E/E-Architektur in einem fiktiven Auto

Catena-X soll die Transformation vom teilebasierten zum datengetriebenen Qualitätsmanagement ermöglichen. (Bild: Bosch)

Deutsche OEMs stellen rund 4,5 bis 9,6 Prozent ihres Umsatzes für die Gewährleistung zurück, schätzt das Handelsblatt. Bisher werden defekte Teile aus der Werkstatt an OEMs und meist von dort an die jeweiligen Hersteller geschickt und geprüft – ein zeitraubender Prozess. Zudem wird ein systemischer Fehler nicht zwingend beim ersten Problemteil erkannt. „Es reicht nicht mehr, diesen Prozess weiter zu verbessern. Wir müssen grundsätzlich die Frage stellen, ob wir etwas komplett anders machen sollten“, sagt Christoph Marquardt, Senior Expert Data-driven Quality bei Bosch. Er betreut die datengetriebene Qualitätsverbesserung innerhalb der Bosch Mobility und vertritt Bosch in der Catena-X-Expertengruppe Quality.

„Wir müssen in allem radikal schneller werden: sowohl beim Erkennen als auch beim Beheben eines Fehlers“, meint der studierte Maschinenbauer, der sich neben der Datennutzung im QM auf die Bewertung der Produktzuverlässigkeit spezialisiert hat: Beides sind Bereiche, in denen Daten eine wichtige Rolle spielen.

Warum es datengetriebenes Qualitätsmanagement braucht

Daten auszutauschen geht naturgemäß deutlich schneller als das Herumschicken von Teilen. Der Use Case Datengetriebene Qualität von Catena-X stellt aus Sicht von Marquardt einen wichtigen Hebel dar, um die Transformation von der teile- zur datenbasierten Qualitätsarbeit voranzubringen. Seit dem Go-live von Catena-X im Oktober 2023 kann jedes Unternehmen direkt am Datenökosystem partizipieren. Zu den ersten Teilnehmern in der Expert Group Quality zählten die OEMs BMW und VW, die Zulieferer Bosch und ZF sowie die IT-Serviceprovider Siemens und SAP.

Innerhalb des Datenraums wurde die Lösung bereits umgesetzt. Sie wird innerhalb der Expertengruppe im Verein bezüglich der Q-spezifischen Standards in einem anhaltenden Prozess weiterentwickelt. Mit der aktuellen Jupiter-Version erreichte man jetzt das erste Major Release. „Durch die Erarbeitung der Standards, KITs und Open-Source-Lösungen kann jedes Unternehmen direkt einsteigen. Alle Dinge sind gut dokumentiert und es gibt verschiedene Anbieter“, sagt Marquardt.

Den Teilen auf der Spur

Ziel des Use Case ist es, rein datenbasiert flächendeckend Fehlermuster abzuleiten. „In der Datenanalyse ist es entscheidend, in den Kooperationsmodus zu gehen. Wir als Zulieferer müssen von Tag eins an, idealerweise, sobald Teile mit neuen Fahrzeugmodellen ins Feld gehen, dies direkt mit Daten begleiten. Nur so bekommen wir frühestmöglich mit, wenn im Feld ein Problem auftauchen könnte“, erklärt Marquardt.

Während der Catena-X-Entwicklungsphase wurden die Daten identifiziert, die für die Anwendungsfälle Early Warning (Früherkennung) und Root Cause (Ursachenanalyse zur Musteridentifizierung) benötigt werden. Man einigte sich auf standardisierte Datenmodelle, um Feld- und Produktionsdaten in einer gemeinsamen Datenbasis und einer gemeinsamen datenbasierten Analyse zusammenzubringen. In einigen Szenarien wie Root-Cause-Analysen kommt es auf die Traceability-Funktionalität an. Hier ist es erforderlich zu wissen, welches Teil genau in welchem Fahrzeug verbaut ist, um etwa die entsprechenden Fertigungsparameter zu prüfen. Insbesondere dafür gilt es, verschiedenste Daten aus der Wertschöpfungskette sowohl von Zulieferern als auch OEMs gemeinsam zu analysieren.

Zitat

»In der Datenanalyse ist es entscheidend, in den Kooperationsmodus zu gehen. Wir als Zulieferer müssen dies von Tag eins an direkt mit Daten begleiten«

Christoph Marquardt, Bosch

„Im Fall eines Rückrufs müssen dann beispielsweise nicht mehr alle Teile eines bestimmten Produktionszeitraums ausgetauscht werden, sondern nur die betroffenen Teile. Die anderen werden lediglich beobachtet“, beschreibt der Qualitätsexperte den neuen Ansatz. Anhand von Fehlermustern können die von einem Fehler betroffenen Teile und Fahrzeuge von nicht betroffenen unterschieden und damit die zurückzurufenden Fahrzeuge reduziert werden.

Ein Muster kann auch ein Filter sein, beispielsweise wenn ein Fehler nur in einem Land, einem bestimmten Motortyp oder einer bestimmten Ausstattungsvariante auftritt. Durch die Nutzung aktueller Informationen direkt aus dem Fahrzeug lässt sich zudem die Wirksamkeit der Abstellmaßnahme, etwa bei einem Softwareupdate, sehr viel schneller und einfacher absichern.

Catena-X bietet klare Sprache

Der große Vorteil von Catena-X bestehe darin, eine Standardisierung aller Aspekte zu haben, die den datenbasierten Austausch zwischen Unternehmen ermöglichen, konstatiert Christoph Marquardt. Es wurden unterschiedliche Datenmodelle geschaffen, etwa für Diagnosedaten, Fahrzeugbeschreibungen und Reklamationen. Neben einheitlichen Datenformaten und damit einer klaren Sprache sorgt auch der EDC-Connector (Catena-X-Hausanschluss) für Vereinfachung und leichtere Skalierung. Denn damit ist der Datenaustauschweg innerhalb der Wertschöpfungskette immer gleich, während Zulieferer bislang teilweise noch auf unterschiedliche proprietäre Übertragungswege ihrer Kunden eingehen mussten.

Basierend auf generischen Berechnungen nennt der Qualitätsexperte einige Ergebnisse aus den bisher gemachten Erfahrungen: „Wir bekommen ein Problem in Summe vier Monate früher mit – verglichen damit abzuwarten, dass einzelne Teile über die Zeit eingeschickt werden. Mit diesem Frühwarnsystem sehen wir eine deutliche Reduktion der Kosten. Der Business Case ist angesichts der hohen Fehlerkosten da – ohne Wenn und Aber.“ Hinzu kämen zusätzliche Einsparungen, wenn nicht mehr weitere Problemteile eingeschickt und analysiert würden, obwohl das keinen weiteren Erkenntnismehrwert bringt.

Vertrauen ist gut, Catena-X besser?

Eine sehr große Veränderung im Mindset sei dies ebenfalls, erklärt Christoph Marquardt. Man gebe etwas preis und deshalb seien Vertrauen und Datensouveränität entscheidend. Die Catena-X-Standards verfügten durch die verschiedenen Teilnehmer des Ökosystems bereits sozusagen by design über beide Faktoren. Unabhängig vom jeweiligen Anwendungsszenario stehen die Legal Frameworks als rechtliche Leitplanken für die Datensicherheit bereit, die um bilaterale Verträge ergänzt werden.

Ein anderer wichtiger Punkt im Projekt war die Entscheidung, wie zusammengearbeitet werden soll. Abhängig von den getroffenen Vereinbarungen, steht den Partnern der gleiche Informationsstand zur Verfügung. „Die Catena-X-Standards sorgen für eine gemeinsame Sprache, durch die viel Geschwindigkeit und eine Grundlage für die inhaltlichen Gespräche geschaffen werden können. Jeder Partner kann seine eigene Analyse-Tool-Landschaft nutzen, solange die Werkzeuge inter­operabel sind“, schließt Marquardt.

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