Dass KI jetzt menschliche Sprache „versteht“, verändert die Prozesse in Unternehmen. In Zukunft hat jeder Mensch einen KI-Assistenten an seiner Seite, Führungskräfte müssen das Zusammenspiel zwischen menschlichen und digitalen Mitarbeitenden koordinieren. Auch ohne Programmier-Skills nimmt der Aktionsspielraum zu.

Ein Fakt, der zum Nachdenken anregt: Generative KI kann mittlerweile mit Large Language Models auch Daten auswerten, deren Analyse vorher hauptsächlich den Menschen oblag. (Bild: Canva)

Es ist davon auszugehen, dass die Fähigkeiten von KI weiter zunehmen. Wie könnte also die Arbeitswelt nach dem Durchbruch von Generativer KI (GenAI) auf Basis von großen Sprachmodellen (Large Language Models) in einigen Jahren aussehen? „Vorweg gesagt: So schnell, wie sich die Technologie entwickelt, ist sogar die nahe Zukunft sehr schwer absehbar. Es gibt aber einen Trend, den wir mit Sicherheit sehen: Wenn KI nachhaltig und intelligent im Unternehmen eingeführt wird, dann zeigt sich oft auch schnell deutlicher Mehrwert“, sagt Dr. Björn Bringmann, Managing Director des Deloitte AI Institute.

Wenn über KI im Unternehmen gesprochen wird, ist es aus Bringmanns Sicht ganz wichtig, dass KI nicht nur als technisches, sondern als übergreifendes C-Level-Thema gesehen wird: „Die Technik bekommt man im Zweifel hin, aber KI muss strategisch von Technologie über Compliance bis Talente gedacht werden – und ist damit Chefsache. Gerade die Menschen im Blick zu haben, ist entscheidend“.  Die größte Veränderung in der Arbeitswelt entsteht, weil generative KI mit großen Sprachmodellen (Large Language Models) jetzt auch Daten auswerten kann, deren Analyse vorher hauptsächlich den Menschen oblag. Dazu gehört das (statistisch basierte) Verständnis von Texten, zum Beispiel den in Kundenservice oder Instandhaltung verfassten Notizen – aber auch von Bild, Audio und Video.

„Der Mensch ist nicht mehr die Instanz, die das Ergebnis allein vom weißen Blatt aus produziert, sondern wird sich in vielen Fällen zu einer übergeordneten Korrektiv- und Kontrollinstanz entwickeln, die die Vorarbeiten der KI verifiziert und darauf aufbaut“, meint der AI-Experte. Zudem ist der schriftliche Output durchgängig und personenunabhängig immer in einem qualitativ hochwertigen Sprachstil geschrieben. „Wir werden erleben, dass wir als Menschen immer eine digitale Assistenz dabei haben können, die uns in vielfältigen Aufgaben unterstützt – sie teilweise alleine, teilweise mit uns in Interaktion übernimmt“, glaubt Bringmann.

KI stärkt Mitarbeitende auf allen Ebenen

Vor allem ändert sich der Überblick: Am Beispiel eines Vertriebsmitarbeiters kann eine KI-Lösung dabei helfen, auch aus einem sehr großen Produktspektrum die richtige Lösung für die individuellen Kundenanforderungen zu finden – auch wenn es für den Menschen nicht möglich ist, binnen Sekunden tausende Produkte dahingehend zu analysieren. Für alle, die neu in ein Unternehmen kommen, wird es sehr viel einfacher: Ihr KI-Assistent wird ihnen genau erklären, wie die Abläufe funktionieren und was die individuell verwendeten Abkürzungen bedeuten. Sie müssen nicht mehr wissen, in welchem System eine Information liegt, stattdessen stellen sie eine Frage und bekommen die Antwort darauf in natürlicher Sprache.

Power User aus Fachabteilungen, die vielleicht nur über begrenzte IT-Skills verfügen, erhalten plötzlich ganz neue Fähigkeiten, die karriererelevant sind. Zum Beispiel muss niemand mehr die Feinheiten von Excel beherrschen: GenAI-Werkzeuge übersetzen die Anweisungen in Code und die KI hilft bei der Interpretation komplexer Datenzusammenhänge. Eine Kombination aus LowCode-Entwicklungsplattformen und LLM-basierten Tools ermöglichen es Fachabteilungen, jenseits knapper IT-Ressourcen, eigene Lösungen zu entwickeln und Prozesslücken zu schließen.

Veränderte Führungsrollen

Auch die Anforderungen in Leitungspositionen dürften sich verändern. Hier werde es essenziell, das Verhältnis Mensch-Maschine sinnvoll zu balancieren, glaubt Bringmann: „Führungskräfte steuern in ihren Teams früher oder später nicht mehr nur Menschen, sondern auch digitale Mitarbeiter. Dafür müssen sie verstehen, wie Projekte in dieser Kombination geplant oder Prozesse neugestaltet werden können – welche Arbeitsschritte intuitiv schneller oder hochwertiger von der Maschine erledigt werden können, und was das für Steuerung und Zeitmanagement bedeutet“, führt der KI-Experte aus.

Mittlerweile haben sich schon viele Unternehmen auf den Weg begeben, ihr gesammeltes Datenwissen über eigene GPTs (General Pretrained Transformer) verfügbar zu machen. „Der Start steht vielen noch bevor, aber die Vorreiter sind längst einen Schritt weiter. Sie schauen, in welchen Bereichen sie KI für ihre Mitarbeitenden, ihre Prozesse und ihre Produktentwicklung einsetzen können“, sagt Agnes Heftberger, CEO Microsoft Deutschland. Wenn künftig die natürliche Sprache – wie auch in unserer gesamten menschlichen Kommunikation – zum Ausgangspunkt wird, stellt sich die Frage, wie bald mit Software-Lösungen gearbeitet wird, für die bisher eine umfassende Einarbeitung nötig war. „Vielleicht noch ein kleiner Blick nach vorn: In nicht zu ferner Zukunft könnte die KI unsere wichtigste Bedienoberfläche sein. Man loggt sich nicht mehr in einzelne Anwendungen ein. Der Ausgangspunkt ist dann ein Prompt, mit dem Aufgaben gemeinsam mit der KI erledigt werden“, postuliert Heftberger.

Die Zukunft gehört den Multi-Agenten

Ob es künftig eine Oberfläche gibt, von der aus in natürlicher Sprache mit den nachgelagerten Anwendungen interagiert wird, oder ob einzelnen Anwendungen wie CRM, ERP oder PLM so eine KI-Oberfläche vorangestellt wird, ist aus Bringmanns Sicht derzeit offen. „Da wird es einen Wettlauf geben, denn einige Anbieter erkennen bereits, dass sie abgeschnitten werden könnten, wenn sie nicht die beste Oberfläche anbieten, ähnlich wie es schon beim Plattformthema der Fall war“, konstatiert Bringmann.

Gerade bei wiederkehrenden Aufgaben, bei denen viele, auch nicht-präzise Informationen bearbeitet werden müssen, kann künftig immer mehr eine KI übernehmen. Als Beispiel nennt Bringmann die Beantwortung von Lieferantenanfragen zum Bezahlprozess bei OEMs. So habe man für einen OEM einen KI-Agenten geschaffen, der sich „künstlich intelligent“ durch zahllose Systeme arbeitet, um die jeweilige Ursache herauszufinden. Dieser KI-Agent liefert eine Erläuterung, wie er dabei vorgegangen ist und schlägt automatisch eine Antwort-Mail vor – zum Beispiel, weil noch ein Teil der Lieferung fehlt oder auch, wann der Betrag konkret überwiesen wird. In Zukunft wird es noch sehr viel mehr solcher (vernetzter) Multi-Agenten Systeme geben, die miteinander wirken und hochkomplexe Arbeiten erledigen. Mercedes-CIO Kathrin Lehmann sieht Agentic AI, also „KI-Systeme, die konkrete Aktionen durchführen“ als einen der wichtigsten IT-Trends schon in 2025.

Vor allem wird das Zusammenarbeiten in global agierenden Unternehmen noch einmal deutlich einfacher. Trainings-Dokumente, Schulungs- oder Kunden-Videos werden nicht zeitaufwendig übersetzt oder mehrfach mit landestypischen Aspekten erstellt. KI-Assistenten erledigen die Übersetzung und werden zunehmend angelernt, auch die Landesspezifika automatisiert einzubeziehen. Alle Informationen, Aufzeichnungen oder Transskripts aus Meetings stehen sofort in der eigenen Sprache zur Verfügung. Auch für diejenigen, die nicht teilnehmen konnten, werden ihre To Do’s direkt sichtbar. Künftig könnte es auch möglich werden, dass jeder Mensch in seiner Sprache spricht und das direkt in die Sprache der jeweiligen Teilnehmer*in übersetzt wird.

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