Christian Sobottka, Harman

Christian Sobottka ist seit Januar 2021 President Automotive bei Harman. (Bild: Harman)

Herr Sobottka, die Produkte, die Sie auf der CES 2023 zeigen, sollen alle durchentwickelt sein. Welche Schwierigkeiten erfahren Sie trotzdem, wenn Sie damit an die Hersteller herantreten?

Die Branche, so wie sie heute ist und arbeitet, ist eigentlich in dieser Form nicht zukunftsfähig. Sie muss sich substanziell ändern, was ihre Geschäftsmodelle betrifft, was ihren Produkt-Ansatz betrifft, und sie muss ihre Vorgehensweisen entsprechend anpassen. Denn die Erwartung der Endkunden ist mit der Zeit eine vollkommen andere geworden. Das Auto verändert sich von einem Fahrzeug zu einer Brücke zwischen einer physischen und einer digitalen Welt. Das Auto wird ein Device, also ein vernetztes Produkt mit Fokus auf dem Nutzererlebnis. Und die derzeitige Erwartung an ein Device ist, dass es upgradeable sein muss, und über diese Problembeschreibung ist sich die Branche einig. Die technischen Lösungen dazu sind auch bereits gedacht, und wie das funktioniert, kann man im Bereich der Consumer Electronics schon sehr deutlich sehen. Also ist die Lösung ein modularer Produkt-Ansatz – auch klar. Die große Frage ist, wie schnell sich unsere Branche von dem einen in den anderen Zustand bewegen kann. Unsere Rolle bei Harman ist dabei, ein Partner in dieser Transformation zu sein, indem wir Building Blocks liefern, um sie erfolgreich zu gestalten.

Das war die Problembeschreibung. Doch wie sind Ihre konkreten Erfahrungen mit den OEMs?

Ein paar Kunden sind bereits ganz weit vorne und extrem offen, weil sie es auch gar nicht anders kennen, da sie aus einer IT-Welt kommen und die Vorschläge und Ansätze, die wir machen, sofort aufnehmen, diese zu integrieren wissen und glücklich sind, damit sofort loszulegen. Es gibt andere Kunden, die die Schönheit der Lösung sehen und sagen, dass es genau das sei, was sie brauchen. Jedoch, wie sie das in ihrem Geschäft umsetzen können, das ist eine große Herausforderung für sie. Wieder andere sind sich noch nicht sicher, ob sie das Problem überhaupt mit uns teilen. Wir arbeiten mit der ganzen Bandbreite dieser Kundengruppen, da wir auch aus dieser klassischen, traditionellen Industrie kommen und hier weiterhin ein großes Standbein unseres Geschäfts haben.

Die echte Disruption kommt, wenn wir von momentan 30 oder 36 Monaten Time-to-Market auf künftig sechs Monate Time-to-Market gehen. Zum einen ist es eine technische Herausforderung, die Schnittstellen definieren und handhabbar machen zu müssen. Zum anderen aber das gesamte Ökosystem drumherum zu entwickeln, die Vorgehensweisen, die Toolchains, die Verantwortlichkeiten, die Zusammenarbeitsmodelle, die Fähigkeiten der Mitarbeiter, die Organisationskultur anzupassen – das ist die eigentliche Big Challenge. Und man sieht bereits heute, wer dabei erfolgreich ist und wer weniger. Aus meiner Sicht ist der größte Unterscheidungsfaktor, wie gut die Erfolgreichen den Wandel umgesetzt und vor allem die Frage der Kultur bewältigt haben und wiederum die anderen, die eher noch in tradierten Aufbauorganisationen und klassischem Machtgerangel steckengeblieben sind. Oft sind dies die Gründe, warum eine Transformation nicht erfolgreich ist.

Sehen Sie sich als ein Unternehmen, das die Transformation schon erfolgreich abgeschlossen hat?

Nein, sicher nicht. Aber die gute Nachricht ist, dass der In-Cabin Infotainment-Bereich früh „disrupted“ wurde, wodurch der Handlungsbedarf in seiner Gänze ein bisschen früher transparent wurde. Und wir bei Harman speziell haben natürlich den großen Vorteil, dass wir selbst auch aktiv im Bereich Consumer Electronics sind. Daher müssen wir gar nicht so weit gehen, um zu verstehen, wie es anders sein kann.

Wie sieht der Wandel bei Harman denn konkret aus?

Wir haben uns vor ungefähr zwei Jahren sehr bewusst entschieden und gesagt, wir machen das. Mit allen Konsequenzen und Auswirkungen auf Produkte, Vorgehensweisen, Kultur, Organisationsstruktur, Kompetenzen. Hier auf der CES Messe zeigen sich natürlich eine Vielzahl der Ergebnisse auf der Produktseite. Was man aber hier nicht so sieht, ist, wie wir mittlerweile innerhalb von Harman anders im Vergleich zu vor zwei Jahren arbeiten. Und das sind jetzt Etappensiege. Man kommt hierher, man hat eine Menge Herzblut und Gedanken darin investiert, was die richtigen Lösungs- und Produktansätze sein könnten, und nun bekommen wir hervorragendes Feedback zu all den Produkten, die wir hier präsentieren. Das gibt Mut und Kraft, auch für unsere Organisation den Wandel weiter voranzutreiben. Wenn Sie mich fragen, wie lange der Wandel noch für die Branche dauert? Die Langsameren in der Branche sind vielleicht zehn Jahre und mehr davon entfernt, den Wandel zu vollziehen. Aber die Schnellen sind gar nicht so weit weg vom Zielzustand.

Zählen Sie sich zu den Schnellen?

Wir sind auf jeden Fall im oberen Drittel, was die Geschwindigkeit betrifft. Uns hilft, dass wir die richtige Größe haben und nicht zu groß und weniger agil sind. Wir haben amerikanisch-koreanische Mischwurzeln. Und wir haben eine Mannschaft, die sehr Change-affin ist. Ich kenne andere Unternehmen, bei denen ich auch mal war, wo viel länger diskutiert wurde. Also sehr lange! (lacht)

Wie wichtig ist die Unterstützung von Samsung für Harman?

Die Unterstützung von Samsung hat einen sehr hohen Stellenwert. Ich glaube, wir haben es geschafft, sehr erfolgreich den gemeinsamen Nutzen unserer Arbeit vom Papier auch in die Herzen und in die Köpfe zu bringen. Es war absolut zwingend notwendig, die Zusammenarbeit auf eine höhere Ebene zu heben und das ist uns gut gelungen. Nun profitieren wir technologisch davon und haben bald wahrscheinlich über 1.000 Mitarbeiter, die in gemischten Teams an neuen Technologien arbeiten wollen und werden. Dieser Fortschritt ist essentiell für das, was wir hier begonnen haben und weiter fortführen wollen.

Fernab von Samsung: Wie wichtig ist Ihnen generell das Thema Partnerschaften? Kollaboration ist überall das Stichwort.

Wenn man sich die Automobilindustrie anschaut, sind die klassischen Ketten, also OEM, Tier 1, Tier 2, Tier 3, in der Auflösung begriffen. Man baut eher Value Networks als Value Chains. Wir wollen einer der Knotenpunkte sein und in diesem Netzwerk von Partnern einen relevanten Beitrag leisten. Es ist nicht mehr so, dass der Automobilhersteller den Tier 1 beherrscht und so weiter. Heute begegnet ein Tier 3, der einen Halbleiter baut, teilweise auf Augenhöhe dem OEM. Also lange Rede, kurzer Sinn: Partnerschaften sind superwichtig.

Auch wir suchen Partnerschaften auf Augenhöhe in den unterschiedlichsten Richtungen. Wir sind mit einigen großen Tech-Companies wie Amazon oder Google intensiv im Austausch. Unsere Kunden nehmen uns mit den Dingen, die wir machen, zunehmend als Partner auf Augenhöhe wahr. Wir reden auch mit unseren Lieferanten auf Augenhöhe, weil wir überzeugt sind, dass dieses eher anachronistische Value Chain-Thema nicht zu der ausreichenden Geschwindigkeit führt, die man braucht, um nachhaltig innovativ zu sein. Das Netzwerk rekonfiguriert sich ständig. So kann sich auch keiner mehr leisten, zu versuchen, dieses System monopolistisch zu beherrschen. Das mag vielleicht kurzfristig funktionieren, weil man einen technologischen Vorteil hat, aber auf Dauer ist es kein haltbarer Zustand aus meiner Sicht.

Stichwort Sound: Wodurch unterscheiden Sie sich von Wettbewerbern wie Bose oder Sennheiser?

Ich will gerne beschreiben, was uns stark macht. Wir haben tiefe Wurzeln im Audiobereich und eine so starke Audio-DNS. Harman ist voll von begeisterten Audiofreaks, im positiven Sinne, und das allein macht schon eine Menge aus. Auf der Seite der Endkunden arbeiten wir mit sehr unterschiedlichen Kundengruppen zusammen: bei JBL ist es beispielsweise überwiegend Generation Z. Wir setzen uns jeden Tag mit dem ganzen Kundenspektrum auseinander und sehen somit natürlich neue Trends und können diese auch von der Lifestyle- und Professional-Audio-Seite in den Automotive Bereich portieren und wieder zurück. Das ist eine gute Ausgangsposition und unsere Kunden schätzen uns genau für diese Kompetenz und diese Leidenschaft. Wenn man sich fragt, was macht Harman eigentlich aus, dann würde ich somit zusammenfassen: unsere tief verwurzelte Audio-Expertise und -DNS, eine begeisterte Mannschaft und natürlich die starke Vernetzung in alle relevanten Märkte, ob Professional Audio, Consumer oder Automotive.

Sie zeigen auf der CES 2023 viel mehr als nur guten Sound. Wie wichtig ist das Thema Sound für Harman noch?

Das Thema Sound ist ein Schlüsselthema, weil ein Auto ja nicht mehr nur ein reines Transportmittel ist. Es ist ein Wohlfühlbereich, in dem man entspannt, in dem man digitalen Content konsumiert, wo man Privatsphäre hat. Und da spielt natürlich das Thema Audio eine wichtige Rolle. Einerseits im klassischen Sinne, um zu genießen. Andererseits, beispielsweise auch wenn man an Augmented Reality denkt und dies speziell in Verbindung mit akustischen Warnungen und Informationen, dann sieht man ja mit den Ohren sozusagen.

Ist es nicht zu riskant, mit der großen Bandbreite von Harman Ready auf eine Art Komplettpaket zu setzen? Wäre es nicht schlauer, sich auf ein Produkt zu spezialisieren, anstatt alles auf einmal anzubieten?

Man muss sich anschauen, wie viel Arbeit in ein Infotainmentsystem investiert wird und dann fragen, wie viel davon letztlich wirklich wertschöpfend ist und wie viel theoretisch überflüssig oder redundant, weil die gleiche Arbeit nochmal gemacht wird an einer Stelle, wo sie eigentlich gar nicht gemacht werden müsste. Meist sind 80 Prozent theoretisch nicht erforderlich, immer wieder neu zu entwickeln und zu investieren. Diesen Teil versuchen wir über einen Produktansatz zu standardisieren und abzudecken. Das schafft Freiraum, um Ressourcen in die übrigen 20 Prozent der Arbeit zu investieren, die zur Differenzierung dienen. Darum ist unser Ansatz eher ein Produktansatz, der für alle verschiedenen Lösungen gilt, die wir anbieten. Der riskante Ansatz wäre es, es nur im Paket zu verkaufen.

Nehmen wir das Beispiel Ready Care. Hier nutzen wir eine Kameratechnologie, eine Radartechnologie und einen Software Stack. Aber den Software Stack können Kunden auch alleine beziehen, mit offenen Schnittstellen. Wir haben uns da sehr stark an dem orientiert, was in der Consumer- und IT-Industrie Standard ist. Möchte man mit einzelnen Produkten, aber auch mit dem Komplettpaket schnell sein, muss man die Schnittstellen sauber definiert haben.

Wann sehen wir die Produkte, die Sie hier vorstellen, in den ersten Autos auf der Straße? Welches Ziel haben Sie sich selbst gesetzt? Wie viele OEMs wollen Sie damit ausstatten?

Wir haben mit diesen Produkten bereits ein signifikantes Geschäft gewonnen, also Aufträge gebucht. Die ersten Produkte dazu werden wir auf der Straße spät in diesem Jahr oder nächstes Jahr sehen. Wir haben einen klaren Wachstumsplan, in dem der produktbasierte Teil unseres Portfolios einen großen Anteil unseres Gesamtgeschäfts ausmachen wird.

Was heißt großer Anteil?

Ich wollte Ihnen jetzt da natürlich keine Zahlen nennen, das haben Sie sicher gemerkt (lacht). Aber es wird signifikant sein.

Welche OEMs haben Sie für sich gewinnen können?

Das kann ich leider noch nicht verraten. Solange die Produkte nicht gelauncht sind, sprechen wir darüber nicht. Aber ich will das Marktfeedback gerne so zusammenfassen: Wir haben noch niemanden gefunden, der gesagt hätte, das brauche er nicht. Die Rückmeldung, egal ob von unseren aktuellen Kunden oder potentiell neuen Kunden, ist wirklich in einer sehr beeindruckenden Form positiv. Natürlich gibt es unter den Kunden einige sehr offene, zukunftsorientiert denkende, aber auch klassische, eher traditionell denkende Kunden.

Die Deutschen?

Ja, auch. Aber beide Kundentypen gibt es überall. So haben wir interessanterweise auch manche eher traditionell denkende Kunden, die bereits den gleichen Schritt gemacht haben wie wir. Sich nämlich bewusst zu entscheiden, diese Transformation zu treiben. Momentan arbeiten wir viel mit Kunden, die die bewusste Entscheidung getroffen haben, diese Veränderungen für sich anzunehmen und diese auch gut aufgesetzt haben.

Welcher Markt ist für Sie am wichtigsten und wo fällt es vielleicht am leichtesten, das Produkt schnell ins Auto zu bringen?

Ich sehe da gar keinen so großen Unterschied. Es ist nicht so, dass man sagen könnte, die Chinesen machen das alles fünfmal so schnell. Grundsätzlich ist allerdings bekannt, dass man im chinesischen Markt beim Thema In-Cabin-Experience andere Umschlagszeiten sieht. Was die Produktzyklus-Geschwindigkeit betrifft, ist das bei weitem der schnellste Markt. Ob das immer alles zielgerichtet ist und sofort zum gewünschten Erfolg führt, lässt sich nicht pauschal beurteilen. Aber die Taktung, die dort zustande gebracht wurde, ist schon sehr bemerkenswert. Wenn man in der gleichen Zeit, in der andere nur einen Schuss haben, achtmal schießen kann, dann gibt es auch bei zwei Fehlschüssen noch immer eine ordentliche Erfolgswahrscheinlichkeit. Zumindest was die Geschwindigkeit betrifft, sollte man sich an diesem Markt orientieren. Das spielte auch in unseren Überlegungen bei beispielsweise Ready Upgrade eine wichtige Rolle, wo wir den chinesischen Markt und sein Verhalten als Inspirationsquelle genutzt haben.

Zum Schluss, was erwarten Sie von diesem Jahr?

Wir gehen davon aus, dass wir ungefähr einen stabilen Absatzmarkt haben, vielleicht eine leichte Verbesserung, was die Stückzahl marktseitig angeht. Wir werden aber durch den erhöhten Content pro Fahrzeug als Harman Automotive ein gutes, solides Wachstum verzeichnen und versuchen, auch in diesem schwierigen Umfeld von Kostensteigerungen unsere Hausaufgaben zu machen.

Zur Person:

Christian Sobottka, Harman
(Bild: Harman)

Christian Sobottka ist seit Januar 2021 President Automotive bei Harman. Er berichtet direkt an Harmans CEO Michael Mauser. Zuvor war Sobottka 19 Jahre bei Bosch, zuletzt als CEO und CTO bei Robert Bosch Automotive Steering. Als President Automotive bei Harman ist er verantwortlich für die Themen Connected Car, Car Audio und Connected Vehicle Services.

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