Jürgen Bortolazzi (links) ist seit 2022 Leiter Driver Assistance und Automated Driving bei Porsche

Jürgen Bortolazzi (links) ist seit 2022 Leiter Driver Assistance und Automated Driving bei Porsche (Bild: Porsche)

Herr Bortolazzi, vor wenigen Wochen gab der VW-Konzern eine Vertiefung der Partnerschaft mit Mobileye bekannt. Arbeitet Porsche erst seitdem mit Mobileye zusammen oder schon länger?

Mobileye ist ein bewährter Partner: Der Volkswagen Konzern arbeitet bei fortschrittlichen Fahrassistenzsystemen seit Jahren mit Mobileye zusammen. Das Unternehmen zeichnet sich durch eine mehr als zehnjährige, intensive Entwicklungstätigkeit im Bereich der Fahrerassistenzsysteme und des automatisierten Fahrens aus. Mobileye bietet neben einem Funktionsstack auch eine System-on- Chip-Lösung – bereits in der sechsten Generation – an, in die sehr viele Erfahrungen eingeflossen sind. Hinzu kommt ein komplettes digitales Ökosystem mit einer cloudbasierten Karte und einer effizienten Kopplung des Fahrzeugs mit dieser.

Was sind Ihre Pläne bezüglich der Implementierung der Mobileye Systeme SuperVision und Chauffeur?

Wir planen, in künftigen Modellen automatisierte Assistenz- sowie Navigate-on-Pilot-Funktionen anzubieten, die auf der Mobileye SuperVision Technologieplattform basieren. Dabei übernehmen wir eine entscheidende Rolle bei der Gesamtintegration von Mobileye SuperVision in unsere künftigen Modelle. Für ein markentypisches Fahrerlebnis werden die Systeme durch Porsche-Ingenieure entsprechend integriert und abgestimmt.

Andere deutsche OEMs sind bereits weiter und haben teilweise schon Level-3-Systeme in Serie. Warum sind Sie da hinten dran?

Es ist ein größerer Sprung, weil ein Redundanzpfad im Fahrzeug implementiert werden muss. Er übernimmt – zumindest für eine gewisse Zeit – die Fahraufgabe, wenn das Hauptsystem an seine Grenzen kommt oder ein Problem auftritt. Die derzeitigen Lösungen bieten aus unserer Sicht nur eingeschränkte Funktionen. Wir wollen mit der nächsten Generation ein breiteres Spektrum und erweiterte Rahmenbedingungen anbieten, damit es für unsere Kunden einen echten Mehrwert hat.

Wollen Sie die Systeme unabhängig vom Ort entwickeln?

Unser Ziel ist ein Angebot in Ländern, wo es gesetzlich möglich ist. Wir sehen hier global sehr große Unterschiede. Es gibt weltweite Regelungen, etwa die ECE-Regelungen der UN für die technischen Anforderungen an Fahrzeuge, an denen sich viele Länder orientieren. Aber wir haben es auch stark mit länderspezifischen Ausprägungen zu tun. Vor allem China emanzipiert sich zunehmend und kommt mit eigenen Zulassungs- und Gesetzesvorgaben auf den Markt.

Radare, Lidare, Kameras – was ist Ihrer Ansicht nach die Zukunft?

Unsere heutigen Level-3- und Level-4-Konzepte sehen aus Sicherheitsgründen drei unabhängige physikalische Sensierungsprinzipien vor: Radar, Lidar und Kameras. Diese sind bewährt, haben aber durchaus noch Potenzial für weitere Verbesserungen, beispielsweise durch bildgebende Radare. Das sind hochauflösende Radare, die ähnlich wie ein Lidar ein dreidimensionales Bild der Umgebung erstellen.

Sie nehmen sich also bewusst mehr Zeit als andere Hersteller wie Mercedes und BMW, um Funktionen erst anzubieten, wenn sie einen echten Kundennutzen haben?

Porsche-Kunden erwarten von einem Fahrerassistenzsystem Unterstützung, Komfort und Sicherheit auf höchstem Niveau. Hier müssen und können wir technisch führende Lösungen anbieten – ebenso beim automatisierten Fahren. Hier gilt aber auch in Zukunft die Prämisse: Ein Porsche wird in erster Linie immer ein Selbstfahrerfahrzeug bleiben.

Wie gestaltet sich in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit mit Cariad, hat sich Porsche davon gänzlich verabschiedet?

Cariad ist für die E/E Architekturen im Konzern verantwortlich, wie wir sie auch beispielsweise im neuen vollelektrischen Macan nutzen. Diese Skalierungsmöglichkeiten im Konzern verbinden wir mit der individuellen DNA und Identität unserer Marke. Damit schaffen wir die Grundlage für zukunftsfähige und wettbewerbsfähige Produkte. Durch die Zusammenarbeit gelingt es uns, die Komplexität signifikant zu reduzieren. Dies ermöglicht uns ein effizientes Vorgehen bei der Weiterentwicklung und Aktualisierung unserer Systeme.

Ein weiteres spannendes Thema ist die Innenraum- und Insassenüberwachung, besonders wenn Level 3 oder Level 4 erreicht wird. Wie entwickeln Sie Systeme, die Insassen in jeder Position sichern?

Unsere Vision ist es, unseren Kunden im automatisierten Fahrmodus ein adäquates Erlebnis im Innenraum zu ermöglichen. Je nachdem, ob der Fahrer Büroarbeit, Kommunikation oder Entertainment betreiben möchte, werden die Flächen im Fahrzeug beispielsweise durch Displays oder auch Projektionen nutzbar gemacht. Wichtig ist dabei aber immer der Sicherheitsaspekt: Wir müssen in jedem Fall den Insassenschutz gewährleisten, denn beim automatisierten Fahren können Unfälle nicht zu 100 Prozent ausgeschlossen werden, beispielsweise durch das Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer. Die Passagiere müssen also auch in Relaxpositionen geschützt sein. Dafür brauchen wir intelligente Airbag- und neue Rückhaltesysteme, die in die Sitze integriert sind. Hinzu kommt eine hochpräzise Innenraum- und Insassenüberwachung, sodass das Fahrzeug genau erkennen kann, in welcher Position sich der Fahrer oder die Mitinsassen befinden und wie die optimale Auslösestrategie für diese Rückhaltemittel aussieht.

Wie stellen Sie sicher, dass trotz der zunehmenden Anzahl an Sensoren das Fahrzeugdesign „Porsche-like“ bleibt?

Wir wollen Technik durchaus sichtbar machen – aber in einer Form, dass es wirklich gewollt aussieht. Die Design-Philosophie von Porsche ist sehr clean mit klaren Linien und nicht unterbrochenen Formen. Andererseits muss die optische Sensorik immer einen gewissen Sichtwinkel haben. Das sauber zu integrieren, ist tatsächlich eine große Herausforderung. Dabei arbeiten wir intensiv mit unseren Design- und Technikspezialisten im Styling- und Karosserie-Bereich zusammen.

Zur Person:

Jürgen Bortolazzi
(Bild: Porsche)

Prof. Jürgen Bortolazzi ist seit 2022 Leiter Driver Assistance und Automated Driving bei der Porsche AG. Daneben unterrichtet der promovierte Elektrotechnik-Ingenieur als Honorarprofessor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Von April 2016 bis September 2022 war Bortolazzi als Direktor für Fahrerassistenzsysteme bei Porsche verantwortlich für die Entwicklung von Fahrerassistenz- und Beleuchtungssystemen, Sicherheitselektronik und Karosseriesteuergeräten. Seine Karriere begann er 1994 bei Daimler, zuvor promovierte er in Elektrotechnik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

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