Conti Automotive CIO Thorsten Pache

„Eine starre Fünf-Jahres-Strategie, wie man sie früher kannte, gibt es so nicht mehr", sagt Continentals Automotive-CIO Thosten Pache angesichts kommenden Herausforderungen. (Bild: Continental / Tobias Weber)

Hinweis: Dieses Interview wurde vor der Ankündigung Continentals, die Automotive-Sparte als Spin-off abspalten zu wollen, geführt.

Herr Pache, Sie sind seit mehr als sechzehn Jahren in verschiedenen IT-Positionen für die Automotive-Sparte von Continental tätig, seit 2020 auch als CIO. Wie sehr haben sich die Herausforderungen in dieser Zeit speziell in der IT eines Autozulieferers verschoben?

Sechzehn Jahre sind in der Tat eine lange Zeit im Automotive-Umfeld und ich kann bestätigen, dass sich die Herausforderungen, gerade in den letzten Jahren, massiv verändert haben. Ich würde hier zwei Bereiche herausstellen: So gibt es auf der einen Seite grundsätzliche Veränderungen in der IT-Branche: Wir erleben derzeit einen unglaublich dynamischen Technologiewandel wie etwa bei KI- oder Automatisierungstechnologien, Digitalisierung in allen Bereichen, ein erweitertes Nutzungspotenzial durch Cloudtechnologien oder moderne Datenplattformen. Ich glaube, dass KI unser Leben signifikant verändern wird, sowohl privat als auch beruflich. Bereits heute werden erhebliche Potenziale durch den Einsatz dieser Technologien gehoben, sei es in der Produktion, der Forschung und Entwicklung oder im täglichen Arbeiten. Der gezielte, schnelle und effiziente Einsatz birgt enorme Chancen. IT ist dabei ein wichtiger Akteur und trägt wesentlich zu diesen Veränderungen bei. Dies bringt auch Herausforderungen mit sich, wie etwa Schritt zu halten mit der unglaublichen Entwicklungsgeschwindigkeit und zugleich vorausschauend zu agieren, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen.

Dazu die neuen Herausforderungen in der Autobranche…

Ja, so fordern stärker regulierte Märkte ein zunehmend stringentes Governance-Framework. Wir erleben geopolitische Herausforderungen oder andere Krisen, die zu Beschaffungsengpässen führen, wie zuletzt in der Halbleiterkrise, sowie ein ständig wachsendes Bedrohungspotential durch Cyberangriffe. Das Fahrzeug selbst wandelt sich durch die Elektrifizierung und wird zunehmend zu einem Edge Device, also einem vernetzten Computer mit vielen funktionalen Möglichkeiten. Dies stellt hohe Anforderungen an Forschung und Entwicklung. Stichworte sind hier High Performance Computing oder das Software-Defined Vehicle. Für dessen Entwicklung braucht es effiziente Tools und agile Methoden. Auch das Produktionsumfeld verändert sich stark: So macht Machine Learning die Fertigung noch skalierbarer und effizienter. Sie sehen, die Herausforderungen für die IT sind vielfältig, aber darin stecken auch riesige Chancen.

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Sie haben Ihre Verantwortung als IT-Chef der Automotive-Division in den Anfangstagen der Coronapandemie übernommen. Kann Sie jetzt nichts mehr schocken?

Ich glaube, man lernt ein Leben lang und Veränderungen waren schon immer an der Tagesordnung. In dieser Zeit kam ich aber schon das eine oder andere Mal an die Grenzen meiner Resilienz. Es ist wichtig, eine gewisse Gelassenheit und Widerstandskraft mitzubringen, um mit plötzlichen Veränderungen, Krisen und scheinbar unüberwindbaren Hürden umgehen zu können. Entscheidend ist, zu verstehen, was Veränderungen für uns bedeuten, wie wir reagieren müssen und was wir Positives daraus ziehen können. Ein einfaches Beispiel, das in der einen oder anderen Form sicher vielfach in der Pandemie erlebt wurde: Über Nacht verabschiedeten sich mehrere tausend Softwareentwickler mit ihren Desktops ins Homeoffice, obwohl diese dafür überhaupt nicht konfiguriert waren. Das erforderte schnelle Handlungsweisen und unkonventionelle Lösungen, anders als in der Vergangenheit. Neben diesem einfachen Beispiel gab es natürlich auch Herausforderungen ganz anderer Art zu bewältigen und jeder von uns stand vor der Frage, wie wir damit klarkommen und darauf reagieren. Das erweitert den Horizont und die Art, wie man lernt.

Inwiefern sind Sie als Bereichs-CIO in der Lage, eigene Schwerpunkte für die Automotive-IT zu setzen? Was steht ganz oben auf der Agenda in diesem Jahr?

Für uns ist es entscheidend, unsere spezifischen Anforderungen an die zukünftige Softwareentwicklung und die gesamte Wertschöpfungskette sicherzustellen. Unsere Strategie haben wir vor drei Jahren festgelegt, doch aufgrund der Dynamik des Wandels arbeiten wir bereits an einer Neuauflage (lacht). Neue Technologien und veränderte Marktbedingungen erfordern eine kontinuierliche Anpassung unserer strategischen Schwerpunkte. Eine starre Fünf-Jahres-Strategie, wie man sie früher kannte, gibt es so nicht mehr. Wirklich wichtig sind momentan Kernthemen wie die Entwicklung einer holistischen Software-Entwicklungsumgebung, Kollaborationslösungen im Kontext Software-Defined Vehicle und autonomes Fahren. Aber auch Daten und Datenarchitektur beispielsweise als wichtige Voraussetzung für die Einführung KI-basierter Lösungen spielen eine zentrale Rolle. Wir müssen daran arbeiten, relevante Daten mithilfe einer state-of-the-art Datenplattform an einem Ort verfügbar zu machen. Weitere zentrale Themen sind die software- und datengetriebene Digitalisierung im Produktionsumfeld, die völlig neue Lösungen erfordert – Lösungen, die vor wenigen Jahren technologisch noch nicht verfügbar waren. Dazu kommt der Ausbau unserer serviceorientierten Cloud-Landschaften. Cloud-Technologie gibt es schon lange, aber die heutigen Nutzungsmöglichkeiten in Bezug auf unser Produkt, das Fahrzeug, sind andere. Wir müssen die Cloud nutzen, um die Anforderungen an Entwicklungsgeschwindigkeit, Rechenleistung und Datenvolumen in einem internationalen Verbund zu bewältigen. Nicht zu vergessen auch das Thema Cybersecurity: Risiken und Bedrohungspotenziale entwickeln sich ständig weiter – darauf müssen wir vorbereitet sein.

Wie gestaltet sich der Austausch in Richtung Entwicklung und CTO Gilles Mabire?

Natürlich sind wir hier in regelmäßigem Austausch, sowohl institutionalisiert als auch im täglichen Doing. Gilles Mabire ist für mich ein wichtiger Partner, da wir gemeinsam mit der CTO-Organisation an technologischen Lösungen arbeiten. Seine Organisation fokussiert sich unter anderem auf Prozesse und Methoden, während wir die entsprechenden Tools bereitstellen. Das muss Hand in Hand gehen. In Zeiten immer kürzerer Innovationszyklen und steigender Anforderungen an den Produktentstehungsprozess sind Tools entscheidend. Wir müssen klären, mit welchen Tools wir entwickeln, wie eine gemeinsame Entwicklungsumgebung aussieht und wie das Fahrzeug künftig sicher und robust aufgestellt ist, sodass kontinuierlich Softwarepakete integriert werden können. Das erfordert einen sehr eng verzahnten Austausch.

Contis Automotive-Sparte steht unter massivem Druck, Sparzwänge und Stellenabbau machen die Runde. Wie sehr sorgt Sie das und wie kann die IT helfen, Kosten zu senken und Effizienz zu erhöhen?

Es ist kein großes Geheimnis, wenn ich Ihnen verrate, dass die Branche im Umbruch steht. Seit vielen Jahren wird darüber gesprochen und es war absehbar, dass dieser Umbruch nicht einfach sein wird. Heute sind wir mittendrin – und er tut an manchen Stellen weh. Das Produkt, die Märkte und die Player verändern sich. Das erfordert ein Umdenken, eine Anpassung und einen kontinuierlichen Transformationsprozess. In Bezug auf die IT leisten wir unsere Beiträge, um den gestiegenen Herausforderungen und dem Wettbewerb zu begegnen. Wir müssen den gestiegenen Kostendruck meistern und uns den veränderten Gefügen zwischen OEMs und Tier-1-Zulieferen anpassen. Gleichzeitig können wir durch Prozessoptimierung und Automatisierung, Mehrwerte schaffen. Wir stellen Tools und Plattformen bereit, die von den jeweiligen Geschäftsbereichen oder Zentralfunktionen individuell genutzt werden können. Moderne Technologien unterstützen uns insgesamt, um dabei effizienter und zielgerichteter zu arbeiten. Die IT wird dabei zum Key Player, nicht zuletzt auch, um im Top-Management und Vorstand regelmäßig die Möglichkeiten und Chancen aufzuzeigen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Bündeln und Fokussieren. Große Unternehmen neigen dazu, Dinge mehrfach zu erfinden. Hier können wir permanent optimieren und folgen einem Best-Owner-Ansatz. Wir definieren, was wir machen, wie wir bündeln und wo wir Potenziale durch IT synergetisch heben können. Automatisierung und cloudbasierte Ansätze spielen dabei eine wichtige Rolle. Wir prüfen kontinuierlich, was wir noch on-premise vorhalten müssen und wo wir Konzepte ändern können. Und nicht zu vergessen: künstliche Intelligenz hält gerade massiv Einzug in die Branche und gibt uns enorme Möglichkeiten, unser Geschäft effizienter zu gestalten.

Wo hilft KI heute schon bei Ihnen weiter?

Es gibt seit Längerem Machine-Learning-Programme in der Produktion, die durch ausgeklügelte KI-Systeme den Ausschuss reduzieren und damit die Qualität verbessern. Ein aktuelleres Beispiel ist der „Github Copilot“, der Software-Entwicklungsprozesse effizienter und qualitativ besser macht. Diese KI-Systeme führen Prüfroutinen über den Softwarecode durch und sortieren viele Fehleranfälligkeiten aus, bevor ein Produkt den Kunden erreicht. Ein weiteres Thema sind Large-Language-Modelle wie ChatGPT, die unsere Welt nachhaltig verändern werden. Derzeit pilotieren wir eine Large-Language-Lösung, um die tägliche Arbeit unserer Mitarbeiter zu optimieren. Dabei achten wir auf abgesicherte Umgebungen und Datenschutz.

Sehen Sie in KI-Technologien und damit verbundenen Low-Code/No-Code-Ansätzen einen Weg, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?

Absolut. Generative KI hat das Potenzial, Arbeitsschritte teilweise zu automatisieren und Menschen von Routinearbeiten zu entlasten und damit letztlich den Fachkräftemangel zu lindern. Dabei kommt es auf den intelligenten und gut orchestrierten Einsatz der verschiedene Technologien wie Low-Code-Entwicklung, KI, aber auch Prozessautomatisierung an. Mit dem Einsatz von Robotic Process Automation konnten wir bereits große Erfolge erzielen.

Wie gehen Sie konkret vor?

Die Grundidee ist, dass wir für den Einsatz dieser Technologien zentral Tools, Plattformen und Lizenzen zur Verfügung stellen. Wir stellen eine technische Lösung und ein Framework bereit, das als Standard für das Unternehmen ausgerollt wird. Die eigentliche Anwendung erfolgt in den jeweiligen Abteilungen und Disziplinen. Früher war die IT das Nadelöhr, da es zu viele Anforderungen und zu wenig Umsetzungskapazitäten gab. Das führte zu roten Ampeln und Unzufriedenheit. Jetzt können wir das entschärfen, indem wir eine Art Spielfeld mit klaren Regeln bieten, sodass jeder mit IT-Affinität die Möglichkeit hat, Passcodes zu schreiben und diese im System umzusetzen. Das Gleiche sehe ich im Data-Scientist-Umfeld. Themen wie Analytics und Datenzugriff sind sehr wichtig, wir brauchen flexible Konzepte. Ein Framework muss sicherstellen, dass Standards eingehalten werden, während die Umsetzung auch dort stattfinden kann, wo IT-Expertise vorhanden ist, aber nicht das IT-Branding trägt.

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Wir folgen einem Best-Owner-Ansatz. Wir definieren, was wir machen, wie wir bündeln und wo wir Potenziale durch IT synergetisch heben können.

Thorsten Pache, CIO Continental Autmotive
Thorsten Pache
(Bild: Continental / Tobias Weber)

Wie kommen solche Konzepte bei den Mitarbeitenden an?

Das Feedback ist so heterogen, wie wir Menschen es sind. Auf der einen Seite gibt es den Typus, der nur darauf gewartet hat und am liebsten schon gestern begonnen hätte. Er freut sich, endlich ein Tool und eine Lizenz zu bekommen, um sich nicht mehr um den Rahmen kümmern zu müssen und dennoch an Themen zu arbeiten, die ihn inhaltlich weiterbringen. Dann gibt es auch diejenigen, die nicht so nah an der Technologie sind und sich erst einmal überfordert fühlen. Bei jedem Technologiewandel gibt es eine Bandbreite an unterschiedlichen Befindlichkeiten. Der Erfolg einer solchen Einführung hängt unter anderem davon ab, ob es gelingt, möglichst viele auf dem Weg mitzunehmen. Als wir uns entschieden haben, das Large-Language-Modell einzuführen, gab es natürlich große Bedenken. Die Diskussion dazu muss transparent, offen und konstruktiv erfolgen.

Eine der wichtigsten und herausforderndsten IT-Hausaufgaben in international agierenden Automotive-Unternehmen – auch bei Ihnen – war es in den letzten Jahren, Prozesse zu standardisieren und Systeme zu harmonisieren. Wo stehen Sie aktuell?

Standardisierung war in der Vergangenheit ein Kernthema der IT und wird es auch in Zukunft sein. Ein Vorhaben, auf das ich sehr stolz bin, ist das Spirit-Projekt – unser SAP-Konsolidierungs- und Standardisierungsprogramm, das wir dieses Jahr erfolgreich abschließen konnten. Wir haben es geschafft, an über 100 Standorten weltweit Geschäftsprozesse und ERP-Systeme zu standardisieren. Dabei wurde aus ursprünglich 25 heterogenen Systemen ein globales Template-System mit einigen wenigen regionalen Produktivinstanzen geschaffen. Die Anzahl der Template-Prozesse wurde von über 7.000 auf weit unter 1.000 reduziert. Ein einheitliches ERP-System bietet uns zudem große strategische Vorteile, da es Voraussetzung für viele weitere Prozesse ist, beispielsweise in Sachen Datenarchitektur oder Governance-Modell. Ein weiteres Beispiel ist die Produktion: Hier haben wir in den letzten Jahren erfolgreich standardisiert und ein weltweit einheitliches Manufacturing Execution System eingeführt. Derzeit arbeiten wir an einem neuen Projekt, das wir Factory OS nennen und das auf Event Sourcing basiert.

Was erhoffen Sie sich hierdurch?

Auf Basis von Event-Sourcing möglichst vieler unterschiedlicher Produktionsdaten wollen wir Korrelationen aufzeigen, die Einfluss auf unsere Qualität und unsere Effizienz haben. Damit werden wir Verbesserungen deutlich schneller als bisher in die Produktion einfließen lassen. Und das geht nur auf Basis eines gemeinsamen Standards. In einem weiteren Schritt planen wir, mit Hilfe von Process Mining die effizientesten Prozesse zu identifizieren, um diese dann kurzfristig in allen beteiligten Werken zu implementieren. Unser Ziel ist es, Prozessoptimierungen, die bisher Monate gedauert haben, in wenigen Wochen zu ermöglichen.

Kam der Anstoß dafür direkt vom Shopfloor, sprich bottom-up?

Richtig, dort wurden erste innovative Gedanken und MVPs formuliert, die zu einem Lösungsszenario führten. Doch irgendwann kam man an den Punkt, über Skalierung und einen Roll-out nachzudenken, wofür es einen stabilen Rahmen braucht. Und dafür bietet die IT-Organisation entsprechende Möglichkeiten. Das ist ein tolles Beispiel dafür, wie wir die Innovationskraft, die in den Werken, R&D-Abteilungen und Zentralfunktionen verteilt ist, fördern und nutzen können. Es geht darum, diese Innovationskraft zu erkennen und zu entscheiden, wann ein Thema das Potenzial für den nächsten Schritt hat. Dann heben wir es auf die nächste skalierbare Ebene und sorgen dafür, dass es professionellen Standards genügt. Früher war die IT eine durch Governance-Rahmen klar abgegrenzte Einheit und Anwendungen wurden zentral entwickelt. Heute ermöglichen uns neue Technologien, ergänzend zu dem zentralen Auftrag der IT, innovative Ideen zu skalieren und großen Mehrwert zu schaffen.

Moderne IT-Landschaften zeichnen sich durch eine saubere, durchgängige Dateninfrastruktur aus. Wie gehen Sie dieses Thema an und wie gelingt die Vernetzung über die Divisionen hinweg?

Das Thema Daten löst auf jeden Fall etwas in mir aus (lacht). Wir müssen in vielen Bereichen mit Datenheterogenität umgehen. Die Frage ist, wo wir sie uns erlauben können und wo wir sie angreifen müssen. Wir glauben, dass wir diese Heterogenität nicht durch Vereinheitlichung auf Applikationsebene bewältigen, sondern über die Datenschicht. Das ist unser Grundprinzip. Wir müssen versuchen, Daten konsistent und zugreifbar zu machen. Dazu bauen wir gerade eine zentrale Datenplattform für die Automotive-Gruppe auf. Sie wird uns befähigen, nicht nur alle relevanten Daten verknüpfbar an einem Ort zu haben, sondern auch eine semantisch harmonisierte Datenschicht zu bieten.

Welche Bereiche machen Ihnen auf diesem Weg momentan noch am meisten zu schaffen?

Insbesondere im Produktionsumfeld und bei R&D gibt es noch Potenzial. Unser Ziel ist es, inkonsistente Berichte und Doppelarbeiten in der Datenbereinigung zu eliminieren oder auf ein Minimum zu reduzieren und gleichzeitig mehr Datenpower in der Analytic und in der semantischen Veredelung der Daten zu schaffen. Besonders im Bereich Autonomous Mobility müssen enorme Datenmengen verarbeitet und bewältigt werden. Das erfordert entsprechende Lösungen. Und durch bereichsübergreifende Vernetzung entlang der standardisierten IT-Applikationslandschaften können wir es schaffen, Mehrwert und Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Eine einheitliche Datengrundlage ist dabei entscheidend.

Continental ist Mitglied des Datenökosystems Catena-X. Was erwarten Sie sich von solch einem internationalen Datenraum?

Catena-X schafft einen großen Mehrwert – erst kürzlich haben wir einen Datenaustausch im Bereich Predictive Quality mit einem unserer großen Kunden über Catena-X gestartet. Der eigentliche technische Wert liegt meiner Meinung nach in der Datenkonnektivität sowie in der inhaltlichen Standardisierung der häufigsten Use-Case-Szenarien. Catena-X definiert verschiedene Anwendungsfälle, zum Beispiel im Qualitäts- und im Supply-Chain-Bereich. Wenn man den passenden Anwendungsfall hat, kann man sehr effizient in ein Datenaustauschmodell eintreten, das bereits ein fertiges Framework bietet. Governance spielt auch hier eine wichtige Rolle: Viele Ansätze und Ideen für gemeinsame Industrieplattformen scheitern daran, dass Dinge wie Datenhoheit und Neutralität nicht gesichert sind. Catena-X dagegen bietet ein faires Regelwerk. Zudem ist es technologisch state-of-the-art und attraktiv. Der Erfolg der Initiative hängt jedoch von der internationalen Verbreitung und Anerkennung ab. Wenn wir einen globalen Datenaustausch erreichen wollen, muss auch die internationale Automobilbranche Teil von Catena-X werden.

Geht Ihnen das Ganze schnell genug?

Anfänglich hatte ich Bedenken, dass Catena-X möglicherweise zu groß, zu langsam oder zu ideologisch geprägt sein könnte. Oft entstehen gute Ideen, die dann in administrativen Schritten versanden. Doch wir sind mittlerweile einen deutlichen Schritt weiter. Es hängt viel davon ab, welchen Use Case Sie vor sich haben und mit welchem Partner Sie zusammenarbeiten. Wir haben es zusammen mit einem Partner geschafft, innerhalb von drei Monaten ein komplettes Szenario aufzubauen. Das hat gezeigt, dass man sehr schnell und flexibel Lösungsszenarien implementieren kann. Weitere Anwendungsfälle werden folgen – abhängig davon, wie anschlussfähig die Unternehmenskulturen in diesem Bereich sind. Die Schnelligkeit hängt am Ende des Tages auch davon ab, ob die agierenden Unternehmen ein ähnliches Mindset haben.

Thorsten Pache
(Bild: Continental / Tobias Weber)
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Viele Ansätze und Ideen für gemeinsame Industrieplattformen scheitern daran, dass Dinge wie Datenhoheit und Neutralität nicht gesichert sind. Catena-X dagegen bietet ein faires Regelwerk.

Thorsten Pache, CIO Continental Automotive

Stichwort Cybersicherheit: In der jüngeren Vergangenheit wurde auch Ihr Unternehmen Opfer von Hackerangriffen. Durch den vermehrten Einsatz von KI ist das künftige Gefahrenpotenzial fast nicht mehr abschätzbar. Wie stellen Sie sich dieser Herausforderung?

Fluch und Segen liegen oft nah beieinander. Ich glaube, KI bietet uns insgesamt einen großen Mehrwert und wird viele Dinge verändern. Wo Chancen sind, gibt es immer auch Risiken. Technologien waren schon immer für alle verfügbar und nutzbar, im Guten wie im Schlechten. Bezüglich Cybersecurity ist es ein ständiger Wettlauf zwischen neuen Abwehrtechnologien und Angriffsmodellen. Man muss mit der Zeit gehen, denn die Angriffs- und Risikopotenziale verändern sich kontinuierlich. International organisierte Hacker-Gruppen erstellen ausgefeilte Angriffsprofile und nutzen dafür natürlich auch KI-Technologien. Wir schützen Continental, indem wir ein starkes Fundament in Kultur und Denkweise, Governance und Prozessen sowie mit unseren Technologien schaffen. Die beste technologische Lösung bringt nichts, wenn der Mensch am Ende doch die Zugbrücke für das trojanische Pferd herunterlässt. In punkto Governance und Prozesse brauchen wir klare Spielregeln. In manchen Bereichen herrscht nicht nur technisch, sondern auch prozessual „Zero Tolerance“. Darüber hinaus sind unsere Technologien entscheidend: Eine Infrastruktur mit Zero-Tolerance-Topologien, ein Defense-Center sowie ein Center of Excellence für Cybersecurity sind dabei Kernbestandteile. Nachdem wir selbst Opfer eines Angriffs wurden, ist uns bewusst, dass Phishing-Mails und KI-gestützte Angriffe immer gefährlicher werden, weil sie authentischer wirken und neue Kanäle erreichen. Bei der Attacke, die wir erfahren haben, konnten wir das Schlimmste abwehren. Dennoch hat sie gezeigt, dass niemand unverletzbar ist und wir auf dem neuesten Stand der Technik bleiben müssen.

Zum Abschluss ein Blick in die nahe Zukunft: Wie würden Sie die Continental Automotive-IT in fünf Jahren gerne charakterisieren?

Die IT kam ursprünglich aus einer Rolle, in der sie als Dienstleister und dann im nächsten Schritt als Enabler gesehen wurde. Ich denke, wir müssen nicht fünf Jahre in die Zukunft blicken, sondern uns angewöhnen, in kürzeren Zeitzyklen zu denken. So ändert sich das Bild heute schon und es wird sich auch weiterhin ändern. Ich sehe die IT der Zukunft als entscheidenden Teil der Produktwertschöpfungskette, besonders im Softwareumfeld. Dort gestalten wir Datenmodelle und Datenaustausch sowie Standardisierungsgrundlagen mit den Kunden. Das erfordert IT-Kompetenz aus verschiedenen Gründen: Zum einen die technologische Expertise zum Aufbau und zur Integration von Plattformen und Daten sowie Cybersecurity, die früh in den Produktentstehungsprozess eingebunden werden muss. Zum anderen ist die enge Zusammenarbeit mit R&D-Bereichen und externen Kunden wichtig. Die IT hat diese Rolle heute teilweise schon inne. In naher Zukunft werden neue Technologien im Produktionsprozess andere Effizienzen ermöglichen, Daten können schneller ausgewertet und KPIs besser gesteuert werden. Dazu können eigenentwickelte Applikationen schneller verfügbar gemacht werden. Das Umdenken hin zum neuen Selbstverständnis ist aber ein kulturelles Thema. Das geschieht nicht über Nacht. Der Mehrwert und die Notwendigkeit der IT müssen erkannt und akzeptiert werden. Wir sortieren uns gerade neu, um strategische Schwerpunkte zu setzen und einen permanenten Transformationsprozess zu ermöglichen. Eine zentralere Organisation mit End-to-End-Lösungen muss sich diesem Ansatz stellen, um hoch integriert zu arbeiten.

Zur Person:

Thorsten Pache
(Bild: Continental)

Thorsten Pache startete seine Karriere 1996 bei der Mannesmann Dematic AG (Lager- und Distributionssysteme) im Bereich Projektmanagement und Projektcontrolling. Von 2001 bis 2007 war er als Head of IT für den Bereich Airport Logistics bei der Siemens AG tätig und hatte verschiedene Führungspositionen inne. Im Jahr 2008 kam Pache zu Continental Automotive, wo er fortan verschiedene IT-Managementpositionen bekleidete. Zwischen 2013 und 2019 war als Regional Information Officer für Europa und Südamerika bei Continental Automotive tätig, ehe er im Januar 2020 die Verantwortung als CIO der Sparte übernahm.

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