Entwickler sitzt vor Bildschirmen

Wo sich bislang verschiedene Software-Tools aneinanderreihten, beschreibt jetzt eine "Software-DNA" den gesamten Entwicklungsprozess automatisiert. (Bild: EDAG)

Wenn Baupläne heute geändert werden, bringt das in der Regel eine ganze Kette von manuellen Aufgaben, den Austausch von Dokumenten unterschiedlicher Datenformate und Wartezeiten mit sich. Generative Design, auch Generative Engineering genannt, soll zum einen für das Schnittstellenmanagement zu nachgelagerten Systemen wie CAD oder Simulation sorgen. „Der Konstrukteur beschreibt nicht mehr im Einzelnen, wie ein Bauteil aussieht, sondern die Erzeugung der Geometrie wird dem Algorithmus überlassen“, erklärt Sebastian Flügel, Projektleiter in der Abteilung Innovationen beim Entwicklungsdienstleister Edag.

Eine solche Beschreibung nennt sich DNA. Wo sich bisher verschiedene Softwareanwendungen im Prozess aneinanderreihen, beschreibt jetzt eine Software den gesamten Entwicklungsprozess, der auf diese Weise automatisiert durchlaufen werden kann. Während also der Konstrukteur bisher eine Änderung an die Kollegen in der Simulation schicken und das Ergebnis abwarten musste, übernimmt im Generative Engineering die Software. Noch gibt es jedoch einige Herausforderungen: „Es kann nur das abgebildet und automatisiert werden, was mathematisch beschreibbar ist. Im Automotive-Umfeld ist das dort schwierig, wo es beispielsweise spezielle Fertigungseinschränkungen wie beim Fräsen gibt oder es um ästhetische Anforderungen für Sichtbauteile geht“, so Flügel.

Silodenken ist ein Problem

Generative Design bot sich bisher vor allem für additive Fertigungsverfahren an, wo die Geometrien weniger Herstellungsrestriktionen unterliegen. Doch Edag arbeitet derzeit zusammen mit dem 2018 gegründeten Startup Elise daran, dessen gleichnamige Software auch für andere Bauteile nutzbar zu machen. So wurde das Thema für Spritzguss-Kunststoffbauteile im Interieur gelöst, aber auch für geschmiedete Bauteile im Fahrwerk wie zum Beispiel Zugstreben, Fahrwerksteile und Statorwickler für Elektromotoren. Die Fortschritte, die hier selbst in wenigen Wochen gemacht werden konnten, seien ermutigend, meint Flügel.

Eine weitere Herausforderung sieht der Edag-Experte bei der Organisation. „Heute arbeiten verschiedene Abteilungen mit Spezialsoftware. Um das künftig in einer Software abzubilden, muss man die Abteilungssilos vielleicht sogar aufbrechen, sodass jeweils nur einige Mitarbeiter die DNA aufbauen“. Grundsätzlich müssen Konstrukteure und Entwickler für Generative Design wohl ihre Programmierskills ausbauen. Allerdings reiche es, wenn einige Experten die Workflows in einem Tool wie Elise aufsetzen können und den anderen zur Verfügung stellen, glaubt Flügel.

Generative-Engineering-Werkzeuge seien aber kein Ersatz für Anwendungen wie Catia oder OptiStruct, sondern eine Ergänzung. Bei Elise dient ein grafischer Programmier-Editor als Vehikel sowohl für vorgefertigte oder komplett eigenprogrammierte Bausteine. Voraussetzung ist logisches Denken, Programmiererfahrung hilft, ist aber nicht obligatorisch, meint Moritz Maier, Mitgründer und Geschäftsführer von Elise: „In Onboarding-Kursen lernen auch Menschen ohne Programmierkenntnisse innerhalb von zwei Monaten, die Software zu nutzen“. Corona-bedingt hat das Startup viel Energie in E-Learning und digitale Lernpfade gesteckt. Der Einstieg beim 3D-Druck bot sich an, sagt Maier: Hier treffe man auf einen recht jungen Markt, in dem sich noch keine Player fest etabliert haben.

Doch nach ersten erfolgreichen Projekten soll es auch um andere Fertigungsverfahren gehen, die jedoch neue Anpassungen erfordern. So gibt es im Druckguss andere Ansprüche an die Fertigungs- und Druckgusssimulation, zum Beispiel mit Autodesk Moldflow. Mit dem Software-Tool lassen sich design-, simulations-, kosten- oder fertigungsrelevante DNA-Blöcke aufbauen, für jeden Bereich ist das jeweilige Expertenwissen notwendig. Im DNA-Store, der ähnlich einem App-Store oder einer Library funktioniert, lassen sich vorgefertigte Templates herunterladen, beispielsweise die Domstrebe – zum Üben oder als Einstieg in eigene Projekte.

KI als Lernhilfe

Beim Begriff KI müsse man genau hinschauen: „Generative Design hat per se nichts mit künstlicher Intelligenz zu tun, sondern es werden hier klassische Algorithmen wie die Topologie-Optimierung genutzt“, stellt Maier klar. Trotzdem gibt es KI im Sinne von „eigenständigem Mitlernen“ in der Lösung. So macht die Software den Entwicklern Vorschläge, welches der nächste logische Baustein sein könnte und hilft dabei, Code-Fragmente zusammenzubauen. „Je mehr das System benutzt wird, desto stärker lernt es, wie der User jeweils vorgeht und wie er DNA-Blöcke aufbaut“, sagt Moritz Maier. „Die Frage, mit welchem Material und wie vielen Rippen darin sich die Zielgröße maximale Steifigkeit erreichen lässt, erfordert heute den Einsatz von mehreren Software-Tools“, nennt Maier ein Beispiel.

Mit Generative Engineering soll der Ingenieur mit dieser Frage sofort ein Feedback bekommen, das automatisiert aus den nachgelagerten Prozessschritten generiert wird. Es gibt eine Unzahl unterschiedlicher Software-Helfer für Konstrukteure, in denen sehr viel Knowhow steckt. Maier sieht seine Lösung als offene Architektur, die eine Datenautobahn zwischen den Tools bereitstellt, einschließlich Übersetzung der Datenformate. Die Aufgabe ist massiv und es gibt noch viel zu tun. So sind viele Probleme mit den Datenformaten zu lösen, das fängt schon bei den unterschiedlichen CAD-Kernen von Anbietern wie Siemens, PTC oder Dassault an. Man setzt dabei zum einen auf bestehende „Übersetzungs“-Tools, die bei Schwierigkeiten um selbstentwickelte Schnittstellen und APIs der Hersteller ergänzt werden.

„Ich sehe das als Befreiung der Ingenieure, die sich dann wieder mehr auf die Lösungsfindung und Kreativität konzentrieren können, anstatt sich zeitintensiv mit Tools befassen zu müssen“, meint Sebastian Flügel. Dass die Automatisierung in der Entwicklung zu weniger Bedarf an menschlichen Arbeitskräften führt, ist aus seiner Sicht unwahrscheinlich. Maier träumt davon, dass jedem Konstrukteur bald ein „J.A.R.V.I.S“ als allwissender Helfer zur Hand geht, der den eher nervigen Teil der Arbeit übernimmt – ähnlich wie die KI, die Tony Stark in Iron Man unterstützt.

Der Experte geht auch angesichts des Sprungs beispielsweise der GPT-3 Engine von OpenAI – die erste Hinweise auf eine allgemeine Intelligenz zeige – von einer exponentiellen Entwicklung bei KI aus. Das Helferlein könnte also schon in den nächsten fünf bis zehn Jahren Gestalt annehmen. Doch auch schon der aktuelle erste Schritt verändert bereits viel, ist sich Moritz Maier sicher. Durch die Integration von Ingenieur-Knowhow und Datenaustausch ist bei der Automatisierung bereits viel Potenzial zu heben.

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