Das neue Common Data Model soll das Leben beziehungsweise die Arbeit der Entwickler bei Cariad und dessen Partner vereinfachen.(Bild: Cariad)
Nachvollziehbarkeit und Geschwindigkeit sind hohe Güter in der Softwareentwicklung. Mit einer selbstkreierten Datenplattform will Volkswagens Softwaretochter Cariad der Konkurrenz aus China und den USA künftig in nichts nachstehen.
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automotiveIT Kongress 2025
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Nach einigen Startschwierigkeiten will der Volkswagen-Konzern jetzt endlich Tempo in die Softwareentwicklung kriegen. Helfen sollen dabei unter anderem die neuen Partnerschaften mit Rivian in den USA und mit Xpeng in China. Aber auch im eigenen Haus soll der Weg zum Software-Defined Car künftig schneller und effizienter beschritten werden – denn mit jedem neuen Release steigt die Zahl der Produktvarianten, Funktionen und Märkte, die integriert und getestet werden müssen. Dafür hat die viel gescholtene VW-Tochter Cariad ein eigenes Projekt auf die Beine gestellt, für das das Unternehmen und das Softwarehaus KL Engineer im vergangenen Jahr mit dem automotiveIT Team Award in der Kategorie „Software-Defined Vehicle“ ausgezeichnet wurde.
Das Team um die beiden verantwortlichen Product Owner, Benjamin Waldenmeier und Eugen Novikov, haben die konzernweite Plattform Car Multiverse Integration Solution aufgebaut, um deutlich mehr Transparenz und Effizienz in der Planung und dem Testing mannigfaltiger Software-Produktvarianten für die verschiedenen Fahrzeugarchitekturen im Konzern zu erreichen. Heute arbeiten über 5.000 Anwender an den deutschen Entwicklungsstandorten sowie auf internationaler Ebene mit dem intern als Common Data Model bezeichneten System. Innerhalb weniger Jahre ist die Nutzerzahl dabei von einigen Hundert auf mehrere Tausend gestiegen.
Benjamin Waldenmeier, der bei Cariad für das PMT-Integrationsmanagement auf Gesamtfahrzeugebene verantwortlich ist, erläutert, weshalb das entwickelte Common Data Model eines der Kernprobleme moderner Fahrzeugentwicklung adressiert: „Mit jedem Software-Release steigt die Zahl der Produktvarianten stark an. Klassische Planungsansätze führen zu einer kaum handhabbaren Menge an Tickets.“ Durch die Struktur des Datenmodells werden spezifische Aufgaben reduziert, intelligent verknüpft und mehrfach verwendbar gemacht. „Basisfunktionen wie Radio oder Fernlicht müssen wir nur einmal detailliert planen, alle anderen Produktvarianten profitieren automatisch.“
Das System, das auf Microsoft-Tools wie Azure DevOps und Power BI basiert, bilde unterschiedliche Fahrzeugmodelle, Implementierungsketten, Märkte und Software-Anläufe ab. Statt Informationen an vielen Stellen mehrfach eintragen zu müssen, reiche ein einmaliger Eintrag, den das System an die relevanten Stellen verteilt, erklärt der Product Owner. Dadurch werden Prozessschritte automatisiert und die Ticketanzahl reduziert, was Effizienzgewinne und kürzere Feedbackzyklen ermöglichen soll.
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Der ganze Ansatz basiere dabei auf der smarten Wiederverwendung von Daten, erklären die Experten. „Nehmen wir zum Beispiel die verschiedenen Funktionen eines bestimmten Automodells, das für den europäischen Markt entwickelt wurde: Einige dieser Funktionen könnten für einen anderen Markt übernommen werden. Dadurch heben wir Effizienzen durch weniger neue Planung und Tests. Dieses Prinzip wenden wir auf alle unsere Dimensionen an“, erklärt Waldenmeier.
Zum Anforderungsprofil des softwaredefinierten Autos gehören nicht nur Apps im Infotainment. Künftig fällt nahezu jede Fahrzeugfunktion in den Wirkungskreis der Softwareentwickler.(Bild: Cariad)
Die zentralen Versprechen der Cloud-Plattform: Transparenz, Effizienz, Geschwindigkeit und hohe Datenqualität.(Bild: Cariad)
Das Common Data Model auf einen Blick.(Bild: Cariad)
Mehr als 5.000 Anwender arbeiten weltweit mit dem neuen Common Data Model.(Bild: Cariad)
Feedback in Tagen statt Wochen
Ein eminent wichtiger Vorteil der neuen Entwicklungsplattform: Die Feedbackzyklen aus der Integration an die Fachbereiche wurden von mehreren Wochen auf wenige Tage verkürzt. „Je schneller ich Feedback an meine Fachbereichskollegen geben kann, desto günstiger wird die Fehlerbehebung“, bringt es Eugen Novikov auf den Punkt. „Für einen Entwickler macht es einen riesigen Unterschied, ob das Feedback drei Tage oder drei Wochen später kommt.“ Novikovs Verantwortung liegt im fahrzeugnahen Bereich auf der rechten Seite des V-Modells. Sein Team unterstützt Test- und Integrationsteams sowie Fachexperten bei der Analyse von Integrationsaufgaben.
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Zugleich soll die Car-Multiverse-Plattform flexibel genug sein, um auf unterschiedliche Plattformen und Software-Architekturen angepasst zu werden – und davon gibt es im Multimarkenkonzern Volkswagen einige. „Flexibilität und Geschwindigkeit waren für uns von Anfang an die entscheidenden Kriterien“, erklärt Product Owner Waldenmeier. Neue Anforderungen oder sogenannte „Edge Cases“ würden kontinuierlich integriert.
Interfaces für jeden Benutzer maßgeschneidert
Ein solch umfangreiches Tool besteht jedoch den Test nicht in der grauen Theorie, sondern wird erst durch die zahlreichen Stakeholder im Entwicklungsprozess zum lebenden Organismus. Für das Projektteam, so betonen es Ben Waldenmeier und Eugen Novikov immer wieder, seien bei der Plattformentwicklung von Anfang an der Mensch und seine Anforderungen im Mittelpunkt gestanden. „Letztendlich sind es die Menschen, die die Arbeit verrichten. Wir können zwar vieles automatisieren, aber ohne das Engagement der Kollegen bringt das alles nichts“, sagt Novikov.
So wurden von Anfang mit den Key-Usern der verschiedenen Marken rollenbasierte, intuitive User Interfaces entwickelt. Vom Configuration Manager bis hin zum Funktions-Verantwortlichen waren maßgeschneiderte Ansichten und Reports enthalten, um jedwede Einstiegshürde von vorneherein aus dem Weg zu räumen und zugleich die Akzeptanz des neuen Systems zu erhöhen. Aus diesem Grund habe man sich bereits vor fünf Jahren für Azure DevOps entschieden – das Tool, das die Flexibilität bietet, WebApps zu bauen, wodurch die Benutzeroberflächen genau auf die Bedürfnisse jeder einzelnen Rolle hin zugeschnitten werden konnten.
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„Wir investieren viel in Kommunikation und Schulung, um eine hohe Datenqualität sicherzustellen.“, betont Waldenmeier. „Das System hat eine so hohe Akzeptanz, dass es heute das gesetzte Tool ist – an ihm führt kein Weg mehr vorbei.“ Dabei lag ein weiterer Schwerpunkt auf der Fähigkeit verschiedene Entwicklungsmethoden, Toolchains und Kulturen zu integrieren. Die Plattform zwingt keine einheitliche Arbeitsweise auf, sondern bietet Schnittstellen, um bestehende Tools und Prozesse anzubinden. „Wir diktieren nicht, wie die Kollegen arbeiten sollen. Wir passen uns an ihre Prozesse an und stellen sicher, dass die Datenqualität stimmt“, sagt Eugen Novikov. „Ziel ist, alle Daten aus den verschiedenen Entwicklungsbereichen in einer gemeinsamen Sprache zusammenzuführen.“ Ein Zielbild, das aus den Erfahrungen der Vergangenheit und den zahlreichen „Verständigungsproblemen“ zwischen den verschieden Marken im Volkswagen-Konzern erwachsen sein dürfte.
IT Team Award 2025 - jetzt abstimmen!
.(Bild: Marko Priske)
Zum dritten Mal verleiht automotiveIT die IT Team Awards. Mit der Auszeichnung prämieren die Leser der automotiveIT besonders richtungsweisende und innovative Projekte an der Schnittstelle von ITK- und Autobranche. Vergeben werden die Awards in diesem Jahr in den Kategorien Business Impact, Culture und Software-Defined Vehicle. Die Verleihung findet im Rahmen des automotiveIT Kongress 2025 in Berlin statt. Die Abstimmung hat bereits begonnen!
KI-Perspektive auch bei Cariad
Natürlich kommt auch im Car Multiverse niemand am Potenzial durch künstliche Intelligenz vorbei. Tatsächlich wurden im Cariad-Projekt von Beginn an eher klassische Automatisierungen implementiert, um Daten nur einmal erfassen zu müssen und Prozesse zu verschlanken. „KI steht für uns als nächste Generation der Automatisierung im Fokus“, sagt Novikov.
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Ein erstes Beispiel ist ein Chatbot, der wiederkehrende Fragen im Integrationsprozess beantwortet und rund um die Uhr verfügbar ist. Perspektivisch soll KI bei der Analyse von Testdaten, dem Erkennen von Problemen und der Steuerung komplexer Update- und Testabläufe helfen – insbesondere in der hochdynamischen Phase am Ende eines Entwicklungssprints.