Ein autonom fahrender ID.Buzz auf einer Brücke. Im Vordergrund die Logos von CDU/CSU und der SPD.

Aktuell testet Moia autonome Shuttles in Hamburg. (Bild: Moia/SPD/CDU/CSU)

Die künftige Bundesregierung aus CDU und SPD will Deutschland zum Leitmarkt für autonomes Fahren machen. Das Versprechen steht im Koalitionsvertrag – und findet in der Industrie Gehör. Doch was ist realistisch? Wie tragfähig ist der rechtliche Rahmen? Und wie glaubwürdig ist der politische Wille – zumal die Regierung noch gar nicht steht?

Autonomes Fahren als industriepolitische Vision

„Wir schaffen die Voraussetzungen dafür, dass autonomes Fahren in den Regelbetrieb kommt.“ – „Wir machen Deutschland zum Leitmarkt für autonomes Fahren.“ So steht es im Koalitionsvertrag der designierten schwarz-roten Bundesregierung. Was dort auf Seite acht und 28 formuliert ist, liest sich wie ein industriepolitisches Zukunftsversprechen – und es soll deutlich machen: Diesmal geht es nicht nur um Pilotprojekte, sondern um den Sprung in die Breite. Doch ganz so sicher, wie die Formulierungen klingen, ist die Lage politisch nicht. Die Regierungsbildung ist noch nicht abgeschlossen, die SPD-Mitglieder müssen dem Vertrag erst noch zustimmen. Und auch wenn CDU und SPD sich auf Kompromisse verständigt haben: Was davon wie schnell Realität wird, ist offen.

Euphorie in der Industrie – noch ohne Umsetzungsgarantie

Die Reaktionen der Industrie auf den Koalitionsvertrag fallen positiv, teils euphorisch aus. Moia-CEO Sascha Meyer sieht darin den „Grundstein für autonomes Fahren, das dem Gemeinwohl dient“, und fordert: „Groß denken statt kleinteilige Pilotprojekte.“ Für ihn steht fest: „Autonome Mobilität ‚Made in Germany‘“ könne ein Schlüssel für nachhaltige Städte und einen zukunftsfähigen Automobilstandort sein.

Christian Senger, bei Volkswagen Nutzfahrzeuge für das autonome Fahren zuständig, lobt die „vernetzte Strategie aus Wirtschafts- und Verkehrspolitik“ – und sieht in den angekündigten Modellregionen die Chance für den „Durchbruch vollautonomer Technologien auf deutschen Straßen“. Doch wie belastbar ist dieses politische Versprechen? Und wie konkret ist der Weg in den Regelbetrieb tatsächlich vorgezeichnet?

Alter Fahrplan für neue Regierung?

Anfang Dezember 2024 – kurz vor Ende der Amtszeit der Ampel-Koalition – hat das damalige Bundeskabinett unter Verkehrsminister Volker Wissing eine nationale Strategie für autonomes Fahren verabschiedet. Der ambitionierte Stufenplan sollte den Übergang vom Erprobungs- in den Regelbetrieb ab 2026 ermöglichen und Deutschland bis 2030 zum internationalen Leitmarkt machen. Der Fokus lag klar auf dem öffentlichen Nahverkehr und dem Gütertransport – also auf Anwendungen mit gesellschaftlichem Mehrwert und Skalierungspotenzial.

Ob und wie die nun designierte schwarz-rote Bundesregierung diesen Stufenplan übernimmt oder anpasst, ist aktuell offen. Zwar betont auch der neue Koalitionsvertrag das Ziel, den Regelbetrieb zu ermöglichen – konkrete Zeitpläne oder Maßnahmen fehlen bislang. Die Strategie aus dem Dezember gilt daher als politisches Erbe der alten Bundesregierung, das nun auf seine Umsetzung wartet.

Technik im Markt – aber mit vielen Limitierungen

Ein Blick in die Praxis zeigt: Erste Systeme nach Level 3 sind in Deutschland verfügbar – aber nur für wenige Fahrzeuge und in sehr engen Anwendungsfällen: Mercedes-Benz bietet ein zertifiziertes Level-3-System im Serienbetrieb an. Der Drive Pilot ist im EQS und in der S-Klasse verfügbar – allerdings nur bei Stau auf bestimmten Autobahnen und bis 60 km/h. Die Erweiterung auf 95 km/h soll noch im Frühjahr in Deutschland verfügbar sein. BMW hat 2024 mit dem Personal Pilot L3 im neuen 7er nachgezogen – mit vergleichbarem Funktionsumfang. Zuletzt kündigte Stellantis ebenfalls an, in Kürze ein eigenes System in Marktreife entwickelt zu haben. Details zum Rollout fehlen bislang jedoch.

Neben den privaten Fahrzeugen gibt es jedoch bereits eine Reihe von Pilotprojekten im öffentlichen Raum, insbesondere mit Level-4-Technologie: Moia betreibt in Hamburg gemeinsam mit Volkswagen und der Stadt einen autonomen Ridepooling-Dienst auf Testbasis. ZF erprobt autonome Shuttles unter anderem in Friedrichshafen, Aachen und weiteren Städten, meist in abgegrenzten Betriebsbereichen wie Messegeländen, Unicampus oder Werksarealen. Auch in Berlin, Darmstadt und dem Rhein-Main-Gebiet laufen weitere Projekte, oft gefördert durch Bund und Länder.

Der Rechtsrahmen für solche Systeme – so zeigen es sowohl die Zulassungen als auch die Pilotprojekte – ist grundsätzlich vorhanden. Doch die Bedingungen sind weiterhin strikt: Der Einsatz ist meist an feste Strecken, geringe Geschwindigkeiten und enge Betriebsbereiche gebunden. Von einem flächendeckenden Regelbetrieb im Alltag kann also bislang keine Rede sein.

Juristisch viel geregelt – aber nicht alles geklärt

„Die großen Autobahnen im Sinne eines rechtlichen Rahmens sind gebaut“, sagt Benjamin von Bodungen, Experte für Transport- und Logistikrecht bei Bird & Bird LLP, gegenüber automotiveIT. Gemeint sind:

  • Das Achte Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes mit Regelungen zum hoch- und vollautomatisierten Fahren (2017, §§ 1a – 1c StVG)
  • Das Gesetz zum autonomen Fahren (2021, §§1d – 1l StVG)
  • Die ergänzende Verordnung zur Genehmigung und zum Betrieb von Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion in festgelegten Betriebsbereichen (AFGBV) aus dem Jahr 2022.

Diese Rechtsgrundlagen ermöglichen bereits heute einen Level-4-Betrieb im öffentlichen Raum – allerdings nur mit technischen Aufsichten, in definierten Betriebsbereichen und auf Basis von Genehmigungen für Einzelfahrzeuge oder Kleinserien.

Kritisch sieht von Bodungen jedoch die unklare Verzahnung mit europäischem Recht: Die EU-Verordnung zum automatisierten Fahren (ADS-Verordnung) kam später als das deutsche Gesetz – widerspricht ihm aber teilweise. Beispiel: In Deutschland ist eine technische Aufsicht vorgeschrieben, auf EU-Ebene nicht zwingend. „Rein juristisch betrachtet könnte das zu Konflikten führen“, so von Bodungen. „In bestimmten Bereichen müsste der Gesetzgeber möglicherweise nachsteuern – sonst droht die Gefahr, dass nationale Regelungen europarechtswidrig sind.“

Modellregionen – Hoffnungsträger oder Feigenblatt?

Ein zentrales Element im Koalitionsvertrag ist die Ankündigung von „Modellregionen“ für autonomes Fahren. Damit will die Politik echte Anwendungsräume schaffen – jenseits von Testfeldern und Presseevents. Tatsächlich könnten solche Regionen helfen, urbane Use Cases wie autonome Shuttle-Dienste (etwa Moia in Hamburg) oder Lösungen für ländliche Räume (On-Demand-Angebote für Pendler) zu erproben und langfristig zu etablieren.

Doch auch hier bleibt Skepsis angebracht: Bereits in der letzten Legislaturperiode gab es Pilotprojekte, Förderbekanntmachungen und runde Tische – der breite Durchbruch blieb aus. Ob sich daran diesmal etwas ändert, hängt maßgeblich davon ab, ob das politische Versprechen mit langfristiger Finanzierung, regulatorischer Klarheit und pragmatischer Umsetzung flankiert wird.

Was fehlt: Tempo, Skalierung, politische Ernsthaftigkeit

Dass Deutschland beim autonomen Fahren grundsätzlich mithalten kann, zeigen die jüngsten Zulassungen der Automationsprodukte von Mercedes und BMW. Der Rechtsrahmen ist – mit Einschränkungen – vorhanden. Die Technologie entwickelt sich. Doch es fehlt an Tempo und Skalierung. Und: Die angekündigte politische Unterstützung muss sich erst noch beweisen. Von Bodungen bringt es auf den Punkt: „Wir müssen ins Doing kommen.“ Der Rechtsrahmen biete viele Möglichkeiten – aber es brauche mehr Mut, pragmatischer zu handeln, mehr Willen zur Standardisierung und mehr Vertrauen in die neue Technologie. „Wir neigen dazu, jedes Szenario bis ins letzte Detail abzusichern – während andere Länder einfach machen.“

Deutschland hat beim autonomen Fahren viel Potenzial – und ein ambitioniertes Versprechen im Koalitionsvertrag. Doch die eigentliche Arbeit beginnt jetzt: Erst wenn die SPD-Basis zustimmt, kann die Regierung loslegen. Erst wenn Modellregionen nicht nur geplant, sondern umgesetzt sind, wird das politische Ziel greifbar. Und erst wenn sich aus Prototypen skalierbare Geschäftsmodelle entwickeln, wird aus der Vision Realität. Bis dahin bleibt offen, ob Deutschland wirklich zum Leitmarkt für autonomes Fahren wird – oder ob es bei gut gemeinten Ankündigungen bleibt.

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