autonomer lkw auf einer autobahn

Autonome Lkw könnten in naher Zukunft häufiger auf deutschen Schnellstraßen anzutreffen sein. (Bild: MAN Truck & Bus)

Mit dem Projekt ATLAS-L4 hat ein zwölfköpfiges Konsortium bewiesen, dass hochautomatisierte Lkw auf deutschen Schnellstraßen nicht länger Zukunftsmusik sind. Der eigentliche Enabler hinter dem ersten fahrerlosen Hub-to-Hub-Truck ist keine neue Sensor-Generation, sondern eine durchgängig software-definierte Fahrzeugarchitektur. Sie erlaubt es, Funktionen iterativ over the air nachzuliefern, kritische Updates in Tagen statt in Modelljahren auszuspielen und das Fahrzeug in eine DevOps-ähnliche Pipeline einzubinden – ein Paradigmenwechsel für Nutzfahrzeug-OEMs, die bislang hardware-zentriert arbeiteten.

Vom Rolling Chassis zum Software-Defined Truck

Kern des Demonstrators ist ein dreischichtiges Software-Stack:

  1. Perception & Localization aggregiert Lidar-, Radar- und Kameradaten in einem einheitlichen Umweltmodell
  2. Planning & Control generiert Trajektorien auf Basis einer regelbasierten Entscheidungsschicht, die im Projekt als Microservice umgesetzt wurde
  3. Vehicle Interface Layer kommuniziert über einen service-orientierten Bordnetzbus mit redundanten Aktuatoren für Bremse, Lenkung und Energieversorgung

Alle Schichten laufen auf einer containerisierten Rechnerplattform mit deterministischer Echtzeit-Hypervisor-Partitionierung. Die konsequente Trennung von Safety- und Non-Safety-Domains erleichtert Zertifizierung nach ISO 26262 ASIL D, während OTA-Update-Korridore für nicht sicherheitsrelevante Services geöffnet bleiben.

Safety by Design mitgedacht

Echte Level-4-Fähigkeit verlangt mehr als klassische Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse (FMEA). ATLAS-L4 kombiniert Fail-Operational-Hardware (Steer-by-Brake, doppelte 48-V-Bordnetze) mit einer softwarebasierten Self-Awareness-Schicht, die permanent Plausibilitätsprüfungen durchführt. Erreicht der Confidence-Score einen Schwellwert, initiiert das System eine definierte Minimal-Risk-Manoeuvre – komplett ohne menschliche Hilfe.

Für die Freigabe setzte das Team auf ein szenarienbasiertes Validierungskonzept: 20.000 virtuelle Edge-Cases aus einer offenen Szenariodatenbank wurden in SIL/HIL-Umgebungen abgespielt, bevor 150 realweltliche Testfahrten den Digital Twin verifizierten. Damit überbrückt ATLAS-L4 die Lücke zwischen regulatorischer Genehmigung und seriennaher Zulassung.

Teleoperation: Mensch bleibt im Loop

Obwohl der Truck autonom fährt, sieht das deutsche Gesetz eine „Technische Aufsicht“ vor. Das im Projekt realisierte Control Center streamt Fahrzeug- und Sensordaten mit Sub-100-ms-Latenz. Ein Teleoperator kann eingreifen, falls das Fahrzeug in eine unklassifizierbare Situation gerät. Die Softwarearchitektur stellt hierfür ein sicheres Hands-Over-Protokoll bereit, das Authentifizierung, Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und ein belastbares Degradationskonzept einschließt.

Teleoperator im Dienst
Autonome Trucks benötigen in Deutschland weiterhin eine Technische Aufsicht, die bei ATLAS-L4 über ein Control Center und einen Teleoperator realisiert wird. (Bild: MAN Truck & Bus)

Cybersecurity als Grundvoraussetzung

Mit zunehmender Funktionsbreite steigt die Angriffsfläche. Das Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit AISEC übertrug erstmals ein holistisches Security-Management auf einen automatisierten Lkw: Threat Modeling auf Systemebene, Intrusion-Detection-Hooks im Ethernet-Backbone und ein Policy-based Update-Manager verankern Security in allen Lebenszyklusphasen. So wird das Fahrzeug von Anfang an als „Cyber-Physical System“ behandelt – ein Muss für jeden SDV-Ansatz.

Roadmap für Logistik 4.0

Mit dem Proof-of-Concept beginnt die eigentliche Arbeit erst. Aufbauend auf der prototypischen Software-Basis plant das Konsortium den Übergang zur Entwicklung einer skalierbaren Plattform. Dabei sollen kommerzialisierbare Funktionen wie Fleet-Balancing oder Predictive Maintenance über sogenannte Feature-Toggles vermarktet werden („Functions on Demand“).

Unter dem Motto datengetriebener Entwicklung Vorschub leisten zu können, fließen die im Testbetrieb gesammelten Petabytes an Fahrdaten in ein kontinuierliches Reinforcement Learning ein, um die Planungsalgorithmen weiter zu verbessern. Ergänzt wird dies durch standardisierte, offene Programmierschnittstellen (APIs), die eine nahtlose Anbindung an Transport-Management- und ERP-Systeme ermöglichen und damit den Lkw als intelligenten Knotenpunkt in der digitalisierten Lieferkette etablieren.

Langfristig ebnet das Projekt damit den Weg für eine Logistik, in der fahrerlose Lkw dem Fahrermangel, Staus und CO2-Emissionen gleichermaßen entgegenwirken. Für die Community rund um Software-Defined Vehicles liefert ATLAS-L4 damit nicht nur eine technologische Blaupause, sondern auch den regulatorischen Beweis, dass softwaredefinierte Nutzfahrzeuge in Deutschland technisch realisierbar und zulassungsfähig sind.

Was und wer steckt hinter ATLAS-L4?

Die Projektpartner von ATLAS-L4.
Die Projektpartner von ATLAS-L4. (Bild: MAN Truck & Bus)

ATLAS-L4 („Automatisierter Transport zwischen Logistikzentren auf Schnellstraßen im Level 4“) demonstriert erstmals einen vollautonomen Lkw, der ohne Fahrer im Hub-to-Hub-Verkehr auf deutschen Schnellstraßen operiert. Ziel des vom BMWK geförderten Projekts war es, eine serienfähige Level-4-Systemarchitektur samt redundanter Aktuatorik, Control Center für die technische Aufsicht und szenarienbasiertem Validierungskonzept zu entwickeln und damit das deutsche Gesetz zum autonomen Fahren praktisch umzusetzen.

Zum zwölfköpfigen Konsortium zählen MAN Truck & Bus, Knorr-Bremse, Leoni, Robert Bosch Automotive Steering, Fernride, BTC Embedded Systems, Fraunhofer AISEC, die Technische Universität München, die Technische Universität Braunschweig, TÜV Süd, die Autobahn GmbH des Bundes und das Würzburger Institut für Verkehrswissenschaften (WIVW).

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