Der Zeekr Mix ist 1,78 Meter hoch.

Der Zeekr Mix ist 1,78 Meter hoch. (Bild: Zoellter)

Dass chinesische Automobilhersteller gern ikonenhafte Produkte ausländischer, insbesondere deutscher Marken kopieren und preisgünstiger auf den Markt werfen, ist hinlänglich bekannt. Deshalb mag es nahe liegen, den neuen Zeekr Mix auf den ersten Blick als Plagiat des ID.Buzz einzuordnen. Der chinesische Familien-Van ist mit 469 cm Länge, 200 cm Breite und 178 cm Höhe zwar geringfügig kürzer, etwas breiter und niedriger als der VW mit kurzem Radstand. Doch es fällt nicht leicht, dem Zeekr angesichts ähnlicher Proportionen und Zweifarb-Lackierung im Stil der VW-Ikone auf den ersten Blick Eigenständigkeit zu attestieren. Hinzu kommt, dass Stefan Sielaff fürs Zeekr Mix Design verantwortlich ist. Der ehemalige Chefdesigner von Audi und Bentley verantwortet seit drei Jahren das Produktdesign des chinesischen Großkonzerns Geely, auch für Fahrzeuge von Lynk&Co und der batterieelektrischen Schwestermarke Zeekr. Der Mix ist sein jüngstes Produkt. Trägt es die VW-Formensprache übersetzt ins Chinesische weiter? „Keinesfalls“, widerspricht Sielaff, „diese Form folgt der optimalen Innenraum-Ausnutzung.“

Nähern wir uns dem Zeekr Mix im Wissen um die langfristige Entwicklungsstrategie des Vielmarken-Konzerns Geely, dessen Innovationsschübe Richtung autonomes Fahren zielen, so erscheint der Zeekr Mix in einem ganz anderen Licht. Das Stichwort gibt Sielaff: „Das Fahrzeug ist ein Experiment, eine mobile Kapsel auf vier Rädern, die ihre Passagiere ins Zeitalter des autonomen Fahrens führt.“

Diese Hardware steckt im Mix

Schauen wir zurück: Eine auf der batterie-elektrischen SEA-M Konzernplattform bauenden Flotte im Prototypenstadium hat Geely als „Projekt M“ an die Alphabet-Tochter Waymo zur Robotaxi Praxiserprobung geliefert. Während Waymo damit autonome Fahrfunktionen vorantreibt, setzt Zeekr Szenarien zur vielfältigen Nutzung des EV um. Vorausblickend auf Zeiten, in denen das Lenkrad überflüssig wird und die Erlebniswelt im mobilen Wohnraum neu interpretiert werden kann.

Wir fahren den Zeekr Mix in China mit Lenkrad und Pedalerie, wie es der Gesetzgeber bis dato noch vorschreibt, wenngleich das verbaute Waymo-System der sechsten Generation beeindruckend elegant Überholmanöver auf der Autobahn, komplexe Stadtkreuzungen und sicheres Einfädeln in den Stop-and-Go Abbiegeverkehr ohne manuelle Eingriffe beherrscht. Natürlich parkt der Van auch Remote gesteuert längs und quer zur Straße ein. Gegenüber der Konkurrenz beherrsche der Mix mehr als 1.000 neue Verkehrsszenarien für autonomes Fahren, schwärmt Zeekr.

Möglich macht das die Haohan 2.0 Steuerung in den Untiefen der Elektronik-Architektur. Sie komme im nächsten Entwicklungsschritt sogar ohne Präzisionskarten aus, heißt es – nur gestützt auf Onboard verarbeitete Szenarien. Erfasst werden situative Zustände von einem Lidar-Watchtower, fünf Millimeterwellen und zwölf Ultraschall-Sensoren sowie 13 Kameras. Zwei Nvidia Orion X Chips mit extrem schneller Rechenleistung verarbeiten sie. Im Zentraltablet und AR Head-up Display wird die komplette vielspurige Umgebung abgebildet. Ein schmales Display über der Lenksäule informiert über Reichweite, Verbrauch und Fahrgeschwindigkeit. Radar und Kameras überwachen – einem Schutzschirm vergleichbar – die komplette 360-Grad-Umgebung des Fahrzeugs.

Wohnzimmer-Feeling im Fond

Dass der Zeekr Mix den ID.Buzz auch mit cleverer Raumausnutzung und Variabilität des Mobiliars abhängt, mag technisch begeisterten, chinesische Kunden möglicherweise weniger bedeuten als Europäern, wenn sie durch die 148 cm breite und 133 cm hohe riesige Seitenpforte das Interieur betreten. Denn der Mix verzichtet auf B-Säulen. Es gibt Beinfreiheit ohne Ende. Fahrer- und Beifahrersessel drehen bis zu 270 Grad, ergänzen die Fondsitze sogar zu einem Doppelbett. Neun vorprogrammierte Wohnraum-Konfigurationen sind im Zentraldisplay abgelegt, können über Sprachbefehle von jedem Platz aus angesteuert werden. Spätestens, wenn sie die zahlreichen USB-Anschlüsse entdecken sowie die 220-V-Steckdosen zum Bestromen von Musikverstärker, Reiskocher, einer Espressomaschine oder Heizplatte fürs chinesische Nationalgericht Hotpot, dürfte die Vielfalt im Interieur auch chinesische Kunden begeistern.

Und wie fährt die chinesische Raumkapsel in den Händen eines Europäers, der zwar voller Bewunderung autonome Fahrfähigkeiten nutzt, aber noch viel lieber selbst das Lenkrad in die Hand nimmt? Nun ja, ziemlich unspektakulär – wie die meisten chinesischen Autos. Sehr gut dagegen: Bis 120 km/h sind Wind- und Abrollgeräusche nicht vernehmbar. Die Freizeitkapsel Mix überbaut Geelys (modernisierte) 800-V-Architektur, in der aktuellen Basisversion mit 310 kW/421 PS E-Motor an der Hinterachse. In 6,8 Sekunden geht’s auf 100 km/h. Die Leistung stellt eine von Geely entwickelte 76 kWh LFP-Batterie bereit, die mit bis zu 418 kW ultra-schnell nachladen soll (Laderate 5,5 C), zumindest anfangs. Angeblich vergehen nur 10,5 Minuten, um von 10 auf 80 Prozent aufzustocken.

Wird der Mix bald in Europa gebaut?

Das Zeekr Management sieht wohl Erfolgschancen des Mix im europäischen Markt. Doch im Mutterkonzern Geely ringt man mit Blick auf die schleppende Akzeptanz der erst drei Jahre alten Marke wohl noch um Zustimmung. Denn Produkteinführungen mussten in der Vergangenheit verschoben werden. Vielleicht werden Volvo, Polestar, Lynk&Co, Zeekr, Lotus und LEVC auf gleicher Geely E-Plattform als zu wenig gegeneinander abgegrenzt empfunden. Der Zeekr Mix könnte allerdings gerade dieses Argument entkräften. In der von uns gefahrenen Basisversion mit Vollausstattung und 76 kWh Akku kostet der Fünfsitzer 279.900 RMB, umgerechnet etwa 36.125 EUR. Schon im ersten Verkaufsmonat Oktober wurden 25.049 Einheiten abgesetzt.

Natürlich kann angesichts von Transportkosten, Homologation und insbesondere Einfuhrzöllen der chinesische Preis für Europa nicht gehalten werden, so lange der Mix im Geely Werk Qian Wan/Zheijiang vom Band läuft. Doch wenn er als bisher überzeugendstes Angebot der Marke in Europa weniger als 50.000 Euro kostet, was dem Einstandspreis eines vergleichsweise mager ausgestatteten ID.Buzz entspricht, könnten reale Erfolgschancen bestehen.

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