Infotainment der Mercedes-Benz E-Klasse / Mercedes-Benz stellt MB.OS vor

Bereits in diesem Jahr soll die neue E-Klasse von MB.OS-Funktionen profitieren. (Bild: Mercedes-Benz)

Mercedes macht das Auto jetzt gar vollends zum Rechner auf Rädern. Wenn in zwei Jahren mit dem elektrischen Nachfolger des CLA als künftigem Einstiegsmodell die MMA-Plattform ihren Einstand gibt, gehört dazu erstmals auch ein eigenes Betriebssystem, das dann zügig auf die gesamte Modellpalette ausgerollt wird. Das soll die Elektronikarchitektur der Fahrzeuge dramatisch vereinfachen und die Entwicklungszyklen von Hardware und Software weiter entkoppeln, hat Firmenchef Ola Källenius in Sunnyvale im Silicon Valley beim jährlichen Strategy Update angekündigt. Statt bislang oft mehr als 100 Steuergeräte pro Auto sollen dann nur vier Zentralrechner für Infotainment, Body & Comfort, die Assistenzsysteme sowie Antrieb und Akku alle Fahrzeugfunktionen steuern. Und weil deren Chips mit der hauseigenen Cloud vernetzt sind, können diese Funktionen permanent upgedated und upgegraded werden.

Neu ist die Idee freilich nicht. Doch während sich der VW-Konzern am vergleichbaren Projekt Cariad schier die Zähne ausbeißt und bis hinauf zum Vorstandsvorsitzen Herbert Diess schon reichlich Führungs- und Fachpersonal verschlissen hat, werden die Schwaben damit zum ersten westlichen Konkurrenten, der dem Vorbild Tesla auch bei der Digitalisierung das Wasser reichen kann.

Dabei ist MB.OS kein Selbstzweck, sagt Chefprogrammierer Magnus Östberg. Sondern die Software soll zur womöglich wichtigsten Waffe im Kampf um die Kunden werden. „Denn in Zeiten, in denen sich Luxus nicht mehr nur über Leistung, Lack und Leder definiert, sondern auch über das digitale Erlebnis, können wir den Menschen so in und mit unseren Autos faszinierende neue Möglichkeiten bieten“, sagt Östberg im Gespräch mit automotiveIT.

Nvidia und Google sollen das MB.OS nach vorne bringen

Zwar legt der neue "Mr. Nerdcedes" großen Wert darauf, dass MB.OS ein proprietäres Betriebssystem ist, das intern entworfen und entwickelt wurde, denn nur so behalte das Unternehmen die vollständige Kontrolle über die Kundenbeziehung, stelle den Datenschutz sicher und könne alle Fahrzeugfunktionen integrieren. Doch ganz alleine stemmen die Schwaben die Software nicht. „Nur, weil wir der Architekt in diesem neuen Haus sind, müssen wir ja nicht jede Fliese selbst verlegen“, sagt Östberg. „Aber wir suchen die Handwerker aus.“ Und die könnten prominenter kaum sein. Denn neben bewährten Partnern wie Nvidia für die Assistenzsysteme bis hin zum autonomen Fahren und Luminar für die entsprechende Sensorik hat Mercedes jetzt erstmals auch Google mit ins Boot geholt und will für MB.OS gemeinsam mit dem Datengiganten eine neue Navigation entwickeln. Als kleinen Vorgeschmack integrieren die Schwaben schon jetzt die über 200 Millionen „Places“ der aktuellen Google Maps-Daten samt Öffnungszeiten, Nutzerfotos und Kundenbewertungen in die Zielführung aller Baureihen mit MBUX.

MB.OS soll zahlreiche neue Infotainment-Funktionen mitbringen

Baumeister Östberg sucht aber nicht nur die Handwerker aus, sondern auch die Mieter, bleibt der Softwarechef im Bild und denkt da zunächst einmal ans Infotainment. Auf einem in allen künftigen Mercedes-Modellen über die volle Breite des Armaturenbretts installierten Bildschirm soll damit mehr Content als je zuvor angeboten werden, stellt er in Aussicht und will die Kunden dafür gar nicht mehr so lange auf die Folter spannen. „Denn wenn wir in diesem Sommer die neue E-Klasse bringen, bringt sie das Infotainment der Zukunft schon mit“, sagt Östberg. Dort ist er Bildschirm zwar noch geteilt und als Superscreen obendrein kleiner als der Hyperscreen in EQS & Co. Doch bietet schon die nächste Generation der Business-Limousine genug neue Inhalte, um von E wie Entertainment-Klasse zu sprechen. Das – dank des ablenkungsfrei bespielbaren Beifahrer-Monitors – zum Großteil auch während der Fahrt nutzbare Angebot reicht vom Videostreaming mit Zync und der eigenen Youtube-App, über TikTok und AngyBirds als Vorgriff auf bald mehr als 2.000 Onboard-Spiele bis hin zur Kamera auf dem Armaturenbrett, die im Stand Selfies schießt oder Video-Konferenzen mit Zoom oder Webex ermöglicht.

Neue Möglichkeiten soll MB.OS auch in den anderen Domains bieten. Im Bereich Body & Comfort zum Beispiel stellt Mercedes mit noch feinfühligerer Klimasteuerung, der Visualisierung von Sound im Ambientelicht und einem versierteren Wellnesscoach des Energizing Comfort-Systems in Aussicht. Und bei der Fahrerassistenz gilt autonomes Fahren nach Level 3 bis Tempo 130 als Zielvorgabe. Auf dem Weg dahin werden alle künftigen Mercedes-Modelle ein aufwändigeres und leistungsfähigeres Sensor-Set bekommen, als es heute in den meisten Modellen der S-Klasse verbaut ist. Lediglich die Domain Driving und Charging kommt beim Strategie-Update ein wenig zu kurz. Hier reicht es für nicht viel mehr als das Versprechen eines „erstklassigen Reichweitenmanagements und einer konkurrenzlosen Routenplanung".

Over the Air Updates sollen Fahrzeuge stetig verbessern

Der große Vorteil des eigenen Betriebssystems ist für Östberg aber nicht alleine die vergleichsweise einfache Integration und Vernetzung vieler neuer Funktionen. Sondern auch die umfassende Fähigkeit zum Update: „Wie ein Wein daheim im Keller werden unsere Autos dann nicht mehr älter, sondern besser“, beschreibt Källenius die neuen Möglichkeiten, die weit über die Over-the-Air-Updates für MBUX hinausgehen. Denn erstmals können so wirklich alle Software-Funktionen im Fahrzeug aktualisiert werden – von der ESP-Regelung bis zur Spiegelverstellung.

Mercedes-Benz Strategy Update / Ola Källenius zeigt neues Automotive-OS MB.OS
Mercedes-Chef Ola Källenius bei der Vorstellung des neuen MB.OS. (Bild: Mercedes-Benz)

Dabei leuchten auch die Augen von Vertriebschefin Britta Seeger und Finanzchef Harald Wilhelm. Denn in der Software steckt viel Geld: „MB.OS ermöglicht es uns, über den gesamten Fahrzeug-Lebenszyklus Umsätze zu erwirtschaften und neue Ertragsquellen zu erschließen“, sagt Seeger und kann schon für MB.UX erste Erfolge vermelden: Bereits im Jahr 2022 hat sie mit Produkten und Services wie Navigation, Live Traffic-Daten oder Karten-Updates mehr als eine Milliarde Euro an software-basierten Umsätzen erzielt. Mit Blick auf die neuen Möglichkeiten soll dieser Betrag bis zur Mitte des Jahrzehnts auf einen niedrigen bis mittleren einstelligen Milliarden-Betrag anwachsen und zum Ende der Dekade noch einmal stark steigen.

Wenn die Rechnung der Schwaben aufgeht, werden sie schon 2025 mehr als eine Milliarde mit Software verdienen und so auch den hohen Invest rechtfertigen. Immerhin hat Finanzvorstand Wilhelm dem Chefprogrammierer Östberg bis zur Mitte des Jahrzehnts 25 Prozent des gesamten Forschungs- und Entwicklungsbudgets für Software zugesichert.

Doch bleiben die neuen Nerds bei allem Engagement für die Elektronik auch weiter ein Fahrzeughersteller, der in erster Line einen Mercedes nach dem anderen bauen will. „Und nur weil unsere Autos jetzt nicht mehr alt werden, wollen wir trotzdem weiter neue Autos verkaufen“, sagt Östberg und spielt den Ball zurück an Entwicklungsvorstand Markus Schäfer und Chefdesigner Gorden Wagener: „Die beiden haben genügen Ideen in der Schublade, wie wir auch künftig neue Kaufanreize für neue Modelle schaffen können.“

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