Es war ein langer und steiniger Weg. Rund zwei Jahrzehnte arbeitet die Branche inzwischen an Technologien für die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und mit deren Umfeld. Die gute Nachricht: Es wird konkret. Inzwischen halten V2X-Technologien verstärkt Einzug in Serienfahrzeuge und auch für Teile der Infrastruktur gibt es konkrete Umsetzungspläne. Die Roadmaps werden klarer. Die schlechte Nachricht: Eigentlich hätte es schneller gehen können.
„Dass es zwei unterschiedliche Technologiestandards gibt – einen, der Wifi, und einen, der Mobilfunk für die Kommunikation nutzt – reduzierte und reduziert die Investitionsbereitschaft“, sagt Wissenschaftler Tobias Hesse, der die Abteilung Kooperative Systeme am DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik leitet. Die auf Wifi beruhende Kommunikationstechnologie, maßgebliche Basis ist der Standard 802.11p, in Europa auch als ITS-G5 bezeichnet, geht auf die Nullerjahre zurück und war lange Zeit der einzige Ansatz. Doch mit den immer leistungsfähigeren Mobilfunktechnologien, mit LTE und vor allem 5G, erwuchs dem etablierten Ansatz ernsthafte Konkurrenz. „Wir in der Forschung hätten uns gewünscht, dass diese Konkurrenz durch eine regulatorische Entscheidung vermieden worden wäre“, sagt Hesse.
Globale Unterschiede in der Technologie-Wahl
In manchen Wirtschaftsräumen, etwa in China, wo der Mobilfunk die Basis für V2X-Technologien bilden wird, geschah dies. In den USA war die Situation lange Zeit nicht so eindeutig und das ist sie auch noch immer nicht. Doch nachdem Ende 2020 die für die Frequenzverteilung zuständige FCC einen wesentlichen Teil des für Wifi vorgesehenen Frequenzspektrums mobilitätsfernen Anwendungen zuschlug, gilt auch dort der Mobilfunk inzwischen als favorisierter V2X-Standard.
Für Zulieferer ist das eine gute Nachricht. „Da die Fahrzeughersteller bei dem Thema unterschiedliche Haltungen hatten, mussten wir Zulieferer uns technologisch sehr breit aufstellen“, sagt Oliver Briemle, der bei ZF die Komponenten und Konnektivitätslösungen für das autonome Fahren verantwortet. „Doch nicht nur für die Zulieferer ist das schwierig, auch zum Beispiel für Kommunen, die ihre Verkehrsinfrastruktur für autonome Shuttle ertüchtigen, aber technologisch flexibel bleiben wollen.“
Briemle erwartet, dass sich in den USA für V2X zwar nicht sofort Mobilfunktechnologien durchsetzen werden, aber „hoffentlich in den nächsten zwei, drei Jahren“. „Mit 5G sinken die – garantierten! – Latenzzeiten unter zehn Millisekunden, das ist eine maßgebliche Voraussetzung für V2X-Systeme.“ In Europa sieht er dagegen bis auf Weiteres ein Nebeneinander von Wifi und Mobilfunk. „Es könnte sein, dass die Frage der Standards letztlich in China und den USA entschieden wird, weil dort mit Blick auf Stückzahlen und Ökosystem Fakten geschaffen werden“, sagt er. Briemle erwartet auch, dass gerade in den USA künftig die Satellitenkommunikation für V2X eine Rolle spielen wird, denn „auch dort hat die Mobilfunkversorgung große weiße Flecken“.
Positionierung der europäischen Hersteller
Dass im Thema V2X nach zwei Jahrzehnten bereits viel Geld steckt, verdeutlicht eine Untersuchung der Managementberatung McKinsey. Demnach haben Investoren allein zwischen 2010 und 2020 knapp 18 Milliarden US-Dollar in V2X-Technologien gesteckt – und das sind nur die öffentlich gewordenen Investitionen. Im Rahmen der mobilitätskritischen Technologien ist nur in Radar- und Kameraentwicklungen fürs autonome Fahren (22,8 Milliarden US-Dollar) sowie in Lithium-Ionen-Batterien für Elektroautos (20,9 Milliarden US-Dollar) noch mehr Geld geflossen als in V2X.
Unter den europäischen Anbietern setzen Audi, BMW, Mercedes-Benz, Porsche und Volvo auf den mobilfunktechnologie-basierten Ansatz. Volkswagen ist Verfechter von Wifi-basierten Systemen. Der Golf 8 und die ID-Familie sind serienmäßig damit ausgestattet. „Damit haben wir hunderttausende Wifi-ertüchtigte Fahrzeuge auf europäischen Straßen, aktuelle Modelle“, sagt Andreas Schaller, Leiter der V2X-Technologie-Strategie bei Bosch. Selbst habe man eine technologieneutrale Position. „Die Wifi-Technik wird jedenfalls nicht rasch verschwinden, sondern noch Jahre im Markt bleiben.“ Schaller hofft, dass sich die Industrie im Rahmen der künftigen Technologieentwicklung auf einen der konkurrierenden Ansätze einigt, um das Problem zu lösen.
V2X-Absperrtafeln bis Ende 2023
Trotz der leidigen Technologiefrage wird es inzwischen konkreter, wenn es um die Anwendung der V2X-Kommunikation im Verkehr geht. Ende Oktober etwa hatte Bundesverkehrsminister Volker Wissing angekündigt, dass die Autobahn GmbH bis Ende 2023 alle 1.500 fahrbaren Absperrtafeln, die bei Kurzzeitbaustellen zum Einsatz kommen, V2X-fähig macht. Aufgrund der Technologie-Offenheit werden die Absperrtafeln sowohl die Wifi- als auch die Mobilfunktechnologie unterstützen. Sofern ein Back-end benötigt wird, Wifi kommt im Prinzip ohne aus, tauschen die beteiligten Fahrzeuge, Straßenbetreiber und Diensteanbieter laut der Autobahn GmbH die Daten anonymisiert aus. Die Baustellenwarner gehören zur ersten Welle der V2X-Roadmaps: Der Fahrer bekommt Informationen, in dem Fall eine Warnung, im Auto angezeigt – handeln muss er weiterhin selbst.
V2X spielt auch beim Automated Valet Parking in einem Parkhaus am Flughafen Stuttgart eine Rolle, wo Mercedes-Benz und Bosch gemeinsam mit dem Parkhausbetreiber einige Jahre lang schon Tests durchgeführt haben. Im November hat Mercedes nun vom Kraftfahrtbundesamt eine Freigabe für zwei Serienmodelle erhalten, die auf dem Niveau von Level 4 fahrerlos und automatisiert einparken dürfen. Perspektivisch lässt sich laut Bosch das Automated Valet Parking mit jedem Fahrzeug verwirklichen, das über eine bestimmte Ausstattung verfügt: Automatikgetriebe, ESP, elektrische Feststellbremse und Lenkunterstützung, eine Start-/Stopp-Funktion und – V2X lässt grüßen – eine geeignete Kommunikationseinheit.
Da V2X gemeinhin die Fahrsicherheit erhöhen dürfte, hat auch Euro NCAP Anfang Dezember reagiert: Von 2023 an will die Organisation in der Sicherheitsbewertung von Modellen auch Funktionen berücksichtigen, die per V2X vor Gefahren warnen. „Das Thema Straßensicherheit wird bei V2X stark durch die Pkw-OEMs getrieben, denn dort gibt es die entsprechenden Stückzahlen“, sagt Andreas Schaller. Gegen Ende des Jahrzehnts erwartet er dann eine zweite V2X-Welle in der kommunalen Infrastruktur. „Ein Beispiel für die V2X-Kommunikation im urbanen Bereich wäre die verbliebene Zeit, bis eine Ampel wieder auf Rot schaltet, um den Verkehrsfluss zu verstetigen.“
5GAA: In drei Schritten zur Serienreife von V2X
„Die Roadmap der Branchenvereinigung 5GAA sieht die Einführung von V2X in drei Schritten vor“, sagt Schaller. Zunächst geht es um das Anzeigen von Informationen, Warnhinweise etwa – siehe Kurzzeitbaustelle. Im nächsten Schritt sollen Assistenzsysteme diese Informationen unmittelbar für eine sichere Fahrweise umsetzen. Und im letzten Schritt geht es dann um die Unterstützung des kooperativen und autonomen Fahrens. „Darunter fallen zum Beispiel die kollektive Anpassung der Fahrzeuggeschwindigkeiten bei hoher Verkehrsdichte oder der Gruppenstart an einer Ampel, damit möglichst viele Fahrzeuge die Grünphase ausnutzen können“, verdeutlich Schaller. Die Serienreife solcher Funktionen erwartet er zum Ende des Jahrzehnts.
Ein in Schallers Augen wichtiges Thema harrt dagegen noch in der Bearbeitung. „Wenn V2X auch den Eingriff in Assistenzsysteme erfordert, geht es nicht mehr nur um Functional Safety und Security, sondern auch um Trust in die Daten“, sagt er. „Dann ist die Frage, wie man nachweist, dass die Daten nicht kompromittiert worden sind.“ ZF-Manager Briemle sieht zwei Treiber für V2X: „Highway-Anwendungen, etwa um die Verkehrslage hinter einer Kuppe früh zu kennen, sind genauso auf die Technologie angewiesen wie die sichere Querung von schwer einsehbaren Kreuzungen in Städten.“
Dass V2X sogar schon heute beim autonomen Fahren hilft, verdeutlicht Briemle an einem Projekt: Zur besseren Anbindung eines Gewerbegebiets an die Innenstadt von Rotterdam verkehren demnächst sechs autonome Shuttles von ZF im Regelbetrieb. Laut dem Unternehmen ist es dann „das weltweit erste AD-zertifizierte Transportsystem im Echtbetrieb“. Möglich wird dies durch eine baulich abgetrennte Streckenführung. „Da die Fahrstrecke aber an verschiedenen Stellen von anderen Verkehrsteilnehmern gekreuzt wird, kommunizieren die Shuttles mit der Infrastruktur, um dort zum Beispiel Schranken zu schließen“, so Briemle. Diese Lösung beruht auf Wifi, denn als über die V2X-Lösung entschieden wurde, gab es noch gar keine ausgereifte Mobilfunkalternative.