Harman ist "ready" und geht ins Risiko

Am Ende dröhnen wieder die Gitarren durch das Theater im Virgin Hotel in Las Vegas. Dieses Jahr rocken Joe Elliott und seine Band Def Leppard die Bühne, die Jahre zuvor schon von Weltstars wie Elton John oder Lenny Kravitz bespielt wurde. Logos der Harman-Marke JBL prägen das Bild des Konzertsaals. In der Agave Hall nebenan geht es in den Tagen zuvor aber vor allem um Innovationen aus dem Automotive-Bereich.

Dort stehen drei identisch ausgestattete Fahrzeuge. Es wirkt nicht gerade zufällig, dass der Bereich Sound erst im letzten der Fahrzeuge vorgeführt wird. Harman will künftig mehr und mehr mit anderen Systemen punkten. Der Kern des neuen Komplettpakets nennt sich Ready Upgrade. Herzstück ist der Cockpit Domain Controller. Ein kleiner Kasten mit nur einem einzigen Stecker, der, so verspricht es Harman, alle 12 bis 18 Monate ausgetauscht werden kann. Wie der Austausch am Ende von statten gehen soll, ist noch nicht klar. Die Pflicht zum Austausch gibt es ohnehin nicht. Am Ende soll der Kunde entscheiden, ob er sein System oder Teile davon upgraden will oder nicht. Doch um langfristig Softwareupdates durchführen zu können, muss – wie beim Smartphone auch – ab und an auch die Hardware erneuert werden.

Harmans Assistenzsysteme messen Konzentrationslevel

Armin Prommersberger ist Senior Vice President of Product Management bei Harman. Wenn der Franke anfängt über seine Innovationen zu erzählen, gerät er schnell ins Schwärmen. „Alle Produkte hier sind fertig. Was andere Unternehmen ankündigen, haben wir bereits umgesetzt“, sagt Prommersberger. Auch wenn sie Teil der Showtour sind, handelt es sich bei den drei identischen Fahrzeugen nicht um Showfahrzeuge. „Die Fahrzeuge sind Entwicklungsfahrzeuge, die wir in all unseren Entwicklungszentren stehen haben“, erklärt Prommersberger. Die Tour beginnt bei den Produkten Ready Vision und Ready Care. Bei Vision handelt es sich um ein Fahrassistenzsystem. Richtungsangaben werden auf der Windschutzscheibe angezeigt und durch immersive Audiowarnungen ergänzt. Dadurch soll der Fahrer seine Augen besser auf der Straße halten können. Technisch wird maschinelles Lernen für die 3D-Objekterkennung genutzt.

Ready Care bietet eine Vitaldatenerfassung und radarbasierte Erkennung der Anwesenheit von Kindern im Auto. „Das System erkennt, dass der Fahrer auf die Straße schaut, weiß aber auch, dass der Fahrer eigentlich an was anderes denkt“, erklärt Prommersberger den USP von Ready Care. Das System sei das erste, dass den Grad der Konzentration misst und klassifiziert und daraufhin eine personalisierte Reaktion im Innenraum einleitet. Seit der Premiere des Systems im September 2022 sind neue Funktionen wie die berührungslose Messung der Herzfrequenz und Atemfrequenz hinzugekommen, um den Zustand des Fahrers noch besser zu überwachen.

Dank Samsung entwickelt Harman seine Produkte vor

Den üblichen Weg, einen Großteil der Arbeit erst zu absolvieren, wenn man eine Ausschreibung bei einem OEM gewonnen hat, hat Harman verlassen. „Wir investieren vor. Unsere Produkte sind durchentwickelt“, erklärt Prommersberger. Das sei ein wahnsinniger Aufwand und viele OEMs hätten erst nicht geglaubt, dass der Technologiekonzern das tatsächlich so durchziehen kann. Doch wenn ein Autobauer nun zur Harman käme, könne er ein fertiges Produkt mitnehmen und müsse nur noch sein HMI darauf aufbauen, so Harmans Senior Vice President of Product Management.

Dass mit dieser Geschäftspraktik ein enormes finanzielles Risiko entsteht, liegt auf der Hand. Doch dank der Unterstützung des Mutterschiffs Samsung, zu dem der Audio-Spezialist seit 2017 gehört, wurden die Harman-Entwickler befähigt, diesen Weg gehen zu können. Man wollte nicht mehr nur im Projektgeschäft agieren, sondern rein ins Produktgeschäft, so Prommersberger. Während die CTOs und CEOs schnell von diesem Weg zu überzeugt sind, gilt es eher zu den Ingenieuren der Hersteller durchzudringen. Aus Sicht der Nutzer sei ein zu langes Festhalten an ewig langen Anforderungsprotokollen völlig irrelevant. Man gehe ja auch nicht in einen Samsung-Store und legt dem Verkäufer ein Anforderungsprotokoll auf den Tisch. Stattdessen entscheidet man sich für ein Produkt, weil man genau das gut findet, erklärt Prommersberger.

Qualität von Samsung QLED kommt ins Auto

Im zweiten Fahrzeug der Tour dreht es sich weniger darum, lebensbedrohliche Situationen zu vermeiden. Nun steht der spaßige Teil im Fokus. „Die In-Cabin Experience wird immer wichtiger“, stellt Prommersberger klar. Dazu steht jetzt bei Harman auch die Qualität der Displays im Fokus. Die aktuellen TFT-LCD-Displays für den Massenmarkt würden nicht den Erwartungen der Verbraucher an ein visuelles Erlebnis auf Unterhaltungselektronik-Niveau entsprechen. "Ready Display bietet Autofahrern die Displays für ihre Fahrzeuge, die sie von ihren Fernsehern und Smartphones gewohnt sind“, so Prommersberger. Eines der Displays heißt Neo QLED Auto. Dieses habe einen geringeren optischen Abstand. Und dank des All-in-One-Gehäusekonzepts sollen OEMs das Display einfach in ihre Fahrzeuge integrieren können, ohne deren Design größer zu beeinträchtigen.

Harman macht das Auto zum Konzertsaal

Last but not least darf natürlich das Audioerlebnis nicht fehlen. Bereits beim Zugehen auf das dritte Entwicklungsfahrzeug spürt man die Bässe, die den Innenraum zum Beben bringen. Gezeigt wird hier Ready on demand. Dabei handelt es sich um eine skalierbare Plattform für die Bereitstellung von Audioerlebnissen, Funktionserweiterungen und Upgrades. Die Hardware wird vorab verbaut. Um sie vollumfänglich nutzen zu können, reicht ein Klick. Für OEMs entstehen so wiederkehrende Einnahmequellen nach dem Fahrzeugverkauf. Harman erhofft sich davon eine enge Bindung zu den Konsumenten. Wer sich beim Kauf eines Autos nicht auf Anhieb die High-End-Ausstattung leisten kann oder will, hat dadurch die Möglichkeit, jederzeit nachzurüsten. Der Individualisierungsgrad bezieht sich auf die Personalisierung, die Kommunikation und Erweiterungsmöglichkeiten, die der Lieblingsmusik eine besondere Atmosphäre, verleihen können. So reicht ein Knopfdruck und man hat das Gefühl, nicht mehr in einem Auto, sondern in einem Konzertsaal zu sitzen. Def Leppard lässt grüßen.