Jüngst hat die Bundesregierung ein Gesetz verabschiedet, das den Grundstein für das autonome Fahren auf Level 4 legen soll. Wie beurteilen Sie diesen rechtlichen Fortschritt?
Aus meiner Sicht ist das grundsätzlich eine sehr positive Entwicklung. Zumindest wird jetzt erstmalig ein rechtlicher Rahmen vorgegeben, in dem die Hersteller ihre (teil-)autonomen Fahrzeuge entwickeln können. Gerade im Bereich Cybersecurity sowie Remote- und Teleoperations spielt dies eine signifikante Rolle, da die Unternehmen sonst nur spekulieren könnten, welche Anforderungen denn zu erfüllen seien. Und das ist natürlich sehr risikobehaftet. Es bleibt anzumerken, dass eine Vorreiterrolle Deutschlands in diesem Bereich zwar begrüßenswert ist, aber ein global aufgestellter OEM natürlich bestrebt ist, international Rechtssicherheit zu erreichen. Die enormen Investitionen müssen über die Menge der verkauften Fahrzeuge wieder eingespielt werden – da reicht der deutsche Absatzmarkt isoliert nicht aus.
Reicht das aktuelle Haftungsrecht hinsichtlich autonomem Fahren aus oder gibt es noch Hürden?
Die Komplexität der Haftungsfrage ist aus meiner Sicht noch eine sehr große Hürde, da viele Komponenten verschiedenster Parteien zusammenspielen müssen und sich gegebenenfalls nicht komplett kennen. Um mal ein Beispiel zu geben: Das Chassis wird von einem Automobilhersteller entwickelt, mit Sensoren verschiedenster Zulieferer ausgestattet und mit der Software einer Softwarefirma autonom betrieben. Oft kennt der Hersteller nicht einmal den Code der Sensoren, sondern erhält nur die Schnittstellenbeschreibungen. Die Software zum autonomen Fahren besteht aus neuronalen Netzwerken und kann somit nicht von Menschenhand nachvollzogen werden. Und dann ist da noch das Thema Cybersecurity, das in allen Komponenten verankert sein muss. Sollte es jetzt zu einem Unfall kommen, wird die Haftungsfrage kompliziert. Fehler der autonomen Software? Softwarefehler der Sensoren? Sicherlich steht der Automobilhersteller als Endproduktverkäufer zunächst in der Verantwortung – aber er wird sich im Haftungsfall über seine Vereinbarungen mit den Lieferanten schadlos halten wollen.
Welche Schritte müssen unternommen werden, damit autonome Fahrzeuge künftig auch abseits festgelegter Betriebsbereiche fahren dürfen?
Aus technischer Sicht denken wir, dass die Vernetzung zwischen Fahrzeugen und der bestehenden Infrastruktur deutlich dazu beitragen kann, autonome Fahrzeuge auch außerhalb festgelegter Betriebsbereiche sicherer fahren zu lassen. Je besser die Fahrzeuge ihre Umgebung und deren Teilnehmer kennen, desto niedriger ist der Grad der Komplexität für das Fahrzeug. Die größte Herausforderung wird allerdings der Mensch sein. Die Übergangsphase, in der sich Mensch und autonomes Fahrzeug die Straße teilen, wird den höchsten Grad an Komplexität haben. Das liegt daran, dass autonome Fahrzeuge und Menschen unterschiedlich reagieren und der Mensch nicht immer rational handelt. Level 5 ist im allgemeinen Straßenverkehr in den nächsten Jahren deshalb eher unwahrscheinlich. Die Komplexität ist einfach sehr hoch. Man bedenke nur mal, wie schwer es schon für uns Menschen ist, bei Nacht im Schneeregen auf einer kurvigen Schotterstraße in den Bergen zu fahren.
Zur Person:
Lars Godzik (53) ist Gründer und geschäftsführender Partner bei der international tätigen Ginkgo Management Consulting GmbH in Hamburg und zudem Geschäftsführer der Tochtergesellschaften in China, der Schweiz und Singapur. Nach seinem Studium der Betriebswirtschaft in Saarbrücken, an der Keio Universität in Tokyo sowie der FU Berlin sammelte der gebürtige Hamburger seine ersten Berufserfahrungen im internationalen Strategiebereich eines Großkonzerns. Nach Erfahrungen in der Startup-Branche im Bereich E-Commerce ist er seit mehr als 20 Jahren im internationalen Beratungsgeschäft aktiv. Godzik ist branchenübergreifend tätig und ein Experte für Digitalisierungsstrategien sowie Anwendungen von Machine Learning und künstlicher Intelligenz.