Wolfgang Gehring FOSS Ambassador mit Mikro vor Präsentation

Seinen Jobtitel muss Wolfgang Gehring regelmäßig erklären, denn er ist FOSS Ambassador. (Bild: EclipseCon 2022)

Für die volle Jobbezeichnung von Wolfgang Gehring braucht es etwas Platz. Gehring ist bei Mercedes-Benz Tech Innovation “FOSS Ambassador und Lead Expert für FOSS – Free and Open Source Software”. Klingt kryptisch. Was genau macht ein FOSS Ambassador?

Die Antwort lautet: Gehring ist Ansprechpartner rund um das Thema Open Source Software bei einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft und der zugleich größten deutschen Software-Entwicklungseinheit innerhalb von Mercedes-Benz. „Ich leite das Open Source Program Office bei Mercedes-Benz Tech Innovation und das FOSS-Team und berate die Geschäftsführung bei der Entscheidungs- und Strategiefindung im FOSS-Umfeld“, erklärt der 50-Jährige. Doch das ist nicht alles: Gehring stärkt die Community, verfasst Artikel, Vorträge, dreht Videos und nimmt Podcasts auf – ganz Botschafter für Free and Open Source Software. Zudem repräsentiert er das Thema intern und extern.

Den offiziellen Jobtitel „FOSS Ambassador“ gibt es erst seit Ende 2022 – auch wenn Gehring als solcher schon viel länger unterwegs war. Seither arbeiten er und sein Team jeden Tag daran, wie er sagt, „den Open-Source-Spirit in alle Bereiche unseres Unternehmens zu tragen“. Ziel sei es, mit der Open-Source-Community innovative Projekte anzuschieben, voneinander zu lernen und Erfahrungen auszutauschen.

Im Berufsalltag heißt das vor allem: viel kommunizieren, zuhören, offen sein, Ideen entwickeln. Und immer geht es darum, für das Thema intern und extern zu sensibilisieren, Kolleginnen und Kollegen bei Fragen rund um FOSS zu beraten und zu unterstützen. Dazu zählt auch der von Gehring geleitete FOSS Friday: „Das ist eine Art Mini-Konferenz, bei der wir einmal im Monat einige international anerkannte Expertinnen und Experten sowie Open Source-Enthusiasten zu Vorträgen und Q&A-Sessions einladen.“ Schließlich lebe Open Source vom Austausch mit „der Welt da draußen“. Zu Gast waren unter anderem schon Daniel Stenberg von Curl, Evan You von vue.js und Maintainer von Eclipse Foundation-Projekten. „Typischerweise berichten die Projekt-Maintainer von ihrer Arbeit, ihren Erfahrungen, und unsere Kolleginnen und Kollegen haben die Gelegenheit, mit ihnen zu diskutieren“, berichtet Gehring.

Darum ist das Thema Open Source für Mercedes-Benz so wichtig.

Dabei wird auch immer wieder deutlich, warum für OEMs kein Weg an Open Source vorbeiführt. „Innovation im Softwarebereich findet größtenteils in Open Source statt, und nur, wer ebenfalls in Open Source tätig ist, kann daran teilhaben“, erklärt der Experte, „zudem lässt sich mit Open Source Software eine wesentlich höhere Effizienz bei der Software-Entwicklung erzielen. Es ergibt einfach keinen Sinn, das Rad immer neu zu erfinden.“

Warum sollte man selbst eine weitere Lösung programmieren, für die es bereits tausendfach erprobte und bewährte Komponenten gibt? So könne sich ein Unternehmen auf die wettbewerbsdifferenzierenden Elemente konzentrieren, auf das, was man selbst am besten kann.

Bei Mercedes möchte man nicht nur von der kostenfreien Software profitieren, sondern sich auch selbst einbringen: Sowohl finanziell als auch durch Beiträge an der Weiterentwicklung und eigener Software, die als Open Source veröffentlicht wird. „Das ist nicht nur fair, sondern man profitiert doppelt, denn die Interaktion mit den besten Entwicklern und Entwicklerinnen auf der Welt ist ein kontinuierliches Trainingsprogramm für einen selbst“, sagt Gehring.

Außerdem werde sich ein Unternehmen im Wettbewerb um talentierte Entwickler und Entwicklerinnen schwertun, für das Open-Source keine große Rolle spielt. „Laut der Studie ‚Open Source Security And Risk Analysis Report‘ von Synopsys wird in weit mehr als 90 Prozent aller neuen Software-Entwicklungsprojekte Open Source eingesetzt“, betont Gehring. „Unterm Strich ist Open Source in der Software-Entwicklung wie die Luft zum Atmen: Ohne geht’s nicht mehr.“

Was den Job spannend macht

Aber was genau fasziniert Gehring an FOSS? „Es ergibt einfach Sinn“, sagt er und glaubt daran, dass man gemeinsam so viel besser sei. Häufig lasse sich durch die Nutzung von Open Source und Inner Source mehr Potenzial ausschöpfen als ohne. Zudem reizt ihn der Austausch mit der weltweiten Community, „mit Menschen von so vielen verschiedenen Hintergründen, die alle danach streben, Dinge zu verbessern“. Was ihn fasziniert, ist der Elan und die Motivation der Entwickler. „Außerdem bin ich sehr wissbegierig, lerne wirklich ständig etwas Neues“, sagt Gehring. „Das Thema hat eine ungeheure Dynamik und entwickelt sich rasant weiter, es wird nie langweilig!“ Wer Abwechslung liebt, das Verlassen ausgetretener Pfade und gern im Team arbeitet ist im FOSS-Universum schon mal gut aufgehoben. Was braucht es noch?

Diese Qualifikationen sollte man mitbringen

Klar, IT-affin sollte man schon sein und über ein gutes technisches Verständnis verfügen. Wesentlich seien aber auch diese Fähigkeiten, erklärt Gehring: Kreativität, Flexibilität, hohe Kommunikationsfähigkeit, Lösungsorientierung und Durchsetzungsvermögen. Auch nicht verkehrt: Etwas diplomatisches Geschick.

Gehring selber ist im Learning-by-Doing-Modus in seine Funktion hineingewachsen. Er stieß 2007 zu Mercedes-Benz-Tech Innovation. Im Gepäck hatte Gehring eine solide Ausbildung. Zunächst machte er ein Diplom in Informatik an der Universität Ulm. Es folgten ein Master-Studium der Mathematik in San Diego, ein Forschungsaufenthalt bei Microsoft Research, die Promotion an der Universität Ulm sowie etliche Lehraufträge an der Hochschule Ulm im Bereich Software-Entwicklung. Nach Tätigkeiten als Software-Entwickler, Projekt Manager und Scrum Master wurde er schließlich FOSS Ambassador.

Auch wenn seine Tage als Open Source Botschafter vollgepackt sind und er nach Feierabend mitunter seine Mission mit zahlreichen Aktivitäten zum Thema weiterverfolgt, bleibt noch Zeit das Ausland zu erkunden. „Ich liebe es, zu reisen und für jedes neu besuchte Land Länderpunkte zu sammeln“, erzählt Gehring. Außerdem ist er leidenschaftlicher Taucher und Dive Master. Nicht zuletzt taucht er nach Dienstschluss gern in Kneipen als Pub Quiz-Moderator auf – und das seit mehr als 20 Jahren. Überraschen könnte er dabei mit der Frage: Was macht eigentlich ein FOSS Ambassador?

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