„Der Unterschied zwischen einem BMW, Mercedes oder Tesla liegt heute weniger im Motor, sondern vielmehr im Erlebnis, das der Innenraum bietet“, betont Christoph Sladeczek, Gruppenleiter für Virtual Acoustics am Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT in Ilmenau. Diese Aussage trifft derzeit nur auf neue Premium-Fahrzeuge zu, könnte jedoch bald für Autos aller Art gelten. Hier kommt das Institut aus Thüringen mit seiner 3D-Audiotechnologie ins Spiel.
Das Zauberwort lautet objektbasiertes Audio (OBA). Es verwandelt den Fahrzeuginnenraum in eine immersive Klangwelt. Statt feste Lautsprechersignale zu speichern, nutzt OBA flexible Audioobjekte, die sich an jedes Lautsprechersystem anpassen lassen. „Es geht nicht nur darum, das Produkt selbst hörbar zu machen“, erklärt Sladeczek. Mit dieser Technologie können Warnsignale räumlich korrekt wiedergegeben werden, um auf Gefahrenquellen aufmerksam zu machen. Außerdem lässt sich die Innenraumakustik individuell gestalten.
Bis zu 40 Lautsprecher kommen heute in Luxusfahrzeugen zum Einsatz, um ein beeindruckendes Klangerlebnis zu schaffen. Die genaue Anzahl und Position der Lautsprecher kann je nach Fahrzeugmodell variieren. Der neue präzise Raumklang wird durch die SpatialSound Wave Automotive-Technologie erreicht.
Die Eigenentwicklung des Fraunhofer IDMT arbeitet mit einem mathematisch-physikalisch-perzeptiven Modell, das in Echtzeit die Audiosignale berechnet, um virtuelle Schallquellen präzise im Raum zu positionieren.
Natürlicher Hörreflex erhöht die Sicherheit
Virtuell heißt, dass sich Schallquellen an einer beliebigen Position platzieren lassen. Ein Beispiel hierfür ist die Erkennung von Fahrradfahrern. „Das Außensound-Mikrofonsystem könnte zum Beispiel das Geräusch eine Fahrradfahrers extrahieren und in der korrekten Position ins Fahrzeuginnere übertragen, sodass Sie nicht mit einem Signalton gewarnt werden, sondern einfach das Geräusch des Fahrradfahrers hören“, sagt Sladeczek. „Und es aktiviert die natürlichen Hörreflexe des Fahrers.“
Diesen perspektivisch richtigen Höreindruck unterstützt die SpatialSound Wave-Technologie. Sie ermöglicht eine 360-Grad-Wahrnehmung der Fahrzeugumgebung. Gefahrenquellen wie eine herannahende Straßenbahn oder ein Fahrzeug im toten Winkel werden als dynamische Audioobjekte räumlich wiedergegeben. Ein akustischer Warnton signalisiert mithilfe präziser Richtungsinformation die exakte Position. Diese Methode lässt sich im Zusammenspiel mit dem Navigationssystem nutzen: Es kann ein Audiohinweis aus der Richtung ertönen, in die der Fahrende abbiegen muss.
Feinabstimmung bleibt Aufgabe des Herstellers
Für die Lösung aus Ilmenau spricht die einfache Integration in bestehende Systeme aller Art. „Wir haben keine speziellen Anforderungen an das im Fahrzeug verbaute Soundsystem“, erklärt der Fachmann. „Unsere Klang-Software kann ohne zusätzliche Hardware direkt mit gängigen Lautsprechern und Mikrofonen zusammenarbeiten.“ Bei der Anbindung an das Infotainmentsystem sind jedoch proprietäre Lösungen im Spiel, weil standardisierte Schnittstellen fehlen. Ingenieure des Automobilherstellers müssen daher die im Fahrzeug integrierte Elektronik fein abstimmen, damit die Algorithmen optimal mit den vorhandenen Lautsprechern interagieren, um den bestmöglichen Klang zu erzeugen.
Durch die Elektromobilität verändert sich der Fahrzeuginnenraum erheblich. Da der Platzbedarf für den Antriebsstrang geringer wird, entstehen neue Freiräume. „Da geht es um Fragen wie ‚muss der Subwoofer in die Tür oder können wir den weglassen?'", erläutert Sladeczek. Weil der Fokus in der Premiumklasse zunehmend auf dem Innenraumerlebnis liegt, gewinnen immersive Technologien an Bedeutung, mit denen sich Klangszenarien gestalten lassen, die Komfort und Unterhaltung im Fahrzeug steigern und sogar eine beruhigende Atmosphäre in Stresssituationen schaffen können.
3D-Sound bringt das Opernhaus ins Auto
Die Software für 3D-Audio im Auto basiert auf Erfahrungen aus Opernhäusern, Freilichtbühnen und Musikhochschulen, wo die Technologie, angesteuert durch mehrere leistungsstarke Computer, zum Einsatz kommt. Dort ist es unproblematisch, mehrere teure PCs mit hoher Rechenleistung zu verwenden. Selbst in teuren Luxusfahrzeugen arbeiten keine vergleichbaren Computersysteme. Die verbaute Hardware muss kosteneffizient sein, und die verfügbaren Rechenressourcen sind begrenzt. Deshalb passte das Fraunhofer IDMT seine Software so an, dass sie mit den reduzierten Ressourcen im Fahrzeugumfeld effizient arbeitet.
Sehr viel Aufwand erforderte auch das Anpassen an den Einsatzort Auto. Bei der Audioqualität arbeiten das Fraunhofer IDMT und die Hersteller eng zusammen. Klangmuster werden während Testfahrten entwickelt und durch Signalverarbeitung an verschiedene Umgebungsgeräusche angepasst.
Diese Anpassungsarbeit von der kanalbasierten zur objektbasierten Audioproduktion kostet Zeit, daher sind noch keine Fahrzeuge mit diesem System unterwegs. „Wir gehen davon aus, dass die ersten Fahrzeuge mit dieser Technologie im Frühjahr 2025 auf den Markt kommen", zeigt sich Christoph Sladeczek zuversichtlich.