IT-Sourcing: Die Standortwahl wird wichtiger
Die Sourcing-Strategien in Sachen IT stehen auf dem Prüfstand.
(Bild: Ideogram)
Die geopolitischen Entwicklungen haben Folgen für die IT-Delivery-Modelle. Anpassungen erfolgen jedoch eher im Detail, an den globalen Strategien ändert sich wenig.
Geo- und wirtschaftspolitische Spannungen, wirtschaftlich herausfordernde Zeiten und nicht zuletzt der Fachkräftemangel sind schon längst in der Unternehmensrealität angekommen. Wo produziert wird, wie Lieferketten zu gestalten sind – die Antworten auf solche Fragen haben eine deutlich kürzere Halbwertszeit als noch vor fünf Jahren. Doch nicht nur die Produktion und Lieferantennetzwerk sind in den Unternehmen der Automobilbranche weltweit aufgestellt, sondern auch die IT. Trotzdem spielt in der öffentlichen Debatte ihre globale Ausrichtung vor den dramatischen Entwicklungen der vergangenen Jahre kaum eine Rolle.
„Die geopolitische Lage wirkt sich definitiv auch auf das Near- und Offshoring aus“, sagt Uwe Strauss, Partner bei Deloitte und verantwortlich für den Bereich Technology Strategy & Transformation in Deutschland. „Es gibt eine Unsicherheit auf Kundenseite, weil teils auch in derzeit als kritisch anzusehenden Ländern investiert wurde. Da es inzwischen starke Entwicklungspartnerschaften gibt, kann das auch zu Engpässen oder Qualitätsschwankungen führen, wenn sich die Strategie kurzfristig ändern muss.“
Europäische Anbieter gewinnen an Bedeutung
Auch Oliver Bergius, Partner und verantwortlich für IT-Transformation und CIO Advisory bei PwC Deutschland, bestätigt: „Die Standortwahl ist beim IT-Delivery wichtiger geworden. Dabei steht die Leitfrage im Vordergrund, wie geschäftskritisch und differenzierend ein Service ist.“ Letztlich gehe es bei einer Entscheidung, wo und wie ein solcher Service erbracht werden solle, neben der Lokation aber immer auch um Kosteneffizienz, strategische Relevanz und Innovationsfähigkeit.
So sei zum Beispiel bei der Auswahl eines Cloud-Anbieters die Frage wichtiger geworden, welche Daten für welche Use Cases wo gespeichert werden und wer auf diese potenziell zugreifen könne. „Das führt dazu, dass neben den US-amerikanischen Hyperscalern auch rein europäische Anbieter an Bedeutung gewinnen“, sagt Bergius. „Die Unternehmen wollen dadurch ein Stück weit digitale Souveränität erreichen.“ Es gebe nahezu keinen OEM, der bei der Cloud nicht wenigstens eine Zwei-Lieferanten-Strategie fahre.
OEMs dementieren veränderte Sourcing-Strategien
Trotzdem ist die Unternehmens-IT eines globalen Anbieters heute ja dazu verdammt, weltweit zu agieren. „Die Nähe zu den Märkten ist beim Sourcing ganz entscheidend“, sagt Deloitte-Partner Strauss. „Bei Near- und Offshore-Entscheidungen geht es heutzutage nicht mehr nur um verlängerte Werkbänke, sondern um IT-Hubs und teils um länderübergreifende, teils globale Netzwerke, die aufgrund ihrer Nähe zu den Märkten leichter eine Skalierung und Marktdifferenzierung ermöglichen.“
Mehrere befragte Automobilhersteller verneinen dagegen, dass sich das IT-Sourcing aufgrund der geopolitischen Lage in den letzten Jahren verändert hat. Sie betonen vielmehr unisono die existierende globale Ausrichtung der Unternehmens-IT. Beispiel BMW: „Unser IT-Delivery-Modell ist global aufgestellt und auf kontinuierlichen Wandel ausgelegt. Ziel ist es, unsere globale IT so zu orchestrieren, dass sie resilient, effizient und innovationsfähig bleibt – über alle Regionen hinweg“, so Christoph Schäfle, Vice-President Strategie, Governance & IT-Security bei der BMW Group. Standortentscheidungen orientierten sich deshalb an einer ausgewogenen, langfristigen Strategie. „Dabei berücksichtigen wir nicht nur Qualitäts- und Kostenaspekte, sondern auch den Lebenszyklus der jeweiligen Produkte, die Nähe zu Geschäftsprozessen, Talentverfügbarkeit sowie regulatorische Rahmenbedingungen“, so der BMW-Manager.
Bei Mercedes-Benz klingt es ähnlich: Gerade in der IT seien globale Zusammenarbeit und Vielfalt entscheidend für den Erfolg. Die IT bilde eine weltweite Community. Man habe verschiedene Hubs mit unterschiedlichen Stärken, die man optimal nutzen wolle. Zum Beispiel verfüge man in einigen Regionen, wie etwa in Indien, über sehr starke Softwareentwicklungsteams, während man an europäischen Standorten exzellente DevOps-Kompetenz aufgebaut habe. Das ergänze sich perfekt. Entscheidend sei die Qualität der Zusammenarbeit, die Innovationskraft und die Fähigkeit, flexibel auf Marktanforderungen zu reagieren.
Afrika wird immer wichtiger
Grundsätzlich ist der Trend zum IT-Outsourcing jedenfalls ungebrochen, betont der IT-Dienstleister Cognizant. „Das gilt sowohl im Nearshore- als auch im Offshore-Bereich“, sagt Andreas Golze, Managing Director für die DACH-Region. „Zum einen möchten Unternehmen Kosten senken, zum anderen stehen sie häufig vor dem Problem, qualifiziertes Fachpersonal – insbesondere in zukunftsweisenden Bereichen wie Künstliche Intelligenz, Cloud Computing und dem Internet der Dinge – am eigenen Standort ausreichend zu finden.“ Hinzu komme, dass Outsourcing-Partner oftmals spezielles Know-how und innovative Technologien bereitstellen könnten, wodurch Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern und flexibler auf Marktveränderungen reagieren könnten.
Und obgleich die etablierten Nearshore- und Offshore-Regionen laut Golze weiterhin bevorzugt werden, gewinne auch Afrika zunehmend an Bedeutung: „Dies liegt an der Entstehung neuer Absatzmärkte sowie der dortigen Verfügbarkeit zahlreicher hochqualifizierter und motivierter junger Fachkräfte.“ Nicht zu vergessen: Das dortige Lohnniveau ist niedriger als zum Beispiel in Osteuropa.