Fast durchgehend ist der Blick des Beifahrers in Richtung der Rückbank gerichtet. Als wolle er den darauf sitzenden Journalisten zeigen, wie sicher er sich in dem Gefährt fühlt, was ihn gerade ohne Eingreifen eines Menschen durch Freising bei München fährt. Dabei braucht Christian Senger, zuständig für die Entwicklung des vollautonomen Fahrens bei Volkswagen Nutzfahrzeuge, sich gar nicht zusätzlich bemühen. Auch ohne seine Entspanntheit hat man auf der Rückbank des ID. Buzz ein sicheres Gefühl. Nach rund 45 Minuten endet die vollautonome Testfahrt. Wenn so die Zukunft der Mobilität aussieht, kann man sich wirklich darauf freuen.
Dass ausgerechnet Volkswagen jetzt vorprescht beim autonomen Fahren war vor wenigen Monaten noch nicht absehbar. Ende 2022 beendete der Hersteller die Zusammenarbeit mit Argo AI. Der Moonshot-Ansatz, direkt ein Fahrzeug zu entwickeln, das Level 4 beherrscht, um Marktführer zu werden, hat nicht funktioniert, gibt Carsten Intra, Chef von Volkswagen Nutzfahrzeuge am Rande der Testfahrt zu. Umso stolzer sind die Niedersachsen nun, ihren ID. Buzz AD der Öffentlichkeit präsentieren zu können. „Wir haben jetzt ein Rezept, dass uns vom Verfolger in die Pole Position führen wird“, verspricht Christian Senger.
VWN-Chef Intra verspürt keinen Druck von Oliver Blume
Vor den Journalisten fuhren schon Politiker und Volkswagen-CEO Oliver Blume mit im Bulli der Zukunft. Gerade letzterer dürfte sich die Entwicklungen rund ums autonome Fahren besonders genau ansehen. In den ersten zehn Monaten seiner Amtszeit hat Blume bereits bei diversen Einheiten des VW-Konzerns aufgeräumt. Trotzdem verspürt VWN-CEO Intra keinen besonderen Druck, sagt er selbst. „Es ist mein Naturell, dass ich mir selbst immer den größten Druck mache“, sagt der Mann, der allein wegen seiner Statur so perfekt zu den großen VW-Bussen passt. Und tatsächlich wirkt der Zwei-Meter-Mann keineswegs angespannt. Das liegt einerseits sicherlich an seinem Gemüt – mehr Ruhe und Urvertrauen als Intra kann man kaum ausstrahlen – andererseits aber auch an der Performance des ID. Buzz an diesem Tag.
Ab wann fährt Moia autonom durch Hamburg?
Es ist keine Neuigkeit, dass Volkswagen und die Ridepooling-Tochter Moia planen, ab 2026 autonome Shuttle-Busse durch Hamburg fahren zu lassen. Doch spätestens nach dem Desaster rund um das Trinity-Projekt, dessen Startdatum mittlerweile völlig unklar ist, begannen Beobachter die Release-Daten von VW zurückhaltend zu betrachten. Nach der komplett reibungslosen Testfahrt in Freising wirkt es jedoch nicht mehr unrealistisch, dass diese Fahrzeuge ab 2026 tatsächlich durch den Hamburger Stadtverkehr rollen.
So gelang VW die Aufholjagd beim autonomen Fahren
In den letzten Monaten ist es dem Team von Christian Senger offenbar gelungen, die richtigen Stellschrauben zu ziehen. Allen voran die Partnerschaft mit Mobileye scheint sich für VWs ambitionierte Ziele als Volltreffer herauszustellen. Das Self-Driving-System des israelischen Technologieunternehmens überzeugt an diesem Tag vollumfänglich. Für CEO Intra liegt der Grund für die positive Entwicklung vor allem an der Schnittstelle, die die Befehle des Mobileye-Systems verarbeitet. Diese Schnittstelle habe man entkoppelt, wodurch der Umstieg von Argo AI auf Mobileye schnell Früchte tragen konnte. Auch deshalb sagt Intra: „Mobileye ist mir heute so wichtig, weil sie so eine gute Karte liefern.“ Sollte man hier aber irgendwann selbst genügend Kompetenzen haben, sei man durch die Schnittstelle flexibel genug, um erneut schnell wechseln zu können.
Diese Technik steckt im ID. Buzz AD
Von außen sieht der ID. Buzz AD kaum anders aus als sein manueller Bruder. Lediglich die auf dem Dach verbaute Einheit mit drei Kameras und drei Long Range Lidarsystemen enttarnt den AD. Insgesamt ist der Prototyp mit elf Kameras, sieben Lidar- und fünf Imaging-Radar-Sensoren ausgestattet. Im Innenraum wird der Kofferraum noch von einem Meer an Hardware ausgefüllt. Im Serienfahrzeug soll sämtliche Hardware dann im Fußraum des Beifahrersitzes verbaut sein.
Apex.AI hilft Moia beim Passagiermanagement
Damit sich die Fahrgäste auch ohne Fahrer an Bord sicher und wohl fühlen greift Moia auf das Betriebssystem von Apex.AI zurück, um sein eigens entwickeltes Passenger Management System im autonomen ID. Buzz AD zur Marktreife zu bringen. Die Ridepooling-Tochter des Volkswagen-Konzerns kann dadurch die Fahrgastinteraktion weitgehend digital automatisieren. Durch die neue Form der Innenraumsicherheitsüberwachung sollen demnach das Öffnen und Schließen der Türen ermöglicht sowie im Bedarfsfall Hilfsfunktionen bereitgestellt werden. „Die Akzeptanz eines autonomen Ridepoolings hängt maßgeblich davon ab, ob Menschen einem solchen Dienst in jeder Situation vertrauen“, betont Sascha Meyer, CEO von Moia. Ein leistungsstarkes Passenger Management System sei eine zentrale Voraussetzung für einen Mobilitätsdienst und die Middleware von Apex.AI eine ideale Grundlage.
Serienfahrzeug ID. Buzz soll VW einen Vorsprung verschaffen
VWN-Chef Intra macht keinen Hehl daraus, dass es Waymo und Cruise sind, die Volkswagen einholen will. Dass die Töchter von Google und GM die zweieinhalb Jahre bis zum Start des ID. Buzz AD nutzen könnten, um den Vorsprung weiter auszubauen – daran scheint der gebürtige Koblenzer nicht zu glauben. Im Gegenteil: Intra sieht viele entscheidende Vorteile für sein Unternehmen. „Wir haben ein Serienfahrzeug, mit dem man eine erste Skalierung hinkriegen kann.“ Darüber hinaus sieht der Manager einen USP von VW in dem Full-Stack-Ansatz. Der OEM habe eine eigene Buchungsplattform und ist nicht auf externe Flottenbetreiber angewiesen, sagt Intra einerseits. Andererseits ist auch ihm klar, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Moia sich global durchsetzen wird, gering ist. Bereits jetzt ist klar, dass Volkswagen die autonomen Fahrdienste in den USA künftig nicht selbst betreiben wird, sondern den Einsatz durch extern Partner plant.
Volkswagen will autonomes Fahren in Europa dominieren
Wie schnell VW in den USA am Ende ein ernstzunehmender Konkurrent wird, bleibt abzuwarten. Denn der ID. Buzz AD ist allein von seiner Größe eher für das Ridepooling ausgelegt. Uber und Lyft setzen dagegen primär auf das Ridehailing, welches von den europäischen Städten aber eher kritisch gesehen werden, meint Intra. In der Tat hilft vor allem Pooling dabei, das Ziel, weniger Autos in den Städten zu haben, zu erreichen. Der andere und letztlich viel wichtigere Faktor dürfte aber sein, dass die Konkurrenz in Europa noch nicht so groß ist. „Es hat sich noch kein Wettbewerber herauskristallisiert, der der Cruise oder der Waymo von Europa ist. Das wollen wir werden“, sagt Intra.