale zu den Qubits geschickt und auch wieder ausgelesen werden. Vom Start weg soll das System Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten für deren Projekte und Aufgaben zur Verfügung stehen und eine Experten-Community schaffen. Die Nutzung basiert auf einem Art Ticketsystem, anhand dessen die Rechnerkapazitäten monatsweise genutzt werden können. Das System wird unter deutscher Gesetzgebung betrieben, was für die Nutzer im Hinblick auf den Datenschutz und die IP-Sicherheit große Vorteile bieten soll.
Industrie gründet Quantum Technology and Application Consortiums (QUTAC)
Ebenfalls in 2021 erhielt die Technologie zusätzlichen Aufschwung durch die Gründung des Quantum Technology and Application Consortiums, kurz QUTAC. Die Allianz aus deutschen Unternehmen, zu denen unter anderem Bosch, BMW und Volkswagen zählen, will industrierelevante Lösungen für die Branchen Technologie, Chemie und Pharma, Versicherung sowie die Automobilindustrie zur Marktreife bringen. Der kleine Kreis von Mitgliedern erlaube einen pragmatischen Austausch und eine schnelle Entscheidungsfindung bei der kurz- und mittelfristigen Entwicklung praxisrelevanter Lösungen, heißt es von Seiten des Autobauers BMW. Vorstandschef Oliver Zipse dazu: „Deutschland und Europa brauchen ein starkes Quanten Computing-Ökosystem, um technologisch auf der Höhe der Zeit zu sein und global wettbewerbsfähig zu bleiben.“
Der Münchener OEM war beim Quantencomputing in der Zwischenzeit ein starker Treiber. Für den neuen Stiftungslehrstuhl an der Münchner Hochschule investierte BMW 5,1 Millionen Euro in Professur, Ausstattung und Mitarbeiter. Die Unterstützung soll über eine Laufzeit von sechs Jahren erfolgen. Die bayerische Landeshauptstadt München und Stammsitz des OEMs soll sich dem Willen der Beteiligten nach zum „Munich Quantum Valley“ aufbauen, dessen unterschiedliche Initiativen die Landesregierung mit 300 Millionen Euro förderte. BMW identifiziert bereits seit 2017 im Rahmen eines interdisziplinären Projektteams das Anwendungspotenzial, das Berechnungen eines Quantencomputers für Optimierungen in kürzester Zeit bieten könnte. Zu den möglichen Profiteuren zählen die Produktion, die Teile-Logistik, die Fahrzeugentwicklung wie auch die Materialforschung.
Supraleitende Prozessoren oder gefangene Ionen?
Doch auch das Quantencomputing lässt Raum nicht nur mit Blick auf mögliche Anwendungen, sondern auch für Grundsatzfragen technischer Art: Während Google und IBM beim Prozessor auf supraleitende Schaltkreise setzen, nutzen die Forscherinnen und Forscher im Projekt IQuAn - Ionen-Quantenprozessor mit HPC-Anbindung - eine Rechnerplattform mit gefangenen Ionen. „Obwohl supraleitende Quantenprozessoren aktuell über mehr Recheneinheiten verfügen, ist bei gefangenen Ionen die Qualität der Rechenoperationen erheblich besser. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, in diese Technologie zu investieren", sagt Ferdinand Schmidt-Kaler von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, kurz JGU. Gemeinsam mit dem Entwicklungsdienstleister Akka meldete die JGU Ende März 2021 im Rahmen des Starts dieses auf drei Jahre angesetzten Projekts, den Anschluss des Quantenprozessors an den sogenannten Mogon II High Performance Computer in Mainz.
Mit dem technologischen Ansatz, einen Ionenfallen-Quantencomputer mit Rechenoperationen hoher Qualität mit hoher algorithmischer Flexibilität zu kombinieren, bieten sich laut Markus Müller, Leiter der Forschungsgruppe Theoretische Quantentechnologie am Forschungszentrum Jülich, vielversprechende neuartige Anwendungsmöglichkeiten sowohl für wissenschaftliche wie auch industriell relevante Problemstellungen. Ein wesentliches Kriterium für den Weg in die Anwendung liege jedoch in der Miniaturisierung der komplexen optischen Aufbauten und deren Integration in robuste Mikrosysteme, sagt Uwe Zeitner vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF. Am Projekt sind auch das Fraunhofer Institut für Lasertechnik ILT sowie der Anbieter von Lasersystemen für Forschung und Entwicklung, Toptica Photonics beteiligt und nehmen sich der Miniaturisierung und der entsprechenden Bearbeitungsprozesse an.

Erster Ionenfallen-Quantencomputer steht in Hamburg
Das erste vollständig in Deutschland gefertigte Quantencomputermodell auf Basis von Ionenfallen-Technologie wurde im Mai 2024 in Hamburg enthüllt. Halbleiterhersteller NXP, eleQtron und ParityQC, die im QSea-Konsortium der DLR-Quantencomputer-Initiative zusammenarbeiten, stellten den Demonstrator gemeinsam vor. Der Computer soll einen frühen Zugang zu echten Quantencomputer-Ressourcen ermöglichen und damit Unternehmen und Forschungsteams dabei unterstützen, die Vorteile des Quantencomputers in Anwendungen wie Klimamodellierung, globale Logistik und Materialwissenschaften zu nutzen. Damit diese Technologie bei der Lösung komplexer Herausforderungen effektiv eingesetzt werden kann, ist ein breiteres Verständnis der Fähigkeiten des Quantencomputers erforderlich.
Das DLR QCI hat sich zum Ziel gesetzt, die notwendigen Kompetenzen aufzubauen, indem es ein Quantencomputer-Ökosystem schafft, in dem Wirtschaft, Industrie und Wissenschaft eng zusammenarbeiten, um das Potenzial dieser bahnbrechenden Technologie voll auszuschöpfen. Der Demonstrator wurde im DLR-QCI-Innovationszentrum in Hamburg aufgebaut und vom DLR-QCI den Industriepartnern und DLR-Forschungsteams zur Verfügung gestellt. Mit dieser Zusammenarbeit wollen die drei Partner und das DLR QCI die Entwicklung eines fortschrittlichen Quantencomputer-Ökosystems in Deutschland fördern und stärken. Dies wird auch die strategischen Bemühungen Deutschlands und der Europäischen Union unterstützen, die digitale Souveränität in diesem kritischen Technologiebereich zu stärken.
Unternehmen erkennen Chancen des Quantencomputing
„Wer Quantentechnologien beherrschen und anwenden kann, wird sich maßgebliche Wettbewerbsvorteile sichern“, ist sich Bitkom-Präsident Achim Berg sicher. Einer von Bitkom Research durchgeführten Studie zufolge, für die 605 Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern befragt wurden, schreiben rund 54 Prozent der Unternehmen der Entwicklung von Quantencomputern eine große Bedeutung für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu.
Mit zunehmender Größe des Betriebs wächst laut der Studie auch die Bedeutung des Themas: Während etwa jeder zweite Betrieb mit 20 bis 99 Mitarbeitern mit einer großen Bedeutung von Quantencomputern rechnet, beträgt der Wert in Großunternehmen mit mehr als 2.000 Beschäftigten 74 Prozent. Das Thema ist in der Politik angekommen: Um die Erforschung und Anwendung von Quantentechnologie zu unterstützen, nimmt der Bund in den kommenden Jahren rund zwei Milliarden Euro in die Hand.