Autonomes Fahren Nvidia

Der Tech-Riese Nvidia ist eine der ersten Adressen, wenn es um die Technologie rund um das autonome Fahren geht. (Bild: Nvidia)

Aufträge über elf Milliarden US-Dollar – so viel hat Nvidia nach eigenen Angaben in der Automobilindustrie für die kommenden sechs Jahre an Land gezogen – Stand Frühjahr 2022. Ein Jahr zuvor waren es noch acht Milliarden US-Dollar. Nicht schlecht für ein Unternehmen, das im bereits beendeten Geschäftsjahr 2022 gerade einmal 566 Millionen US-Dollar Umsatz mit seinem Automobilgeschäft gemacht hat. Die Zeichen stehen unverkennbar auf Wachstum. Die Liste der Kunden ist illuster. Unter den Partnern des Nvidia-Ökosystems sind alteingesessene Anbieter wie Jaguar Land Rover, Hyundai-Kia, Mercedes-Benz und Volvo sowie Newcomer wie BYD, Didi, Lucid und Nio zu finden. Auf Seiten der Zulieferer stehen mit Bosch, Continental und ZF drei der vier größten Unternehmen auf Nvidias Liste der Ökosystempartner.

„Hochautomatisiertes Fahren ist eine der herausforderndsten Aufgaben der Automobilindustrie“, sagt Pedro Pacheco, Research Vice President bei Gartner für die Mobilitätsbranche. Nvidia sei hierfür umfassend aufgestellt: Sie liefern wichtige Technologien für das hochautomatisierte Fahren der Level 3 und Level 4, sie entwickeln eigene GPUs, sie haben Lösungen für das Cloud Computing und sie verfügen über umfassendes Knowhow für Simulationen und künstliche Intelligenz. „Viele Technologieunternehmen wären in der Automobilbranche liebend gerne in so einer Position wie Nvidia“, sagt Pacheco.

Alles aus einer Hand beim autonomen Fahren

Laut dem Unternehmen setzen 20 der 30 größten Hersteller von Elektrofahrzeugen das System-on-Chip Orin ein. Nvidia bezeichnet es als Gehirn eines autonomen Autos. Bereits vor gut einem Jahr hat der Tech-Player den SoC-Nachfolger Atlan angekündigt, mit doppelter Rechenleistung und integrierter Security auf Rechenzentrumsniveau. Relevant soll er für Fahrzeuge sein, die ab 2025 produziert werden. Als Datenlieferant für die Umfeldwahrnehmung dient im Nvidia-Universum die Sensorsuite Hyperion. „Hyperion 8 wird in Fahrzeugen von Mercedes-Benz ab 2024 ausgeliefert, in Fahrzeugen von JLR ab 2025“, kündigte CEO Jensen Huang auf Nvidias Entwicklerkonferenz vergangenes Frühjahr an. Fahrzeuge mit Hyperion 9 kämen ab 2026 auf den Markt. Das System bringt es dann auf 14 Kameras für außen und innen, neun Radare, drei Lidare und 20 Ultraschallsensoren.

Orin, Atlan und Hyperion beruhen auf Nvidias Drive-Plattform und sind naturgemäß sehr industriespezifisch. Die weiteren Basistechnologien von Nvidia nicht. Hier profitiert das Unternehmen davon, dass es mit KI- und Simulationssoftware sowie mit GPUs und Rechenleistung in vielen Branchen unterwegs ist: von Baugewerbe bis Gaming, von Finanzdienstleistungen bis Gesundheitswesen, vom Einzelhandel bis zu Smart Cities. Die Umsätze in den beiden größten Geschäftsfeldern, Gaming und Rechenzentren, sind jeder für sich ungefähr 20-mal höher als im Automobilsegment. Selbst das Segment Professionelle Visualisierung ist fast viermal so groß.

Noch, könnte man sagen. „Die nächste Generation von Fahrzeugen wird die Automobilindustrie in eine der größten und am weitesten fortgeschrittenen Technologieindustrien verwandeln“, prophezeite Huang Anfang des Jahres, als die Partnerschaft mit Jaguar Land Rover bekannt gegeben wurde. Nvidia will sich von diesem Kuchen ein großes Stück sichern.

Digitaler Zwilling auf Kartenbasis

Das Unternehmen möchte für autonome Fahrzeuge einen digitalen Zwilling ihrer Umgebung erschaffen. Auf der Entwicklerkonferenz kündigte Huang hierfür eine multimodale Kartenplattform an, die auf Technologie des vergangenen Jahres übernommenen Startups DeepMap beruht. Die hochpräzisen Karten sollen Daten von Kamera, Lidar, Radar und GPS in vier Schichten vereinen. Eine KI, die ein Roboauto steuert, kann auf diese vier Ebenen unabhängig voneinander zugreifen, was für Redundanz sorgt. Dann kann sie sicher navigieren, so die Idee. Laut Nvidia soll die Lidar-Schicht eine Ortsauflösung von fünf Zentimetern erreichen. Bis Ende 2024 soll Drive Map 500.000 Straßenkilometer in Nordamerika, Europa und Asien darstellen können, primär Autobahnen.

Die Basis für Drive Map bilden Ortsdaten, die mit Vermessungsfahrzeugen gesammelt werden. Aktualisiert werden sollen die Kartendaten vor allem von der Crowd. Nvidia spricht in diesem Zusammenhang von „Millionen von Pkw“. Eine KI-Engine soll aus den Crowd-Daten dann relevante Aktualisierungen für Drive Map ableiten und per Over-the-Air-Update einspeisen.

Wie stark Nvidias Verhandlungsposition bei Kooperationen mit OEMs ist, bleibt ein Geheimnis. Es existiert die unbestätigte Meldung, dass Mercedes-Benz bei künftigen hochautomatisierten Fahrfunktionen, die maßgeblich auf Nvidia-Technologie beruhen werden, mehr als 40 Prozent der Einnahmen durchleitet. Beide Unternehmen haben sich nicht dazu geäußert, schließlich sind Vertragsdetails vertraulich.

Keine Verträge auf Stückkostenbasis

Auch Gartner-Berater Pacheco wird hier nicht konkreter. Grundsätzlich komme die Automobilindustrie durch lückenhaftes Knowhow bei digitalen Technologien in eine Verhandlungsposition, die sie von traditionellen Zulieferern nicht kenne. „Einiges lässt sich dann zwangsläufig nicht als Kosten pro Bauteil abrechnen“, sagt er und nennt als Beispiel Automotive Clouds, wie sie zum Beispiel Volkswagen and Microsoft gemeinsam realisiert haben. „Die Zusammenarbeit geht in solchen Fällen so weit, dass die Tech-Player den Automobilherstellern dabei helfen sollen, die Unternehmenskultur zu verändern, weil sie ein maßgebliches Hindernis bei der laufenden Aufholjagd ist“, weiß Pacheco.

Auch das passt nicht ins traditionelle Abrechnungsverständnis. Trotzdem werde es nicht so sein, dass nun alles, was mit Software zu tun habe, neuartige Ansätze in Verträgen erfordere, sagt Pacheco. „Aber Nvidia ist beim autonomen Fahren definitiv einer der Tech-Player, der ein Kandidat für bislang ungewohnte Vertragskonstruktionen ist.“

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