Interdisziplinäre Kollaboration
Jenseits der Fachgrenzen
Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist kein Nice-to-have mehr, sondern die Grundlage dafür, dass die Autoindustrie in Zeiten von Digitalisierung, Elektrifizierung und globalem Wettbewerb überhaupt zukunftsfähig bleibt.
(Bild: pressmaster – Adobe Stock)
Automotive-Ingenieure wursteln nicht mehr allein im Kämmerlein, sondern arbeiten gemeinsam in interdisziplinären Teams. Doch daran scheitern viele. Wir sagen, warum und wie fachübergreifende Kollaboration gelingt.
Interdisziplinäre Teams sind der Schlüssel, um innovativ zu sein – und das muss die hiesige Autoindustrie, um nicht von der asiatischen Konkurrenz abgehängt zu werden. Mehr denn je kommt es auf eine kompetente Kollaboration zwischen unterschiedlichen Disziplinen an. Leicht gesagt, mitunter schwer umgesetzt, wie gescheiterte Projekte und verzögerte Produktanläufe von OEMs zeigen.
„Ingenieure können heute beispielsweise deutlich effizientere Motoren entwickeln und präziser auf ihren Einsatzkontext abstimmen als noch vor wenigen Jahrzehnten“, erklärt Silvio Suckow, der am Digital Science Center des Weizenbaum-Instituts über Interdisziplinarität und Wissenstransfer forscht, „Diese Spezialisierung erhöht einerseits die Komplexität innerhalb der Disziplin, eröffnet andererseits aber vielfältige Schnittstellen zu anderen Fachgebieten.“
Ein modernes Fahrzeug verfüge durch Digitalisierung und Elektrifizierung über deutlich mehr technische Schnittstellen als noch vor 20 Jahren: „Dies ist nicht nur technisch hochintegrativ und innovativ, sondern insgesamt herausfordernd“, betont Suckow. Denn die Spannweite sich daraus ergebender Fragen reiche von rechtlich-ethischen rund ums autonome Fahren über die Planung von Ladeinfrastruktur und städtischer Mobilität bis hin zu Fragen der Datensicherheit, Nutzerüberwachung sowie der markt- und kulturabhängigen Produktgestaltung. „Daran wird deutlich, dass man Technologien nicht isoliert entwickeln kann“, so Suckow, „Vielmehr fließen technische Integrationen, Erwartungen unterschiedlicher Nutzergruppen, regulatorische Rahmenbedingungen und globale Nachhaltigkeitsziele in Forschung und Entwicklung ein.“ Mit anderen Worten: Ohne interdisziplinäre Kollaboration keine Disruption.
So scheitern interdisziplinäre Teams nicht
Damit diese gelingt, sollten klassische Fehler in der Projektarbeit vermieden werden. „Interdisziplinäre technische Teams scheitern in der Startphase häufig an fehlender Offenheit und mangelnder Augenhöhe zwischen den beteiligten Disziplinen“, weiß Suckow, „Wenn der Eindruck entsteht, eine Fachrichtung diene lediglich als Zuarbeiter oder ‚Hilfsdisziplin‘, schwindet schnell die Motivation, die für das Gelingen interdisziplinärer Arbeit entscheidend ist.“ Innerhalb des eigenen Fachgebiets bewege man sich in einer vertrauten „Comfort-Zone“ und agiere sicher.
Wirklich interdisziplinäre Projekte hingegen stellten lang gepflegte Gewissheiten in Frage und führten in eine „Explore-Zone“, in der zwar Frustrationen, Missverständnisse und Unsicherheiten entstünden – aber auch Potenzial für radikal neue Erkenntnisse. Suckows Rat: „So viel Raum, wie ich mit Erklärungen fülle, sollte ich mindestens mit Zuhören und aktivem Verstehen verbringen.“
So gelingt technisches Storytelling in der Praxis:
- Zielgruppenspezifische Ansprache. Ein Entwickler braucht andere Informationen als ein Einkäufer oder Geschäftsführer.
- Use Cases, Fallstudien und Kundenreferenzen. Glaubwürdige Belege für den Nutzen verwenden.
- Visualisierte Prozesse, 3D-Renderings, Infografiken oder Erklärvideos. So können komplexe Zusammenhänge anschaulich vermittelt werden.
- Klare Sprache, die fachlich fundiert, aber verständlich bleibt, ohne Floskeln - aber mit klarem Narrativ.
In mittleren und späten Projektphasen führten oft pragmatische Zwänge zu Abbrüchen oder einer Rückkehr in disziplinäre Bahnen. Wenn externe Auftraggeber oder interne Stakeholder konkrete, disziplinär nachvollziehbare Ergebnisse einfordern, geraten die übergreifenden Ansätze unter Druck, so Suckow: „Erfolgreich sind Teams, die es schaffen, immer wieder fachlich verwertbare Einzelergebnisse zu liefern und gleichzeitig den interdisziplinären Austausch am Leben zu halten.“
Darüber hinaus scheitern viele interdisziplinäre Teams an unterschätzten kulturellen und kommunikativen Unterschieden – sowohl zwischen Fachkulturen als auch zwischen nationalen Kulturen. „Terminologien, Arbeitsrhythmen, Prioritätensetzungen und selbst implizite Werte wie Fehlerkultur oder Hierarchieempfinden können stark variieren“, erklärt Suckow, „Erfolgreiche Teams investieren deshalb früh in ein gemeinsames Vokabular, transparente Kommunikationsstrukturen und eine ‚Kultur der Neugier‘, die bewusst unterschiedliche Sichtweisen zulässt.“ So werde Diversität zur Ressource statt zum Reibungsverlust - dies müsse allerdings von der Führung explizit gewünscht und gefördert werden.
Damit rücken auf allen Ebenen ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten in den Fokus. „Dazu gehört die Kompetenz, komplexe technische Inhalte so zu übersetzen, dass sie auch für Nicht-Experten verständlich und anschlussfähig werden“, sagt Suckow. Visualisierungstechniken wie Skizzen, Systemdiagramme oder Prototypen helfen dabei, abstrakte Ideen greifbar zu machen: „Ebenso wichtig ist narratives Arbeiten: Durch Anwendungsbeispiele oder Szenarien lassen sich technische Konzepte in einen gemeinsamen Kontext einbetten und die Relevanz für unterschiedliche Disziplinen verdeutlichen.“
Kommunikationsexperte Markus Deppe, Chef der Agentur pantos, rät interdisziplinären Teams zu „Technischem Storytelling“ (siehe Kasten): „Ein zentrales Instrument, um komplexe Inhalte verständlich und emotional zugänglich zu machen.“ Gutes Storytelling zeige nicht nur, was ein Fahrzeug kann – sondern vor allem, warum es im Alltag des Kunden einen Unterschied macht. „Es übersetzt technische Features in konkrete Lösungen und macht den Nutzen erlebbar“, unterstreicht Deppe.
Diese Tools können fachübergreifende Kollaboration fördern
Diverse Tools können interdisziplinäre Zusammenarbeit erleichtern, indem sie Kommunikation festhalten, Wissen zusammenführen und kreative Prozesse durch Visualisierungen unterstützen, erklärt Suckow. Kollaborationsplattformen wie Obsidian, Notion, Miro oder MURAL ermöglichten es, Konzepte visuell darzustellen, gemeinsam in Echtzeit zu bearbeiten und komplexe Systeme für unterschiedliche Disziplinen transparent zu machen. Auch Hardware-Setups – von interaktiven Whiteboards über mobile VR/AR-Systeme bis hin zu Mixed-Reality-Labs – hätten das Potenzial, geteilte „Arbeitsräume“ zusammenzuführen und Ideen für jeden erfahrbar zu machen.
Zunehmend kämen zudem Large Language Models wie ChatGPT, Gemini oder Claude als interaktive Denkpartner in Frage. Sie könnten genutzt werden, so Suckow, um etwa technische Fachbegriffe bewusst in fachfremde Kontexte zu übertragen, Ideen zu testen oder alternative Erklärweisen zu generieren. „So können Teams gezielt mit Perspektivwechseln experimentieren, um Verbindungen zwischen disziplinären Wissenswelten zu schaffen.“ Und nicht zuletzt, um früh Missverständnisse zu verhindern.