
Hauke Stars will das KI-Potenzial für Volkswagen voll ausschöpfen. (Bild: Volkswagen / Collage)
Volkswagens IT-Vorständin Hauke Stars diskutiert mittlerweile neue Ideen mit einem KI-Chatbot – ein persönlicher Indikator dafür, wie rasant sich die Bedeutung von künstlicher Intelligenz im Alltag des Konzerns verändert hat. Gegenüber dem Spiegel erklärt Stars, dass sie mit einfachen Anwendungen, wie das Zusammenfassen von Analysen oder Formulieren von Ansprachen, angefangen habe. Heute sei das Ziel, dass die KI jedem Mitarbeiter eine halbe Stunde Arbeit am Tag abnehme.
Die Botschaft ist klar: KI soll bei Volkswagen nicht nur Produkt, sondern auch Werkzeug sein – ein Hebel, der Effizienz steigert, Mitarbeiter entlastet und gleichzeitig die technologische Souveränität Europas stärkt.
Zwischen Eigenentwicklung und strategischer Offenheit
Volkswagen verfolgt einen pragmatischen Ansatz. Nicht jede Lösung muss aus eigener Hand stammen – dafür steht der Fall des BeetleBot, eines hausintern entwickelten Chatbots zur Textgenerierung. Dieser sei abgeschaltet worden, weil man dafür eine gute Lösung eingekauft habe. „Wir müssen nicht alles selbst entwickeln“, so Stars zum Spiegel.
Gleichzeitig treibt das Unternehmen gezielt eigene Modelle voran. Besonders weit ist ein KI-System zur Analyse von Werkstoffen: Ein Team hat dafür Daten und Studien aus 15 Jahren eingespeist. Was früher tagelange Recherche bedeutete, ist heute mit einem Prompt erledigt. Man wolle das Potenzial von künstlicher Intelligenz im Unternehmen voll ausschöpfen. Aber es gehe dabei nicht um ganze Prozesse, sondern einzelne Aufgaben.
Bis 2030 soll die KI-Strategie jährlich Milliarden einsparen helfen. Die Wirtschaftlichkeit ist damit fest in der Governance verankert – ebenso wie die Flexibilität der Systemarchitektur. Denn: Volkswagen habe bei seinen KI-Lösungen immer darauf geachtet, dass man das Modell, das die Daten nutze, austauschen können, so Stars mit Blick auf geopolitische Spannungen.
KI made in Europe: Vom Sprachmodell zum Industriezwilling
Die IT-Vorständin macht keinen Hehl daraus, dass Volkswagen nicht aufholen will, wo andere längst dominieren. Es ergebe keinen Sinn, US-Konzerne oder andere bei den Sprachmodellen einholen zu wollen. Europa habe andere Kompetenzen. Ihre Antwort: ein Large Industry Model – ein auf industrielle Prozesse trainiertes KI-System, das datenbasierte Optimierungen in Produktion, Entwicklung, Einkauf und Supply Chain ermöglicht.
Die Grundlage dafür könnte Catena-X sein: eine branchenübergreifende Datenkooperation, die Lieferanteninformationen und künftige Anforderungen wie den Batteriepass verknüpft. Noch stehe man am Anfang, so Stars, doch der Anspruch ist hoch: „Unser industrieller Kern ist stärker als der anderer Regionen – einschließlich des Silicon Valley“, so Stars im Spiegel-Interview.
Ideen scouten, ohne Rücksicht auf politische Zwänge
Um innovative Ideen systematisch zu identifizieren und unabhängig weiterzuentwickeln, hat Volkswagen bereits Anfang 2024 ein eigenes AI Lab gegründet. Es soll weltweit KI-Innovationen aufspüren und mit hoher Geschwindigkeit in die Marken- und Softwarestrukturen einspeisen. „Uns geht es darum, die externen digitalen Ökosysteme mit dem Fahrzeug zu verknüpfen“, sagt Konzernchef Oliver Blume. Das Ziel: neue Kundenerlebnisse durch smarte Assistenten, Predictive Maintenance, Lademanagement oder Smart-Home-Anbindung.
Anders als bei klassischen R&D-Units agieren die Experten des Labs autonom: Unabhängig von bestehenden Kooperationen können sie neue Partner evaluieren und Ideen bis zum Proof of Concept vorantreiben. Erst danach übernehmen Marken oder die Softwaretochter Cariad die Entwicklung zur Marktreife.
Neue Rollen: KI-Manager als Dirigent und Enabler
Parallel zur Lab-Initiative entstehen neue Jobprofile: Mohsen Sefati, Head of AI Architecture and Capabilities bei Cariad, verkörpert die neue Führungsklasse. Seine Aufgabe: Technologie-Scouting, Proof-of-Concepts, Integration in Softwarestacks – aber auch Leadership.
„Meine Aufgabe als Leader sehe ich darin, die Expertise und Fähigkeiten meiner Teams so einzusetzen, dass Entwicklungsprojekte optimal aufgesetzt und erfolgreich abgeschlossen werden können“, erklärt Sefati. Seine Abteilung „Situation Interpretation and AI“ entwickelt kognitive Modelle, die im urbanen Raum Verkehrssituationen verstehen und vorhersagen – eine Kernaufgabe für autonomes Fahren.
KI-Manager wie Sefati agieren konzernweit. Sie bauen Ökosysteme auf, strukturieren Datenflüsse, definieren Frameworks und analysieren, welche Technologien reif für die Serienproduktion sind. „In unserem Job müssen wir den gesamten Lebenszyklus der Daten kennen“, sagt er.
Wandel aus dem Maschinenraum
Volkswagen will den Spagat schaffen: KI als industrielle Technologie skalieren – und gleichzeitig kulturell im Unternehmen verankern. Die Offenheit in der Belegschaft sei da, auch weil der Nutzen so greifbar sei. Manche Recherchen hätten früher Tage gedauert, jetzt gehe es mit einer Anfrage und in sehr kurzer Zeit. Und auch wenn der Stellenabbau – 35.000 bei VW, 7.500 bei Audi – zur Realität gehört, bleibt die Linie klar: KI soll helfen, Arbeit effizienter zu machen – nicht Menschen überflüssig.
Der technologische Aufbruch bei Volkswagen ist strategisch breit abgestützt, wirtschaftlich motiviert und politisch bewusst. Statt sich in der Jagd nach dem nächsten Sprachmodell zu verlieren, setzt der Konzern auf das, was er glaubt, am besten zu können: industrielle Exzellenz.
Das größte private deutsche Unternehmen will KI nicht als kurzfristiges Buzzword, sondern als langfristigen Hebel definieren. Mit einer flexiblen Systemarchitektur, einem europäischen Wertekompass und Einheiten wie dem AI Lab will der Konzern nicht nur Innovationen aufspüren – sondern sie strukturiert in seine DNA überführen.