Christian Senger steht vor einem Bildschirm und zeigt darauf

Christian Senger soll als Vorstand Entwicklung Autonomes Fahren bei Volkswagen Nutzfahrzeuge Selbstfahr-Technologie für den breiten kommerziellen Einsatz forcieren. (Bild: VWN)

Herr Senger, welche Erfahrungen haben sich bei der bisherigen Zusammenarbeit mit Mobileye hinsichtlich des autonomen ID.Buzz als besonders wertvoll herausgestellt?

Mobileye liefert den digitalen Fahrer für den selbstfahrenden ID. Buzz AD von Volkswagen Nutzfahrzeuge in Europa und den USA. Das Unternehmen ist einer der führenden Anbieter bei Systemen für das automatisierte Fahren und liefert seit vielen Jahren Fahrerassistenzsysteme für die Autoindustrie. Es verfügt über eine starke Schwarmdaten-Basis von mehr als 150 Millionen Fahrzeugen. Wichtig für uns ist, dass es große Synergien mit solchen nicht-autonomen Fahrzeugen gibt, denn die Module können konzernweit von Level 2+ bis Level 4 eingesetzt werden. Und Mobileye kann aus dem laufenden Geschäft seine nötigen Investitionen in das autonome Fahren finanzieren.

Wie wird VW sicherstellen, dass die Fahrassistenzfunktionen von Mobileye nahtlos in die von Cariad entwickelten Softwarearchitekturen integriert werden?

Bei der Konzeption des autonomen ID. Buzz AD haben wir eine Schnittstelle geschaffen, damit das Self-Driving-System (SDS) an die bestehende Elektronik-Architektur angeschlossen werden kann. Schon in den ersten Versuchsreihen vor zwei Jahren wurde deutlich, dass wir damit binnen Wochen deren System in unsere Autos integrieren konnten. In Straßentests bereiten wir die autonomen Fahrzeuge seitdem für den kommerziellen Einsatz in den künftigen Zielgebieten vor.

Angesichts der bereits vorhandenen Level-3-Funktionen bei der Konkurrenz von Mercedes und BMW: Wie will VW aufholen und den Anschluss in der Entwicklung autonomer Fahrtechnologien halten?

Wir sind bei Volkswagen Nutzfahrzeuge und der Volkswagen ADMT Gesellschaft (Autonomous Driving Mobility and Transport, Anm. d. Red. und siehe Kasten) ausschließlich auf den Level-4-Bereich fokussiert, auf Mobilität und Transporte als Dienstleistung. Das ist mit privat genutzten Fahrzeugen und deren teilautonomen Funktionen (Level 3) nicht zu vergleichen. Ein Level-4-System kann seine Aufgabe nicht an einen menschlichen Fahrer zurückgeben, es fährt per Definition vollständig autonom im vorgegebenen Bereich. Entsprechend höher ist der Entwicklungsaufwand, denn wir sind zudem im innerstädtischen Verkehr unterwegs.  

Welche Rolle spielt die Kooperation mit anderen Partnern wie Qualcomm und Horizon Robotics im Vergleich zur Zusammenarbeit mit Mobileye?

Der Volkswagen-Konzern bietet ein breites Spektrum an Fahrzeugen in mehr als 150 Ländern der Welt an. Unser Kooperation mit Mobileye zur Entwicklung des autonomen ID. Buzz AD zielt auf den Einsatz in Europa und Nordamerika. Für andere Märkte und Einsatzzwecke hat der Konzern weitere Partnerschaften geschlossen.

Was macht die Volkswagen ADMT?

ID Buzz AD
(Bild: VWN)

Die Volkswagen ADMT GmbH, eine Tochtergesellschaft der Volkswagen AG, entwickelt autonome Fahrzeuge und Technologien. Ihr Hauptprojekt ist der ID. Buzz AD, ein vollelektrisches, autonomes Fahrzeug auf Level 4. In Zusammenarbeit mit Mobileye werden Software, Hardware und digitale Karten bereitgestellt. Der ID. Buzz AD wird über Sensoren und Vernetzungstechnologien verfügen, um in definierten städtischen Gebieten selbstständig zu fahren. Neben dem Personentransport plant Volkswagen ADMT auch autonome Gütertransporte, um den wachsenden Bedarf im E-Commerce zu decken und die Fahrerknappheit zu überwinden​. Die Abkürzung ADMT steht für Autonomous Driving Mobility and Transport.

Wie sieht die zukünftige Strategie des VW-Konzerns aus, um die Grenzen zwischen Kooperation und Eigenentwicklung in der Softwarearchitektur klarer zu definieren?

Ich kann da für meinen Entwicklungsbereich sprechen und Ihnen ein gutes Beispiel für den richten Mix aus Kooperation und Eigenentwicklung nennen: Beim Self-Driving-System nutzen wir wie gesagt die Synergien des Konzerns, die ja Grundlage für die Entwicklungspartnerschaft mit Mobileye sind, denn die Module können konzernweit von Level 2+ bis Level 4 eingesetzt werden. Aber es geht entwicklungsseitig um viel mehr: Wir entwickeln das autonome Fahren ja als ganzheitliches Produkt für Mobilitäts- und Transportlösungen. Unser Produktportfolio umfasst sowohl autonome Fahrzeuge als auch die Betriebssoftware für autonome Fahrzeugflotten bei unseren Kunden. Wir entwickeln den Service für unsere Kunden – mit unseren Kunden. Die Volkswagen ADMT und Moia nutzen dabei die Erfahrung aus dem konzerneigenen, größten Ridepooling-Service Europas. Unsere Kundenstruktur ist breit gefächert und reicht von Fahrdienstleistern und ÖPNV-Betreibern über Kurier- und Lieferdienste bis zur mobilen Werkstatt.

Welche Fortschritte sehen Sie in der Sensorik, insbesondere in Bezug auf Lidar, Radar und Kamerasysteme, und wie beeinflussen diese Fortschritte die Genauigkeit und Zuverlässigkeit autonomer Fahrsysteme?

Wir setzen für den ID. Buzz AD auf ein redundantes System aus Kameras, Lidar- und Radar-Systeme. Den größten Fortschritt sehen wir derzeit bei den Imaging Radars, bildgebende Radar-Sensoren, deren Auflösungen sich stark verbessert haben. Auch bei schlechteren Witterungsbedingungen liefern sie eine gute Datenbasis.

Welche regulatorischen Herausforderungen müssen überwunden werden, um die breite Einführung autonomer Fahrzeuge zu ermöglichen, und wie können diese Herausforderungen technologisch adressiert werden?

Unsere gesetzliche Grundlage für den späteren kommerziellen Einsatz ist die Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs-und-Betriebs-Verordnung (AFGBV), sie ist aber nur in Deutschland gültig. Für einen breiten Rollout von autonomen Fahrzeugen muss dieser Rechtsrahmen auf EU- und UNECE-Ebene ausgerollt werden. Hier sind wir auf die Unterstützung der Politik angewiesen.

Zur Person:

Christian Senger
(Bild: VWN)

Der Diplom-Ingenieur für Maschinenbau startete seine Laufbahn 1997 bei BMW, wo er verschiedene leitende Funktionen bekleidete. Hierzu gehörten ab 2008 die Leitung des Bereichs Energiemanagement und seit 2010 die Leitung des Bereichs Produktkonzepte BMW i. 2012 wechselte Senger zur Continental Automotive GmbH nach Regensburg, wo er die Leitung des Bereichs Automotive Systems & Technology übernahm. Mit seinem Wechsel zur Marke Volkswagen 2016 übernahm er die Leitung der Baureihe e-Mobility. Senger baute diesen Bereich auf und trieb hier die Elektro-Offensive der Marke entscheidend voran. Ab 1. März 2019 leitete er als Mitglied des Vorstands der Marke Volkswagen Pkw das Ressort ’Digital Car & Services‘. In Personalunion übernahm Senger auch die Konzernfunktion Leiter Digital Car & Services. Am 15. November 2020 übernahm Christian Senger die Leitung Entwicklung autonomes Fahren, Mobility as a Service (MaaS) und Transport as a Service (TaaS) in der Marke Volkswagen Nutzfahrzeuge, seit August 2022 ist dieser Bereich Vorstandsressort.

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