Heart of Joy BMW

Noch versteckt sich die Neue Klasse als Erlkönig. Zur IAA will BMW das Geheimnis lüften. (Bild: BMW)

Normalerweise kann man Verbrenner-Fans mit Bits und Bytes kaum ködern. Doch wenn man die Freude am Fahren im Markenclaim trägt, dann sollte man die Stammkundschaft auch bei der Software-Entwicklung mitnehmen. Deshalb spricht BMW auch nicht einfach von einer zentralen Domain der Neuen Klasse, sondern vom Heart of Joy, wenn die Bayern vom nächsten Schritt der Digitalisierung schwärmen.

Dieses „Herz der Freude“ ist eines von vier sogenannten Superbrains, die zu den großen Innovationen der Neuen Klasse zählen. Denn wenn BMW auf der IAA im Herbst nach vier Jahren Vorgeplänkel endlich das erste Modell einer neuen Fahrzeuggeneration vom Stapel lasst, soll damit nicht nur ein gewaltiger Schritt bei der Elektromobilität gelingen, weil der Baukasten 25 Prozent mehr Effizienz, 30 Prozent mehr Reichweite und 30 Prozent kürzere Ladezeiten ermöglicht. Und sie markiert auch nicht allein eine Revolution beim Infotainment, weil sie ähnlich wie vor 25 Jahren mit dem iDrive wieder mal neue Wege gehen und mit der Panoramic-Vision-Display die Frontscheibe auf der gesamten Breite bereits zur Anzeigefläche machen. „Sondern die Neue Klasse ist auch ein Meilenstein für die Digitalisierung“, sagt Entwicklungsvorstand Frank Weber: „Zum ersten Mal ersetzen wir die traditionelle Elektronik-Architektur mit ihren hunderten Steuergeräten durch vier zentrale Rechner.“

Hard- und Software sind Eigenentwicklungen

Eines dieser Superbrains steuert das Infotainment, eines die Systeme für das hochassistierte Fahren, eines die Komfort- und Grundfunktionen des Aufbaus und eines eben die Freude am Fahren, für die Webers Truppe die Regelung von Antrieb, Energiemanagement und Fahrdynamik neu erfunden haben will. Denn ein einziger Rechner steuert nun das Beschleunigen und Bremsen, die Fahrzeugstabilisierung, fahrdynamische Lenkungsfunktionen und das Laden der Batterie.

Das ermöglicht die Steuerung mit einer bislang ungeahnten Performance: Weil alle Aktoren direkt angeschlossen sind, können sie mit minimaler Verzögerung reagieren und die Latenzen liegen im Bereich von Millisekunden. „Mit bis zu 1.000 Schlägen pro Sekunde ist das Heart of Joy um Lichtjahre schneller als bisherige Regelungen“, schwärmen die Entwickler.

Und ganz nebenbei machen die Superbrains die Neue Klasse nicht nur zukunftsfest, weil so eine Architektur leichter upgedatet und upgegradet werden kann als viele einzelne Steuergeräte. Sondern BMW behält zudem die Hoheit über alle Schlüsselfunktionen, weil Hard- und Software zum ersten Mal exklusiv und eigenständig in München entwickelt wurden.

„Damit heben wir die Freude am Fahren  auf ein neues Niveau“, sagt Weber. Und wer ihm das nicht glauben will, den setzt er in einen Prototypen, von dem nicht so recht klar ist, ob er jetzt ein Werkzeug oder ein Spielzeug der Entwickler ist – oder im besten Falle beides.

Übergang vom Werkzeug zum Spielzeug

Denn um die Leistungsfähigkeit des Heart of Joy zu beweisen, gibt es seinen Einstand in einem hoffnungslos überzeichneten Rennwagen, der die Elektronik mit vier Motoren und 18.000 Nm Drehmoment auf eine harte Probe stellt. Wenn das Heart of Joy mit dieser explosiven Kraft zurechtkommt, so die Logik, dann schafft es das in der Serie mit Leichtigkeit.

Mit den rasend schnellen Steuerzeiten wird das Superbrain zum feinfühligen Dirigenten der Fahrfreude und lässt die vier E-Maschinen so zusammenspielen, dass der potente Prototyp smoother denn je um die Kurven fährt: Das Auto erzeugt maximale Traktion und lässt sich zielgenau auf der Ideallinie halten, die Zahl der Regeleingriffe wird geringer, die Fahrspur präziser, die Straßenlage stabiler und das Grinsen in den Gesichtern der Entwickler breiter: Selten war der Übergang von Werkzeug zu Spielzeug so fließend wie bei diesem Prototypen, den sie beharrlich ihr Testrigg nennen.

Mechanische Bremse wird redundant

Aber das Heart of Joy soll nicht nur für Herzrasen bei Schnellfahrern sorgen und die Freude am Fahren in die neue Zeit führen. Sondern die neue Steuerung hat auch einen entscheidenden Einfluss auf Effizienz und Komfort. Denn bei niedrigeren Geschwindigkeiten, beim Einsatz des Abstandsregeltempomaten oder im Stopp-and-Go-Verkehr wird das Heart of Joy zum Blutdrucksenker und regelt das Zusammenspiel aller Fraktionen so penibel, dass man beim Anhalten und Wiederanfahren keinerlei Bremsrucken mehr spürt und der Bewegungsfluss noch harmonischer wird.

Und weil eine schnellere Regelung auch eine bessere Rekuperation ermöglicht, wird so mal eben auch noch die mechanische Bremse überflüssig. Außer in Gefahrensituationen oder auf der Rundstrecke reicht die Leistung der Rekuperationsbremse völlig aus und die Reibbremse wird zur reinen Redundanz. Angenehmer Nebeneffekt: Die Effizienz des Antriebs steigt so um bis zu 25 Prozent – und Bremsen und Beläge halten ein Autoleben lang.

Mehr Komfort, weniger Verbrauch und dann auch noch mehr Dynamik denn je: „Das Heart of Joy ermöglicht Fahrfreude auf dem übernächsten Level. Zudem erreichen wir damit einen weiteren Effizienzhub und entsprechend mehr Reichweite“, sagt Weber, „Das ist Efficient Dynamics im Quadrat“.

Zwar will BMW den Petrolheads mit dem Prototypen beweisen, dass die Freude am Fahren auch in der Neuen Klasse fest verankert ist. Doch dämpfen die Bayern die Erwartungen gleich wieder, die mit dem Erlkönig geschürt werden: Das Heart of Joy wird zwar in allem künftigen Modellen schlagen, aber der eilige Erprobungsträger bleibt ein Einzelstück für den Werkzeugkasten der Entwickler. Oder für ihr Spielzimmer.

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