Autonomes Fahren aus China

„God’s Eye“ von BYD im Praxistest

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Im BYD Dolphin Surf autonom auf Chinas Straßen unterwegs.
Selbst der Kleinwagen BYD Dolphin Surf ist in der Lage, teils autonom zu fahren.

BYD will mit seiner God’s-Eye-Technologie das autonome Fahren revolutionieren. Drei Leistungsstufen, KI-gestützte Szenarienerkennung und beeindruckende Fahrleistungen im Test zeigen: Das chinesische System überzeugt – doch ab wann auch in Europa?

God’s Eye. Das Auge Gottes. Dieser Name smybolisiert ein allsehendes, göttliches Auge, das alles beobachtet und für göttliche Weisheit, Schutz und Überwachung. Ziemlich starker Tobak für ein Technik, die das autonome Fahren ermöglichen soll. Die Frage ist nur, ob der chinesische Autopilot auch hält, was die Bezeichnung verspricht. Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass es den Gott made by BYD in drei Ausführungen gibt: Die Basisversion God's Eye C (DiPilot 100) nutzt zwölf Kameras. Drei davon oben hinter der Windschutzscheibe, fünf für die Panoramasicht und vier sorgen für eine möglichst genaue Rundumsicht. Ergänzt werden diese durch fünf Millimeterwellen-Radarsensoren und zwölf Ultraschall-Radarsensoren. Der DiPilot 100-Chip mit einer maximalen Rechenleistung von 100 TOPS (Billionen von Operationen pro Sekunde) verarbeitet diese Daten.

Die Prozessoren stammen von Nvidia (Orin N-Chip) sowie vom chinesischen Hersteller Horizon Robotics (Journey 5-Chip). Der Verzicht auf teure Lidar-Sensoren entspricht dem Tesla-Ansatz. Für BYD ergibt diese Staffelung Sinn, denn die Einsteiger-Version des ADAS-Pakets kommt in China bei Fahrzeugen wie dem BYD Seagull (in Deutschland: Dolphin Surf) und mit der Modellpflege auch beim Atto 3 zum Einsatz.

God’s Eye – BYDs Autopilot im Überblick

Drei Stufen für unterschiedliche Fahrzeugklassen:
BYDs System „God’s Eye“ ist in den Varianten C, B und A erhältlich. Die Basisversion (C) nutzt ausschließlich Kameras und Radar, während B und A zusätzlich auf Lidar-Sensoren und stärkere Chips (Nvidia Orin-X) setzen. Die Topversion erreicht 600 TOPS Rechenleistung.

Multimodale KI mit Xuanji-Architektur:
Das neuronale Rückgrat bildet die Xuanji AI-Plattform. Sie verarbeitet Bild-, Sprach- und Sensordaten in Millisekunden und erkennt über 300 Fahrszenarien – von Wetterlagen bis zur Parkplatzsuche. Updates erfolgen Over-the-Air (OTA), sowohl aus der Cloud als auch direkt im Fahrzeug.

Groß angelegte Entwicklung:
Rund 5.000 Ingenieure arbeiten an BYDs autonomen Systemen. Dank lockerer chinesischer Regulierung sammelt BYD täglich über 70 Millionen Trainingskilometer – ein massiver Datenvorteil gegenüber westlichen Herstellern.

Praxistest überzeugt:
Im BYD Seagull (in Deutschland: Dolphin Surf) funktioniert das System auf der Autobahn beeindruckend zuverlässig In der Stadt ist der Einsatz noch eingeschränkt.

Ausblick:
Ein Einsatz in Europa ist derzeit unklar. Die Technologie ist bereit, doch strengere Regularien könnten eine Einführung verzögern.

Die nächste Ausbaustufe des Autopiloten God's Eye B (DiPilot 300) hat bereits einen LiDAR-Sensor an Bord. Um die größere Datenmenge zu verarbeiten, setzt BYD bei diesem System auf den Nvidia-Orin-X-Chip. Mit dieser Rechenpower sind komplexere Fahrmanöver möglich, was vor allem in der Stadt hilfreich ist. Diese Version ist vor allem für die Modelle der BYD-Premiummarke Denza sowie für Fahrzeuge der BYD Dynasty- und Ocean-Modellreihe gedacht.

Luxus-Fahrzeuge wie der Elektro-Supersportwagen Yangwang U9 oder das schwimmfähige SUV U8 bekommen die Top-Version God’s Eye A. Das bedeutet drei LiDAR-Sensoren, den dualen Nvidia-Orin-X-Chip und somit eine Rechenleistung von 600 TOPs (DiPilot 600). Genug, um die Autos fit für das autonome Fahren zu machen. Um diese Ambitionen zu untermauern, zeigte BYD bei der God’s-Eye-Präsentation ein Video, wie der Yangwang U9 ohne Fahrer in forciertem Tempo eine Rennstrecke umrundet.

KI-Architektur mit 300 Szenarien

Die Xuanji-Architektur ist sowohl das Gehirn als auch das neuronale Netzwerk hinter BYDs autonomen Fahrzeugen. Diese Technologie begreift das Automobil als Ganzes. Wie der Name Xuanji AI Large Model verrät, nutzt diese Architektur künstliche Intelligenz. Und zwar multimodal. Das bedeutet nichts anderes, als dass Xuanji AI in der Lage ist, innerhalb weniger Millisekunden verschiedene Arten von Daten zu verarbeiten - darunter Sensor-, Bild- und Sprachdaten. Durch diese Rechenleistung deckt die Xuanji-Architektur über 300 Fahrzeugszenarien ab. Dazu gehören beispielsweise Straßen- und Wetterbedingungen, Verkehrssituationen oder das Parken. Da dieses KI-System sowohl im Fahrzeug als auch in der Cloud betrieben wird, sind die Daten gesichert und das System kann Over-the-Air-Updates (OTA) immer auf den neuesten Stand gebracht werden.

Auch beim autonomen Fahren treibt BYD die vertikale Integration voran und entwickelt die Algorithmen selbst. Rund 5.000 Ingenieure arbeiten an den ADAS-Systemen. Bei der Vorstellung der neuen ADAS-Generation wies BYD-CEO Wang Chuanfu stolz darauf hin, dass sein Unternehmen über die größte automobile Cloud-Datenbank Chinas verfügt. Im vergangenen Jahr sammelte der Automobilhersteller angeblich täglich 72 Millionen ADAS-Trainingskilometer. Dabei profitiert BYD wie die anderen Autobauer aus dem Reich der Mitte auch von den großzügigeren Vorschriften in China.

Der Praxistest auf Chinas Straßen

Wir machen in einem BYD Seagull, der in Deutschland als Dolphin Surf verkauft wird, die Probe aufs Exempel. Es ist ein regnerischer Tag in Xi’an. Nicht gerade die besten Voraussetzungen, um ein kamerabasiertes autonomes Fahrsystem zu testen. Auf die Frage, ob wir NOA (Navigate on Autopilot) bereits in der Stadt aktivieren dürfen, schütteln die BYD-Verantwortlichen den Kopf. „Zu viel Verkehr.“ Also warten wir, bis wir auf der Autobahn sind. Der Techniker zieht an der Wippe links an der Lenkradsäule und schon ist das System aktiv, wie man an den türkisfarbenen Dioden in den beiden Außenspiegelschalen erkennen kann. So wissen auch die anderen Verkehrsteilnehmer, dass hier ein Robo-Fahrzeug unterwegs ist. Wie bei Nios Autopilot NOP+ (Navigation on Pilot) fahren wir eine durch das Navigationssystem vorgegebene Strecke ab. Im Gegensatz zu Mercedes‘ Drive Pilot 95 benötigt der selbsttätig agierende BYD-Kleinwagen also kein Führungsfahrzeug.

BYD bezeichnet das System als autonomes Fahren des Level 2,5. Trotzdem absolviert der Seagull den Großteil der Strecke in Eigenregie. Bis zu zehn Minuten steuert der Autopilot das Fahrzeug. Dann erscheinen die roten Hände im Display. Was BYDs Basis-God’s-Eye abliefert, ist beeindruckend und braucht sich hinter Teslas FSD nicht zu verstecken. Ganz im Gegenteil. Selbst Autos, die vor der Nase des Seagull über drei Spuren springen, bringen das System nicht aus der Ruhe. Wenn nötig, geht es kurz vorm Gas. Auch eigene Spurwechsel gelingen ohne Zutun des Fahrers. Sobald ein langsameres Fahrzeug die Spur blockiert, wechselt der Autopilot geschmeidig auf die rechte oder linke Spur, zieht vorbei und schert wieder ein. Maximal mit 130 km/h. Besser kriegen es Menschen auch nicht hin. Bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h beherrscht das System auch eine Vollbremsung und bleibt vor dem Hindernis stehen, selbst wenn dieses erst in 50 Metern Entfernung erkennbar ist.

Sicheres Fahr- und Parkgefühl

Nicht einmal kommt ein Gefühl der Unsicherheit auf. Auch die Autobahnausfahrt meistert das autonome Vehikel problemlos. Rund zwei Kilometer vorher wechselt das Auto von der linken auf die mittlere Spur und befindet sich wenige hundert Meter vor der Abzweigung ganz rechts. Selbst in der Kurve der Ausfahrt kann sich der Fahrer noch entspannt zurücklehnen. God’s Eye souverän. Kein zuckendes Lenkrad oder unruhige Manöver. Erst als Richtung Mautstation geht, streicht das System die Segel.

Bleibt noch das Parken. Solange genug Platz zum Rangieren vorhanden ist, parkt der Seagull selbstständig auch in eine knifflige Parklücke rückwärts ein. Wenn nötig auch ferngesteuert durch das Smartphone. Nach einem drahtlosen Update kann der Seagull dieses Manöver auch mit der Front voraus durchführen. Die Funktionen für das autonome Fahren in der Stadt werden ebenfalls in Zukunft per OTA-Updates aufgespielt.

Ob, wann und in welcher Form das Auge Gottes nach Deutschland kommt, steht noch in den Sternen. Die Regularien machen BYD noch einen Strich durch die Rechnung.