Digital Factory Campus in Berlin: Mercedes-Benz beschleunigt die Transformation seines Produktionsnetzwerks durch den Einsatz von KI und humanoiden Robotern

Autobauer wie Mercedes investieren seit einigen Jahren Milliardenbeträge in die Weiterqualifizierung ihrer Beschäftigten in neuen Tech-Themen wie KI und Daten. (Bild: Mercedes-Benz)

Laut Reuters investiert BMW jedes Jahr 400 Millionen Euro in seine Ausbildungsprogramme. Moritz Kippenberger, Vizepräsident für Personalservices, Rekrutierung und Qualifikationen bei BMW, geht davon aus, dass mittels zusätzlicher Schulungen über 90 Prozent der benötigten Kompetenzen auf Basis der bereits vorhandenen Fähigkeiten der Mitarbeitenden erreicht werden können. Lebenslanges Lernen ist also ein wichtiges Stichwort. Auch Volkswagen investiert kräftig in die Qualifizierung, im Jahr 2023 gab der Konzern insgesamt etwa 399,3 Millionen Euro für Weiterbildung ohne Berufsausbildung aus.

Dabei treibt vor allem die künstliche Intelligenz den Bedarf an Qualifizierungsmaßnahmen weiter an. „Digitalisierung und KI führen dazu, dass Unternehmen sich zum einen ihre Prozesse neu anschauen, aber auch ihre Qualifizierungskonzepte weiterdenken müssen“, meint Simone Kauffeld, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der TU Braunschweig. Die Tendenz gehe zudem zu kürzeren Trainings, bei denen es um konkretes Weiterlernen für den Job geht. Langwierige Qualifikationen würden seltener, auch weil oft nicht klar ist, wie sich Berufsbilder demnächst verändern könnten.

Gefragt sind KI- und Daten-Experten

So gab etwa Mercedes-Benz schon 2023 bekannt, dass man bis 2030 über 2,2 Milliarden US-Dollar in die Schulung von Mitarbeitenden investieren wolle. Mit entsprechenden Programmen sollen Beschäftigte aus Produktion, produktionsnahen Bereichen und Verwaltung gezielt zu Daten- und KI-Fachkräften weitergebildet werden. Aus Sicht des Stuttgarter Autobauers ist die Weiterentwicklung der digitalen Kompetenzen in der Belegschaft entscheidend für die Zukunft des Unternehmens.

Gerade wenn jetzt durch generative KI viele repetitive Aufgaben wegfallen, wird Qualifizierung umso wichtiger, damit Menschen den Fokus auf kreativere, wertschöpfende oder strategische Aufgaben legen können. Das könnte perspektivisch viele Karrierepfade verändern. „KI ist weit mehr als ein Automatisierungswerkzeug – sie entwickelt sich zunehmend zu einem Co-Worker, mit dem wir gerne zusammenarbeiten. Damit diese Zusammenarbeit erfolgreich ist, müssen sich sowohl der Mensch als auch die KI weiterentwickeln“, konstatiert Corina Apachite, Program Head Artificial Intelligence and Key Technologies bei Continental.

Umschulungsprogramme sollten deshalb nicht nur darauf abzielen, Menschen auf neue Aufgaben vorzubereiten, sondern auch ihre Fähigkeit stärken, mit KI effizient und kreativ zu interagieren. Aus Sicht von Apachite gehört dazu neben dem Aufbau von KI-Kompetenzen auch der Fokus auf die Zusammenarbeit mit KI. Schulungen sollten den Umgang mit KI als Partner in Entscheidungsprozessen und kreativen Workflows fördern, so Apachite.

Zudem müsse interdisziplinäres Lernen im Vordergrund stehen: Ziel sei eine Kombination von technologischem Wissen mit domänenspezifischen Fähigkeiten, um den vollen Mehrwert von KI besonders in der Automotive-Branche auszuschöpfen. „Nur so wird der Mensch befähigt, KI nicht nur als Werkzeug zu nutzen, sondern als echten Innovationspartner in wertschöpfenden Prozessen einzusetzen“, fügt die Tech-Expertin hinzu.

Kann der Mittelstand bei neuen Themen aufholen?

Der Tier-1-Zulieferer hat das Continental Institut für Technologie und Transformation (CITT) als Kompetenzzentrum für digitale Transformation und Qualifizierung aufgebaut. Hier werden Weiterbildungsprogramme für alle Qualifikationsniveaus angeboten. Das gilt sowohl für Continental-Mitarbeitende als auch für externe Kunden und Partner, die dort ihre Beschäftigten auf die KI-gestützte Arbeitswelt vorbereiten können. Die praxisnahen Trainings finden in Schulungseinrichtungen wie TechSpaces für 3D-Druck, Robotik und Augmented Reality statt.

Auch Fortschritte aus dem Konzern wandern in die Schulungswelt, etwa das KI-Awareness-Training, das in Zusammenarbeit mit dem Continental AI Lab in Berlin entwickelt wurde. „Das CITT unterstützt die Industrie aktiv dabei, den Wandel zu gestalten, indem es innovative Lernformate anbietet und KI-Kompetenzen strategisch fördert“, berichtet Corina Apachite.

Das kann ein wichtiger Beitrag sein, denn gerade kleine und mittelständische Zulieferer haben es oft schwer, mangels Ressourcen bei der Weiterqualifizierung ihres Teams auf vergleichbarem Niveau mitzuhalten. Für KMU biete es sich daher an, auf Strukturen zurückzugreifen wie Digitalzentren oder lokale Transformationsnetzwerke wie ReTraSON, meint Simone Kauffeld. So habe es sich etwa bewährt, dass Mitarbeitende in Netzwerken mit anderen Unternehmen voneinander lernen.

Gerade mit Blick auf KI und speziell auf Large Language Models (LLM) sieht sie eine erhebliche Lücke im automobilen Mittelstand. „Zwar hat ein Teil der Betriebe bereits die Relevanz der Technologie verstanden, doch viele befinden sich in Abwarteposition. Es ist wichtig, nicht auf die ganz große Strategie zu warten, sondern anzufangen und Erfahrungen zu sammeln – und Schulungen sowie klare Vorgaben für die KI-Nutzung zu bieten“, sagt Kauffeld. Derzeit stehe jedoch in vielen Unternehmen aufgrund der Marktentwicklung die Tendenz im Vordergrund, Stellen abzubauen, und weniger der Blick auf aktuelle Qualifizierungsansätze.

Transferlücke ist ein Problem

Wie und in welchen Formaten gelernt wird, entscheidet auch darüber, ob sich die Investitionen in Weiterbildung tatsächlich lohnen. „Aus Erhebungen ist bekannt, dass oft nur zehn Prozent des neu erlernten Weiterbildungswissens im Unternehmen ankommt. Aufgrund der typischen Transferlücke bleibt unklar, wie das neu Gelernte praktisch einsetzbar wäre. Daran hat auch der Trend zu digitalen Lernplattformen nicht viel genutzt, bei denen die Mitarbeitenden eigeninitiativ lernen“, erklärt Kauffeld. Während einige Menschen gut mit dieser Form des Lernens klarkämen, sei das bei vielen anderen nicht der Fall – damit fehle es diesen Ansätzen an Effizienz.

Stattdessen plädiert Simone Kauffeld dafür, auf Transferprojekte zu setzen, bei denen Arbeit und Lernen miteinander verschmelzen. „Der Wissensinput von extern wird dabei direkt angewendet, um praktische Projekte intern bei der Arbeit über einen längeren Zeitraum zu bearbeiten und so zu ‚Veränderungsmachern und -macherinnen‘ zu werden“, so die Expertin.

Auf dieses Konzept setzt etwa auch Mercedes-Benz mit seinem berufsbegleitenden Qualifizierungsprogramm D.Shift. Beschäftigte aus der Produktion, die Interesse an Daten und KI haben, können sich in einer „Digital Challenge“ bewerben und zu Datenspezialistinnen umschulen lassen. Während des Programms werden sie intensiv betreut und begleitet, arbeiten bereits an konkreten Praxisprojekten und absolvieren Hospitanzen. Am Ende des Programms steht dann der Wechsel in die zu Beginn definierten und festgelegten Zielstellen.

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