Customer Journey BMW

Im Rahmen der Umstellung auf den Direktvertrieb arbeitet BMW an der Verschmelzung digitaler und physischer Touchpoints für Kunden. (Bild: BMW / Andreas Croonenbroeck)

Dass mit Peter Henrich, Head of The New Retail, und René Wies, VP & Head of IT for Customer, Brand and Sales, zwei Verantwortliche aus Business und IT Rede und Antwort stehen, ist kein Zufall. Die besonders enge Zusammenarbeit sei ein „absoluter Erfolgsfaktor“. So verstehen die interdisziplinären Teams aus Business und IT das Projekt als gemeinsamen Gestaltungsprozess und begegnen sich auf Augenhöhe. Allen Herausforderungen zum Trotz läuft das Megaprojekt seit 2022 nach Plan.

„Im neuen Vertriebsmodell übernimmt die BMW Group die Vertragsbeziehung mit dem Endkunden künftig direkt. Wichtige Ziele sind ein einheitlicher Preis und Omnikanalität: Der Kunde kann entscheiden, was er im Autohaus machen möchte – und was online spätabends auf der Couch“, erklärt Peter Henrich. Im Vergleich zu anderen Industrien und Retailern sei die Automobilbranche eher spät dran und müsse nachlegen, um Erwartungen zu erfüllen, die Kunden heute an das Online-Erlebnis haben.

Direktvertrieb soll Kundenerfahrung vereinheitlichen

Heute weiß der OEM meist noch nicht, wie die Interaktion zwischen Kunde und Händler aussieht, beispielsweise hinsichtlich Probefahrten. Vor allem liegt der Preis in der Hoheit des Händlers. Für den Kunden ist das intransparent und mit viel Rechercheaufwand verbunden. Man wisse aus Studien, dass Kunden nicht wirklich in verschiedenen Autohäusern um den Preis verhandeln wollen. Jetzt soll der Kunde sich auf das Erlebnis und das Produkt selbst fokussieren können.

Wenn es jetzt in der direkten Kundenbeziehung nur einen Preis geben soll, gilt es allerdings viele Hürden einzureißen. Nur im direkten Vertriebsmodell kann der OEM einen Preis definieren, der überall, im Internet und im Handel, gleich ist. Die Handelspartner bleiben im Spiel und als physischer Anlaufpunkt natürlich auch entscheidend, sie haben aber auch eine andere juristische Rolle. „Es geht nicht nur um eine Transformation im Geschäftsmodell, sondern auch um die Harmonisierung der IT und der Prozesse in 24 Märkten. Dazu gehören 700 Applikationen, die angefasst und teilweise abgeschaltet werden“, erklärt René Wies.

Customer-ID bringt Touchpoints zusammen

Damit Kunden im Autohaus und zuhause das Gleiche machen, also nahtlos zwischen physischem und digitalem Touchpoint wechseln können, wurde eine Customer-ID, die sogenannte Mini- oder BMW-ID, und eine Fahrzeug-ID über alle Prozesse hinweg eingeführt. Damit wird eine Wunschkonfiguration, zusammen mit Finanzierungsmöglichkeiten und Probefahrtterminen, überall gleich angezeigt. Das Verkaufspersonal kann dann mit der jeweiligen ID, die die Kunden in Form eines QR-Codes mitbringen, auf die Fahrzeuge zugreifen, die die Kunden zuvor in den Einkaufswagen oder in die Wishlist gelegt haben. Der Konfigurator etwa sieht im Web und im Handel identisch aus, zuvor war das Look-and-Feel unterschiedlich. Zunächst wurde das Modell mit Mini in China und Südafrika erprobt, jetzt stehen 24 europäische Länder auf dem Programm. Ab 2026 soll die Marke BMW in Europa folgen.

Für die Partner ist das eine große Transformation. Doch auch sie bekommen eine bessere Sicht auf den Kunden und dessen Online-Aktivitäten und profitieren von der Modernisierung der Toollandschaft, ist sich Wies sicher: „Die Partner haben immer beklagt, dass sie Daten von einem zum anderen BMW-Tool kopieren müssen. Jetzt ist alles durchgängig, Kunden- und Fahrzeugdaten einschließlich Rollen und Rechten“. Für die bisher eigenständigen Händler sei die Transformation ein emotionales Thema und man wollte der historisch sehr guten Verbindung zu den Vertriebspartnern Rechnung tragen, erläutert Henrich. Den Transformationsverantwortlichen war deshalb eine sehr enge Zusammenarbeit schon zu einem frühen Zeitpunkt besonders wichtig, der Händler-Input sei zudem für reibungslose Prozesse zwischen Online und Offline entscheidend gewesen.

BMW sieht positive Resonanz der Händler

Dort wo das neue Vertriebsmodell schon für Mini gilt, sei deutlich zu sehen, dass man die Veränderung nicht in den Handel drücken müsse. „Oft wird nachgefragt, wann die neue Systemlandschaft endlich auch für BMW gilt“, freut sich Wies. Denn die Skepsis war am Anfang hoch. Die zwei häufigsten Fragen der Händler waren demnach: Wird das Modell gemeinschaftlich gestaltet? Und bekommt die IT das überhaupt hin? Die Antwort lautet in beiden Fällen Ja: Im Januar waren Italien, Schweden und Polen dran, im Mai Finnland und Norwegen. Im Oktober ist das Heimatland Deutschland an der Reihe, gemeinsam mit weiteren europäischen Ländern.

„Für den Go-live in einem großen Markt wie Italien hatten wir nur 18 Monate Vorbereitungszeit, nachdem die Entscheidung im Juli 2022 gefallen ist“, konstatiert Brand-and-Sales-Experte René Wies. Man habe alle 24 Märkte und ihre Besonderheiten in die Konzeption dieses Kernsystems einbezogen und sei mit 130 Applikationen zum Jahresbeginn 2024 live gegangen. Dazu gehören landesspezifische Vorgaben wie beispielsweise für den Führerscheincheck, die elektronische Unterschrift oder die Fahrzeugregistrierung. Auf dieses Kernsystem werden jetzt alle Märkte „draufgelegt“.

Vertrieb umfasst viele Funktionen im Unternehmen

„Es sind viele Unternehmensbereiche einbezogen worden, das Ordering, die Logistik und vor allem die ganze Finanzwelt, weil die Finanzströme sich ändern, wenn wir die Rechnung direkt an den Kunden stellen“, so Henrich. Gerade die klassischen Accounting- und Invoicing-Themen seien in Europa sehr divergent. Für die Projektbeteiligten sei das ein Marathon, doch Modernisierung und Digitalisierung voranzubringen, motiviere die Leute – auch wenn es anstrengend und herausfordernd sei. Es geht um starke Veränderungen in Prozessen, in Systemen und für Menschen. Das kann aus Sicht von Henrich nur im Zusammenspiel funktionieren und wenn die Menschen vom Nutzen auch überzeugt sind. Von Anfang an war auch der Rahmen klar: Durch die Umstellung sollte kein Business verlorengehen, der Umstieg musste parallel zum Operativgeschäft funktionieren. Das war vor allem für die Business-Projektbeteiligten neben dem Tagesgeschäft eine herausfordernde Angelegenheit. „Das Direktvertriebsmodell ist neben den Fahrzeugprojekten sicherlich das größte Transformationsprojekt, das unser Unternehmen in den letzten Dekaden gesehen hat“, bestätigt Wies.

IT muss 700 Tools in Einklang bringen

In den letzten zwei Jahren war viel über die Probleme von anderen OEMs zu hören, die bereits auf Direktvertrieb setzen. Es hakte vor allem bei der IT-Funktionalität und der Kompetenz für die neu hinzugewonnenen Aufgaben wie die Preisfindung. Auch BMW erledigt jetzt vieles selbst, was vorher dem Handel oblag, etwa die Konfiguration und Bestellung von Demo-Fahrzeugen. So optimiert nicht mehr jeder Händler sein eigenes Lager, stattdessen wird national und später europäisch optimiert. „Viele der neuen Aufgaben sind anspruchsvoll und wir wollen ein Topniveau halten“, stellt Peter Henrich fest. Die Latte ist hochgelegt, denn dafür müssen die 700 IT-Tools als Kette inein­andergreifen. „Wir haben einen Schwerpunkt auf die Themen Testing und Training gelegt – und damit viele Probleme und Tickets von vornherein vermieden. Dieser Fokus war extrem wichtig und wird auch für die anstehenden Rollouts beibehalten“, hebt René Wies ein wichtiges Erfolgsrezept hervor.

Zudem wurde eine starke Governance für Security schon in Entwicklung und Testing zugrunde gelegt. Das IT-Knowhow der Münchner liegt jedoch nicht nur in der Zentrale, sondern ist bewusst auf der ganzen Welt verteilt: So sind rund 1.000 Mitarbeiter aus dem internationalen IT-Hub-Netzwerk am neuen Direktvertriebsmodell beteiligt.

Die Strategie bestand darin, auf bereits eingesetzte Kernplattformen wie SAP, Salesforce oder Adobe aufzubauen und diese um Eigenentwicklungen zu ergänzen. „Sonst hätten wir das Projekt nicht in 18 Monaten hinbekommen“, ist sich Wies sicher. Ob Probefahrtbuchung, Produktkonfiguration oder Finanzierung: Alles funktioniere nach den gleichen Regeln, so dass praktisch nur noch Bausteine zusammengesteckt oder Services von funktionalen Plattformen gezogen werden müssen. Das sei auch ein wesentlicher Grund, warum man nicht mehr, wie es früher üblich war, beim Rollout ein Land nach dem anderen abarbeitet, sondern auch mehrere Länder gleichzeitig in kürzerer Zeit. „Damit wird das System nicht nur skalierbar, sondern auch deutlich einfacher erweiterbar. Wenn wir heute Innovation erzeugen, dann profitieren alle Märkte“, so der IT-Verantwortliche für das direkte Vertriebsmodell.

Der Experte ist überzeugt: Hätte man den Weg gewählt, jeweils in jedem Land die bestehende Landschaft fit zu machen, dann wäre man die aufwendige Heterogenität nicht losgeworden. Durch die Modernisierung hat man die Legacy-Welt verlassen und spart Kosten, weil viele Systeme abgeschaltet werden konnten. „Wir hatten beispielsweise keine einheitlichen CRM-Systeme. Bei Umstellungen haben deshalb früher teilweise nur einige Märkte profitiert“, so Peter Henrich. Jetzt können neue Funktionen den Projektverantwortlichen zufolge über Nacht in die Gesamtorganisation gebracht werden.

KI optimiert die Prozesse im Vertrieb

Schnelle Innovationsfähigkeit spielt auch mit Blick auf KI und Machine Learning eine zentrale Rolle. Datenanalysen und End-to-End-Monitoring liefern etwa wichtige Insights für die Vertriebsprozessoptimierung, um Probleme im Bezahlprozess oder Bestellabbrüche zu vermeiden. Bei fast einer Million verkauften Fahrzeugen pro Jahr in Europa hat Machine Learning zudem eine zentrale Bedeutung für die Produktkonfiguration, sagt Henrich. Für das Thema Pricing wurde ein eigenes Projekt aus Business und IT eingerichtet. In die Ermittlung des finalen Endpreises fließen diverse Datenpunkte ein. „Neben der Preisgestaltung haben wir viele Möglichkeiten, dem Kunden angesichts seiner Konfiguration das richtige Angebot zu machen. Das kann zum Beispiel ein ähnliches, etwas besser ausgestattetes Fahrzeug sein, das aber schon in zwei Wochen verfügbar ist“, fügt Wies hinzu. Letztlich würden von dem neuen Vertriebsmodell alle Seiten profitieren: die Kunden, die Handelsorganisation und der Hersteller selbst.

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