
Der CAIO besetzt eine Schlüsselposition, wenn es darum geht Daten und KI unternehmensweit zu denken. (Bild: Adobe Stock / Hijab)
Noch lange bevor die Corona-Pandemie der Autoindustrie einen ordentlichen Digitalisierungsschub verlieh, galten sie als die wichtigsten Brückenbauer ins digitale Zeitalter: die Chief Digital Officer. Prominentester Vertreter war seinerzeit Johann Jungwirth, der im Volkswagen-Konzern alles auf „digital“ ziehen sollte, jedoch schnell auf viele interne Widerstände stieß und nach nur knapp drei Jahren im Amt als Chef-Digitalisierer die Flucht zurück in die Tech-Welt antrat. Anderen CDOs der Branche erging es ähnlich. Heute spricht eigentlich kaum einer mehr von ihnen, die Aufgabe der digitalen Transformation liegt vermehrt (wieder) bei den CIOs oder – wenn wir über das Produkt Auto sprechen – bei den CTOs oder Softwarechefs.
Das hält die Unternehmen in der Branche nicht davon ab, weiter Verantwortlichkeiten in neugeschaffenen Positionen zu bündeln und neue „Chiefs“ aus der Taufe zu heben. Besonders im Rampenlicht stehen seit neuestem C-Level-Manager, die die Schlüsseltechnologie des digitalen Wandels unternehmensüberspannend forcieren sollen: die künstliche Intelligenz.
„Die Gestaltungsmöglichkeiten, die sich für Automobilunternehmen durch KI ergeben, sind derart weitreichend, dass sie eine zentrale Bündelung der Verantwortung auf C-Level erfordern“, betont Malte Broxtermann, Partner bei Berylls by Alix Partners. Der sogenannte Chief AI Officer (CAIO) könne angesichts der hohen Erwartungen des Top-Managements dabei helfen, die Gesamtorganisation in Sachen KI zu befähigen, Erfolge sichtbar zu machen und Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen, so der Experte.
„Für mich ist klar“, so Broxtermann, „eine KI-offene Kultur zu schaffen und eine zum Unternehmen passende KI-Strategie vorzugeben, ist ohne eine entsprechende C-Level-Rückendeckung kaum machbar. Die CAIO-Funktion sorgt dafür, dass es einen zentralen ‚Schrittmacher‘ gibt.“
Bei Mercedes kommen KI und Daten aus einer Hand
Und genau solche „KI-Pacemaker“ gibt es neuerdings bei immer mehr großen Automobilherstellern. Anfang März engagierte General Motors mit Barak Turovsky seinen ersten Chief AI Officer. Der 49-Jährige, der zuvor schon bei Cisco und Google das Thema künstliche Intelligenz verantwortete, soll beim Traditionshersteller mittels KI unternehmensübergreifend Produkte, Prozesse und die Customer Experience optimieren.
Nur kurze Zeit später wurde bekannt, dass nun auch Mercedes-Benz das Thema KI in einer neuen C-Level-Funktion bündeln will. Daniel Eitler, der seit 2021 als globaler CISO die Cybersecurity-Geschicke bei den Schwaben verantwortet, soll nun auch die Themen KI und Daten in leitender Funktion forcieren. Bei Mercedes nennt sich die neugeschaffene Organisation nun Global Cyber Securty, Data and AI und fasst damit die wichtigsten und zugleich herausforderndsten Digitalthemen in einer erfolgskritischen Funktion zusammen.
Ins Leadership-Team befördert wurde Eitler durch Mercedes-CIO Katrin Lehmann, die beim Premium-OEM aus dem Ländle im ersten Jahr in ihrer Position als neue IT-Chefin bereits einiges an Staub aufgewirbelt hat. KI und Daten gehören zum Fundament ihrer IT-Strategie und müssen künftig noch stärker „Hand in Hand“ gedacht werden. Damit liegt die junge IT-Entscheiderin voll auf Konzernlinie. Mercedes-Benz erwartet sich durch den Einsatz smarter und generativer Algorithmen enorme Effizienzgewinne von Einkauf, Produktion, (Software-)Entwicklung und im Kontakt mit dem Kunden.
„Wie dem CDO kommt nun auf den CAIO eine ähnlich große Transformationsaufgabe zu“, erklärt Berylls-Experte Malte Broxtermann. „Wenn man sich die vielfältigen Einsatzszenarien für KI vorstellt und bereit ist, ganze Wertschöpfungsprozesse neu zu denken, anstatt einzelne Schritte zu automatisieren, kann und wird dies für viele Automobilunternehmen ein großer Wandel sein, der begleitet und orchestriert werden will.“
Das plant Daniel Eitler bei Mercedes
Die Erwartungen an den CAIO könnten also kaum größer sein. Gegenüber automotiveIT erklärt Daniel Eitler, wie er dieser Mammutaufgabe gerecht werden will. „Meine Mission ist es, KI als Transformationsturbo bei Mercedes-Benz voll auszuschöpfen.“ Dabei fußt sein Vorgehen auf drei Kern-Prinzipien, die auf den ersten Blick gar nicht so technisch daherkommen.
Erstens will Eitler unter dem Motto „Führung durch Wissen“ das Management befähigen, die Potenziale von KI zu verstehen, „damit es diese Erkenntnisse weitergibt und eine Kultur der Innovation fördert.“ Zweitens sollen die Mitarbeiter bei Mercedes einen umfassenden Zugang zu KI-Technologien bekommen und motiviert werden, diese „kreativ und produktiv“ zu nutzen. Und drittens soll KI laut Eitler freilich einen faktischen Wertbeitrag leisten: „Wir setzen auf Anwendungsfälle, die den größten Mehrwert für unsere Kunden liefern und die Produktivität entlang der gesamten Wertschöpfungskette steigern. So maximieren wir den Nutzen unserer Investitionen.“
Sich selbst sieht Eitler dabei als eine Art Orchestrator, der alle Fäden in Sachen Daten und KI in der Hand hält und damit konzernweit die Wirksamkeit der Technologien erhöht: „Meine Aufgabe ist es, die Steuerzentrale optimal aufzustellen. Durch zentrale Tools, Methoden, Prozesse und Trainings, die die Umsetzung von KI einfach, schnell, sicher und im Rahmen unserer internen KI-Prinzipien ermöglicht“. Dieser „KI-Kodex“ fußt bei den Schwaben auf den vier Säulen verantwortungsvoller Einsatz, Erklärbarkeit, Schutz der Privatsphäre sowie Sicherheit und Zuverlässigkeit.
Stallgeruch oder Tekkie?
Um diese Mammutaufgabe in einem multinationalen Konzern zu bewältigen, wird es für Eitler von Vorteil sein, dass er Mercedes durch seine bisherige Aufgabe als Global CISO bereits über die Fachbereiche und nationalen Grenzen hinweg kennt und möglicherweise unternehmensspezifische Dynamiken antizipieren kann. „Wie in der Cybersecurity wirkt auch KI nicht nur punktuell, sondern über das ganze Unternehmen hinweg“, beschreibt es Eitler. Er setze daher auf ein starkes internes Netzwerk und mehr Tempo bei der Umsetzung.
Diesen „Stallgeruch“ hat sein Amtskollege Barak Turovsky bei GM indes nicht vorzuweisen. Vor seinem Engagement beim US-Autobauer war der ausgewiesene KI-Experte in der Tech- und Softwarewelt des Silicon Valleys unterwegs, unter anderem fast acht Jahre bei Google, wo er die KI-getriebene Produktentwicklung verantwortete. Dass es Externe bei den traditionell sehr hierarchisch aufgestellten Automobilbauern schwer haben, hat unter anderem die Causa „JJ bei VW“ gezeigt, der Neulings-Faktor könnte sich aber gerade bei einem Innovationsthema wie der künstlichen Intelligenz als Bonus erweisen.
Das sieht auch Malte Broxtermann so: „Gerade die Software-Industrie ist durch datengetriebene und auf Skalierung ausgelegte Arbeitsweisen sicherlich stärker geprägt als andere, analogere Branchen. Das ist für die breite Adoption von KI fraglos von Vorteil.“
CAIOs müssen sich schnell etablieren
Doch unabhängig vom bisherigen Karriereverlauf werden die frisch installierten CAIOs zweifelsohne auch auf interne Widerstände stoßen. Zwar werden die neuen Entscheider – wie man am Beispiel Mercedes sehr gut erkennen kann – zunächst einmal viel Rückendeckung vom Top-Management haben. Schließlich war es die Führung des Unternehmens, die das Potential von KI und einer Schlüsselfunktion wie dem CAIO erkannt hat. „Das inhaltliche Brett, das es zu bohren gilt, wird dadurch allerdings nicht dünner“, betont Berylls-Partner Broxtermann. „Denn mit der entsprechenden Rolle gehen auch typischerweise hohe Erwartungen an KI-Adoption, Skalierung und messbaren Geschäftsbeitrag einher. Und das alles parallel zu den bereits laufenden Verantwortlichkeiten der CIOs.“
Einer Umfrage von Gartner zufolge liegen nämlich die Verantwortlichkeiten für KI-Initiativen in den Unternehmen weltweit aktuell mit 25 Prozent eher beim CIO als bei einem expliziten KI-Leiter (16 Prozent). Dahinter folgen Fachbereichsleiter mit 12 Prozent und der CTO mit 10 Prozent der Befragten, die dies so sehen. Der CDO taucht in dieser Erhebung schon fast nicht mehr auf.
Damit also der CAIO über kurz oder lang nicht das gleiche Relevanz-Schicksal wie der Chief Digital Officer erleidet, gilt es für die neuen KI-Entscheider, möglichst schnell Silodenken abzubauen, Klarheit in den Strukturen und Prozesse zu schaffen und am Ende des Tages einen merklichen Wertbeitrag von KI und Daten im Schulterschluss mit Management und Belegschaft einzufahren. Kein leichtes Unterfangen.