Impressionen Volkswagen Konzernlogistik

Die Lieferketten der globalen Autoindustrie werden Tag für Tag komplexer und damit auch anfälliger für Störungen. Es braucht schnell gute Lösungen. (Bild: Volkswagen)

Übersichtlicher wird’s wohl nicht mehr: Globale Lieferketten werden komplexer. Oder anders formuliert: Sie werden anfälliger. „Störungen innerhalb dieser Lieferketten führen zu Produktionsverzögerungen und im schlimmsten Fall zu kompletten Ausfällen“, sagt Michele Del Mondo, Senior Director, Global Advisor Automotive bei dem Softwareunternehmen PTC.

Blockiert ein steckengebliebener Frachter den Suez-Kanal oder werden asiatische Chipfabriken durch Naturkatastrophen zerstört, dann merkt das am Ende nicht nur der OEM, sondern auch alle Lieferanten und Unterlieferanten. „Für eine schnelle Anpassung der Bedarfe ist eine transparente und echtzeitbasierte Kommunikation unabdingbar“, betont Del Mondo. Oder auch um Qualitätsprobleme in der Produktion möglichst schnell einzufangen. „Dann hilft Datentransparenz und Rückverfolgbarkeit, um betroffene Chargen eines mangelhaften Zuliefererteils schneller zu ermitteln und die Bedarfe sowie Produktionsvolumina entsprechend den Korrekturmaßnahmen anzupassen“, erklärt der Experte.

Kontinuierlicher Austausch zwischen Kunde und Hersteller

Ein Schlüssel hierzu können Anwendungen sein, die auf dem geteilten Ökosystem Catena-X basieren, in dem sich OEMs, Zulieferer, Rohstofflieferanten und Verwerter zusammengeschlossen haben. „Ein wesentlicher Vorteil bei Catena-X, wenn nicht der wichtigste, wird im verbesserten Datenaustausch gesehen“, erklärt Del Mondo. „Um die Resilienz zu verbessern, bedarf es eines kontinuierlichen Abgleichs zwischen Kunde und Hersteller, um etwa bei Nachfrageschwankungen die Fertigungskapazitäten frühestmöglich anzupassen.“ Über eine gemeinsame Lösungen, wie sie Catena-X biete, könne dieser Austausch größtenteils automatisiert ablaufen.

Hilfreich dabei sei ein Product Lifecycle Management (PLM), das die Transparenz über zugekaufte Komponenten und deren bevorzugte Lieferanten erhöhe: „So können für die gleiche Komponente bei einer Dual-Sourcing-Strategie abhängig von Region, Qualität, Logistik etc. unterschiedliche Lieferanten in Frage kommen“, so Del Mondo. „Eine frühzeitige Transparenz und Kommunikation darüber führt zu einer effizienteren Planung der Lieferkette.“ Denn Engpässe kündigten sich in den seltensten Fällen vorher an. Heißt: „Die Supply Chain muss schon im Voraus auf ihre mögliche Anfälligkeit hin analysiert werden.“

PURIS liefert Austausch-Standards

Genau das soll durch eine offene und transparente Kommunikation im Projekt PURIS („Predictive Unit Realtime Information Service“) realisiert werden. Unter der Ägide des Volkswagen-Konzerns, des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik ISST sowie weiterer Industriepartner des Catena-X-Vereins soll die Anwendung innerhalb von Catena-X durch präzisere Informationen Engpässe vermeiden und besser gegensteuern helfen. „PURIS standardisiert den partnerspezifischen Austausch von Schlüsselinformationen im Kurzfristbereich zwischen Lieferanten und Kunden“, erläutert Clemens Schwarz, IT-Projektmanager bei VW. Diese Informationen umfassen unter anderem die aktuelle Bestandssituation, den Bedarf und das geplante Produktionsvolumen.

„Wichtig ist, dass PURIS keine bestehenden Standards wie etwa die EDI- Formate um Lieferabrufe ersetzen soll“, betont Schwarz. „Ziel ist es vielmehr, einen gemeinsamen Blick auf die Liefersituation zu schaffen, um so Optimierungen für alle Partner zu ermöglichen.“ Insgesamt sollen so alle Partner entlang der Lieferkette schneller und fundierter kommunizieren können.

Ein zentraler Aspekt dabei sei, so Schwarz, der Austausch von Informationen wie dem geplanten Produktionsoutput eines Lieferanten, dem genauen Bedarf eines Kunden sowie den Bestandsmengen auf beiden Seiten. „Diese Informationen ermöglichen es, gemeinsam die aktuelle Situation schneller zu erfassen und dadurch in Engpasssituationen schneller Entscheidungen zu treffen“, sagt Schwarz. Dabei blieben aufgrund der Zeitersparnis weitere Optionen, wie etwa Sondertransporte, offen. „Darüber hinaus kann der PURIS-Datenstandard auch genutzt werden, um proaktiv Informationen auszutauschen, mit dem Ziel, Engpässe durch präzisere Informationslagen von vornherein zu vermeiden“, so Schwarz.

Vertrauenswürdige Datengrundlage für bessere Prozesse

Hinderlich, um kurzfristig Informationen aus der Supply Chain zu erhalten, sind unter anderem heterogene Formate und Plattformen: „Obwohl sich der Informationsbedarf oftmals gleicht, müssen für verschiedene Kunden und Lieferanten spezifische Formate, Semantiken und Austauschplattformen bedient werden“, berichtet Schwarz. Dazu kommt mitunter hoher manueller Aufwand, wenn mühsam Tabellen ausgefüllt werden.

Das wiederum führt dazu, dass im klassischen Engpassmanagement nötige Informationen nicht ad hoc zur Verfügung stehen. Heißt auch: Infos fließen erst, wenn ein Problem auftaucht. Hinzu kommt: „Das Austauschen von Informationen wird oftmals als Risiko für das eigene Geschäft wahrgenommen“, sagt Schwarz. „Fehlende Regeln und vertragliche Grundlagen über die Datennutzung erschweren das Bilden von Optima zwischen Geschäftspartnern.“

Mit PURIS soll all das der Vergangenheit angehören. „Die verbesserte Informationslage zwischen Kunden und Lieferanten ermöglicht es, sich gemeinsam besser abzustimmen“, sagt Schwarz. Etwa in der Bestandsverwaltung, bei der aktuelle Lagerbestände sichtbarer würden, womit Lieferanten und Kunden besser planen sowie Engpässe oder Überbestände vermeiden könnten. In der Materialbedarfs- und Produktionsplanung könnten durch das Teilen des kurzfristigen Bedarfs des Kunden Lieferanten ihre Produktion sowie Lieferungen besser planen. Schwarz: „Im besten Fall können Lösungen erarbeitet werden, die auf beiden Seiten Kosten für Produktionsausfälle, kurzfristige Sonderschichten und Sonderfahrten verhindern.“

PURIS soll entlang der gesamten Supply Chain genutzt werden können, so das Ziel der Projektverantwortlichen, also in der Kommunikation zwischen OEM und Tier 1 genauso wie zwischen Tier 4 und einem Rohstofflieferanten. KMU sind dabei explizit eingeschlossen.

Puris Schema
Catena-X als "Daten-Scharnier" zwischen Lieferant und OEM. (Bild: Fraunhofer ISST/Catena-X)

Digitaler Zwilling als Basis-Technologie

PURIS baut auf dem digitalen „Part Type“-Zwilling auf, der Katalogteile aus den Bestellungen beschreibt. Diese Zwillinge können mit Informationen („Submodellen“) verknüpft und Partnern zugänglich gemacht werden. Tom Meyer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer ISST, erklärt: „Einmal angelegt, kann ein digitaler Zwilling mit Informationsobjekten beziehungsweise Submodellen aus verschiedenen Catena-X Use Cases wiederverwendet werden.“ Dies trägt zur der Skalierfähigkeit der jeweiligen Anwendungsfälle bei. „Darüber hinaus lassen sich perspektivisch durch das Verknüpfen von Informationen, wie etwa der Stückliste, Datenketten entlang der Lieferkette aufbauen“, so Meyer.

Ein Weg, den Automotive-Experte Del Mondo für zwingend hält: „Wenn wir unterstellen, dass Catena-X die komplette Wertschöpfungskette digitalisieren wird, dann geht das meiner Meinung nach nicht ohne die digitalen Zwillinge.“ Nur durch die vollständige Digitalisierung von Produkt, Prozess und Wertschöpfungskette könnten die möglichen Mehrwerte eines kollaborativen Ökosystems erzielt werden.

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