
Um neue Tech-Talente zu gewinnen, arbeitet BMW in Südafrika eng mit lokalen Universitäten und Schulen zusammen. (Bild: BMW Group / Illustration: Andreas Croonenbroeck)
Mmaphefo Malope ist sichtlich stolz, als sie aus einer Ecke ihres mit Neonlicht gefluteten Schulleiterbüros mehrere Pokale hervorholt und deren Bedeutung erklärt. „Im vergangenen Jahr haben wir bei den finalen Tests eine Abschlussquote von über 94 Prozent erreicht, das ist in unserer Gegend ein herausragender Wert. Wir haben uns in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert“, erklärt Frau Malope. Sie ist Leiterin der staatlichen Lethabong Secondary School in Soshanguve, einem Township nordwestlich der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria. Die Schule, an der rund 1.400 Schüler eine Chance bekommen, ist nicht nur wegen der beachtlichen Abschlussquote ein Leuchtturm in einer von Armut und sozialer Instabilität geprägten Umgebung.
Die Schule ist seit einiger Zeit spezialisiert auf die sogenannten MINT-Fächer wie Mathematik, Elektronik oder Informatik und hat sich zudem einen dezidierten Automotive-Fokus gegeben. Das liegt in erster Linie an einem Paten, der schon seit gut 50 Jahren in Südafrika präsent ist und sein Geschäft dort auch immer mit sozialem Engagement verknüpft hat: BMW. So hat sich der bayerische Autobauer im Jahr 2022 zusammen mit Unicef Lethabong angenommen und viel Geld in Renovierungs-, Bau- und Sicherheitsmaßnahmen gesteckt. So ist neben Küche oder Mensa unter anderem auch ein kleines IT-Zentrum mit notwendiger Hardware entstanden, um den Schülern spielerisch Themen wie Coding oder Robotik näherzubringen. Lethabong biete Kindern, die teilweise ohne Eltern im Township aufwachsen müssen, nicht nur Sicherheit und regelmäßiges Essen, sondern auch eine einmalige Chance, aus ihrer Perspektivlosigkeit auszubrechen, erklärt Schulleiterin Malope. „,Versagen ist keine Option‘ lautet unser Motto, das uns antreibt und das für unsere Schüler eine existenzielle Bedeutung hat.“
Der besondere Spirit des „ZA-Hub“
Für Autobauer BMW, der seit 1973 in Südafrika Fahrzeuge produziert, ist das Engagement in Schulen wie Lethabong jedoch nicht eine der üblichen Charity-Initiativen, um der eigenen Corporate Social Responsibility Genüge zu tun, sondern zugleich eine Maßnahme, unentdecktes Potenzial in zukünftigen Tech-Talenten zu wecken. Und das ist vor allem für eine BMW-Einrichtung in Südafrika interessant, die seit zehn Jahren eine konzernübergreifende Rolle in Sachen IT-Innovation einnimmt. Sie liegt rund 45 Autominuten vom Township Soshanguve entfernt, in Pretorias Businessdistrikt Menlyn, in dem man in eine komplett andere Welt eintaucht – eine cleane, moderne Businessarchitektur, die so mittlerweile in jeder größeren Stadt auf der Welt zu finden ist. Dort erstreckt sich auf mehreren Etagen eines lichtdurchfluteten Bürogebäudes einer von sechs IT-Hubs, die weltweit für IT- und Software-Innovation in der BMW Group sorgen.
Seit gut einem Jahr steht Thorsten Achenbach, der für BMW schon die IT-Geschicke des China-Joint-Ventures Brilliance Automotive leitete, an der Spitze des ZA-Hubs. „Was hier sofort auffällt, ist die einladende Kultur. Die Menschen sind integrativ und lösungsorientiert, was man im Arbeitsumfeld sofort bemerkt“, berichtet Achenbach von seiner Startphase in Menlyn. Die Entwickler und IT-Experten am Standort nennen sich selbst #Hubster und verbinden damit nicht nur die Zugehörigkeit zu einer von vielen Tech-Einheiten im BMW-Konzern, sondern auch drei wesentliche Attribute als Basis der täglichen Zusammenarbeit: Leidenschaft für den eigenen Job, Ehrgeiz, die Business-IT des süddeutschen Autobauers global voranzutreiben, und die Entschlossenheit, all dies mit sozialer Verantwortung und den eigenen Wurzeln in Südafrikas Gesellschaft in Einklang zu bringen.
„Wir haben hier einen starken Gemeinschaftsansatz. Das südafrikanische Prinzip von Ubuntu zeichnet aus, dass durch Gemeinschaft und Teamwork viel erreicht werden kann. Diese kollaborative Herangehensweise merkt man deutlich – sowohl im privaten als auch beruflichen Umfeld“, betont Hub-Chef Achenbach.
So arbeiten die „Hubster“ in Südafrika
Seit Gründung des IT-Innovationszentrums im Jahr 2014 ist die Zahl der Mitarbeiter gerade in letzter Zeit stark angewachsen. Gestartet mit ein paar hundert, sind es mittlerweile über 2.400 Hubster – Tendenz steigend. Der verstärkte Ausbau von BMWs internationalem IT- und Software-Hub-Netzwerk, das darauf ausgerichtet ist, mittels der (Biz-)DevOps-Methode konzernüberspannend Synergien zwischen Entwicklern und dem Business herzustellen, hat auch in Menlyn zu einem fast exponentiellen Wachstum bei personellen Kapazitäten geführt – wie an kaum einem anderen Standort. So stößt BMW in Südafrika seltener auf Fachkräftemangel denn auf räumliche Grenzen.
„BMW ist eine sehr digitale Company mit einem hohen Bedarf an Fachkräften. Hier im Hub haben wir derzeit eher einen Platzmangel, weil wir in den letzten Jahren sehr erfolgreich unterwegs waren und daher neue Teams aufbauen konnten“, berichtet Thorsten Achenbach. Um weiter zu wachsen, müsste der OEM eine neue Location in Betracht ziehen. Ein solches Vorhaben sei aktuell nicht geplant, weshalb man sich vorerst mit dem bestehenden Raum arrangiere.
Welche digitalen Lösungen entstehen im IT-Hub in Pretoria?
Doch trotz der räumlichen Begrenztheit ist der Einfluss des ZA-Hubs auf die globale Systemlandschaft BMWs fast grenzenlos: Die Hubster kümmern sich mit spürbarer Leidenschaft um die Entwicklung und Implementierung von IT-Lösungen und digitalen Services für über 100 Länder. Der Fokus der Arbeit in Menlyn lag von Anfang an auf klassischen IT-Infrastrukturthemen wie SAP-Lösungen, Java oder Cloud, der jedoch den Bereich Produkt-IT ausklammert.
„Wir machen alles, was nicht mit dem Auto selbst zu tun hat“, bringt es Achenbach auf den Punkt. Dabei geht es einerseits um die Entwicklung digitaler Services und Tools, aber auch um den weltweiten Rollout. „Hier profitieren wir erneut vom Standort Südafrika – in zweierlei Hinsicht: Zum einen arbeiten wir praktischerweise in der gleichen Zeitzone wie unsere Kollegen in Deutschland, was Abstimmungsprozesse deutlich vereinfacht und beschleunigt. Zum anderen hilft uns die enorme Multikulturalität des Teams, wenn es darum geht, IT-Innovationen in allen Teilen der Welt auszurollen“, betont Achenbach. Denn die Belegschaft des ZA-Hubs setzt sich aus rund 30 Nationalitäten und Ethnien zusammen – ähnlich wie das Land Südafrika selbst, in dem ganze zwölf offizielle Landessprachen gültig sind.
Ebenso vielfältig wie die Expertenteams ist das Innovationsportfolio des südlichsten IT-Hubs im BMW-Netzwerk: Neben den Klassikern rund um SAP und Cloud arbeiten die Hubster beispielsweise an der digitalen Fahrzeugakte, einem Digital-Twin-Projekt zusammen mit der Industrieinitiative Catena-X, an der Optimierung der Mitarbeiter-UX mittels Eyetracking oder an der Einführung von Chatbot-Funktionen für das globale IT-Kontrollzentrum, das ebenfalls im Hub angesiedelt ist. Besonderer Fokus liegt aktuell auf dem Thema künstliche Intelligenz, für das allein rund 80 Mitarbeiter abgestellt sind.
Zwei davon sind die Data Scientists Jarod Smith und Theodor Loots. Beim Besuch von automotiveIT im Hub präsentieren beide eine Intelligent-Document-Processing-Plattform (IDP), die auf Basis von Large-Language-Modellen und der eigens entwickelten AI Platform automatisiert jegliche Form von Dokumenten in Daten umwandelt und so Units wie BMW Financial Services erheblich Zeit und Kosten einsparen hilft. „Mit unserem Inhouse-Knowhow zu künstlicher Intelligenz haben wir es geschafft, eine kosteneffiziente, rechtskonforme und wiederverwendbare Lösung zu entwickeln, die die Dokumentenverarbeitung auf ein neues Level hievt“, fast Jarod Smith zusammen. Noch in diesem Jahr soll die IDP-Plattform im Selfservice konzernweit ausgerollt sowie das Sprachmodell auf nichtromanische Sprachen erweitert werden.
BMW sucht Rückkopplung mit Südafrikas Gesellschaft
Für dieses KI-Projekt arbeiten BMWs Data Scientists auch eng mit lokalen Hochschulen wie beispielsweise der Stellenbosch University im Südwesten des Landes zusammen. Hier wird erneut deutlich, wie wichtig BMW das angesprochene Ubuntu-Prinzip ist, also die Verflechtung mit den Menschen im Land, das trotz seiner herausragenden wirtschaftlichen Stellung auf dem afrikanischen Kontinent gewiss nicht frei ist von sozio-ökonomischen Problemen. So liegt die Jugendarbeitslosigkeit beispielsweise bei über 60 Prozent.

„Der gemeinschaftliche Ansatz und die Leidenschaft, Lösungen zu finden und umzusetzen, sind hier sehr ausgeprägt. Wenn wir uns zu einem Go-live-Termin verpflichten, liefern wir. Der Hub hier ist eine echte Delivery Machine.“
BMW bietet daher über verschiedene Formate Gelegenheiten für Schüler und Studierende, mit der IT-Welt im Hub in Berührung zu kommen. Dazu gehört beispielsweise eine Tech-Akademie, in der Studienanfänger und Absolventen Einblicke in die Teams im Hub bekommen und zu großen Teilen bereits in laufende IT-Projekte aktiv integriert werden. Zudem veranstaltet das Hub sogenannte Junior Indabas, angelehnt an eine traditionelle Zusammenkunft von Stammesführern und Ältesten, bei denen auch die Allerjüngsten spielerisch an IT- und Digitalthemen herangeführt werden.
Auf diese Weise schaffte beispielsweise auch ein Schüler der Lethabong Secondary School als Jahrgangsbester den Sprung in die Welt von Bits, Bytes und BMW. „Wir geben mit solchen Formaten etwas zurück an die Community und eröffnen für teils unterprivilegierte junge Menschen tolle Chancen. Gleichzeitig sind vor allem Kollaborationen mit den Unis hier vor Ort wichtige Recruitment Pipelines“, betont Hubster Danie Smit.
Auch für IT-Hub-Leiter Achenbach mache die Verbundenheit zwischen Land, Menschen und der zielgerichteten und kontinuierlichen Innovationsarbeit den IT-Standort in seinem Kern aus. Dabei führe diese Kultur und Mentalität gleichzeitig zu einem ziemlichen stringenten Arbeitsethos, den die Hubster mit einem Augenzwinkern mit der Zulu-Redewendung „Walala Wasala“ („Wer schläft, verliert“) umschreiben. Achenbach: „Der gemeinschaftliche Ansatz und die Leidenschaft, Lösungen zu finden und umzusetzen, sind hier sehr ausgeprägt. Wenn wir uns zu einem Go-live-Termin verpflichten, liefern wir. Der Hub hier ist eine echte Delivery Machine.“