
Christian Wirth arbeitet bei Continental Automotive. (Bild: Continental, Collage)
Mensch und Maschine. Ein Dreamteam? Für Christian Wirth schon. Denn als Senior Expert for Interactive Machine Learning bei Continental Automotive holt er das Optimum aus dieser Paarung raus. Diese Position gibt es erst seit wenigen Jahren und ist auf Senior Niveau erst kürzlich geschaffen worden. „Als Experte für interaktives, maschinelles Lernen beschäftige ich mich mit Projekten, bei denen der Mensch mit künstlicher Intelligenz kooperiert“, erklärt Wirth. „Das heißt, Projekte, bei denen die KI vom Anwender lernen soll oder der Anwender die Ergebnisse in seine Arbeit integrieren will und diese Interaktion explizit zu berücksichtigen ist.“
Dies steht im Kontrast zu heute populären KI-Anwendungen wie Chatbots oder Bildgeneratoren, bei denen die Eigenschaften des Menschen nicht besonders berücksichtigt werden. „Zum Beispiel geben diese Tools normalerweise keine Auskunft über ihre Zuverlässigkeit oder erlauben dem Anwender nicht zu wählen, wie er eine Problemstellung definieren will“, präzisiert der Experte. „Daher arbeite ich meistens nicht mit intransparenten KI-Verfahren wie Large Language Models, sondern bin auf ‚schwache KI‘ spezialisiert, welche häufig in der Automatisierung angewendet wird.“
Hauptaufgabe: Anforderungen verstehen
Wirth versucht, den Ingenieuren von Continental KI-Werkzeuge an die Hand zu geben, die sie bei ihren Aufgaben unterstützen, aber auf ihre Arbeitsweise Rücksicht nehmen. „Der Anwender soll also nicht seine Arbeitsweise an die KI anpassen, was häufig auch nicht möglich ist, sondern die KI integriert sich in existierende Arbeitsabläufe“, sagt Wirth.
Somit besteht seine Hauptaufgabe darin, bei neuen und existierenden Projekten zu prüfen, ob und wie die Anforderungen der Anwender berücksichtigt werden und wie diese technisch umzusetzen sind. Im Gegensatz zu klassischen Rollen, wie der eines Product Owners, geht es ihm nicht darum, Anforderungen aufzunehmen und zu priorisieren, sondern diese im Detail zu verstehen und technische Umsetzungen zu konzeptionieren. Das heißt auch, potenzielle Limitierungen einer Technik transparent zu machen und zu vermitteln.
Arbeit mit nicht-gängigen KI-Methoden
Diese Herangehensweise wird für die Automobilindustrie entlang der gesamten Wertschöpfungskette immer wichtiger. Wirth arbeitet meist an internen Entwicklungsprozessen von Continental. Häufig gehe es um Parametrisierungsaufgaben, bei denen ein Systemverhalten optimiert werden muss. Diese basieren im Regelfall auf Expertenwissen, das nicht explizit niedergeschrieben wurde. Zudem muss der Experte immer die Verantwortung übernehmen - und diese nicht an eine KI delegieren. Wirth ergänzt: „Somit können solche Aufgaben nur mit kooperativen KI-Ansätzen gelöst werden.“ Da die Entwicklung solcher Methoden aber nach wie vor eine Forschungsfrage ist, engagiert er sich auch in wissenschaftlichen Projekten rund um humanzentrierte künstliche Intelligenz.
Dass sich in der schönen neuen KI-Welt eben nicht alles per Prompt erledigen lässt, zeigt sich daran, dass sich Wirth viel mit Kollegen abstimmen muss und seine Ohren im Unternehmen offenhält: „Häufig nehme ich an Besprechungen von Projektideen teil, um diese in Bezug auf Machbarkeit und Anforderungen der menschlichen Interaktion zu analysieren.“ Hierfür sei ein tiefes Verständnis des Problems und der Arbeitsweise der potenziellen Anwender erforderlich.
„Des Weiteren betreue ich Umsetzungsprojekte, wobei ich Algorithmen und Ansätze analysiere und auswähle“, erzählt der 41-Jährige. Oft falle ihm auch die Implementation zu, da teilweise Spezialverfahren genutzt würden, die nicht Teil gängiger KI-Methoden seien. Hinzu kommt, dass Wirth als Vermittler zwischen Anwendern und KI-Entwicklern agiert, um menschliche Anforderungen in die Sprache von KI-Tools zu übersetzen oder KI-seitige Limitierungen mit den Anwendern abzustimmen.
Mache Projekte werden frühzeitig gestoppt
„Das Spannendste an der Arbeit sind die Einblicke, die man in ein breit gestreutes Themenfeld bekommt, da man meist die Anwendungsfälle bis ins Detail verstehen muss.“ Für ihn war es anfangs überraschend, dass durch kooperative Ansätze KI-Skepsis häufig überwunden werden kann: „Denn der Anwender sieht, dass kooperative KI explizit nur ein Werkzeug ist und kein Ersatz für seine Arbeit.“ Zudem zeige sich, dass KI-Methoden mit großer, medialer Wirkung (wie Chatbots und Bildgeneratoren) nur die Spitze des Eisbergs seien. „Viele Fortschritte durch KI passieren im Hintergrund“, betont Wirth.
Durch seine Arbeit habe er teilweise KI-Werkzeuge realisieren können, die vorher nicht für möglich gehalten wurden, da diese nicht mit konventionellen Ansätzen umgesetzt worden seien. Aber auch das: Wirth stoppte einige Projekte frühzeitig, da diese zwar technisch realisierbar wirkten, aber nur unter unrealistischen Anforderungen an Anwender oder den Entwicklungsprozess.
Kein Job für Neueinsteiger
Wie man in die KI-Mittler-Rolle hineinwächst, zeigt Wirths Werdegang exemplarisch: Er hat an der TU Darmstadt Informatik studiert und promoviert, war danach für drei Monate bei Hyundai Mobis, bevor er 2018 bei Continental einstieg. Klar ist: Als Experte für interaktives, maschinelles Lernen sollte man sich als Allrounder verstehen. „Das heißt, man sollte fundiertes Wissen über eine breite Palette an KI-Verfahren mitbringen, die auch abseits gängiger, neuronaler Netze liegen können“, sagt Wirth. Außerdem sollte man über Grundkenntnisse der Psychologie verfügen.
Nicht zuletzt sei die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen eine wichtige Qualifikation, da man sich nicht nur konstant weiterbilden, sondern auch jeden neuen Anwendungsfall erlernen müsse. „Durch die hohe Anzahl an Beratungstätigkeiten sollte man auch in der Lage sein, diverse Projekte gleichzeitig handhaben zu können“, ergänzt Wirth. All das könne man nur begrenzt an der Uni lernen, weshalb es wichtig sei, möglichst früh möglichst viele praktische Erfahrungen zu sammeln: „Das heißt auch: das ist kein Job für Neueinsteiger, sondern sollte als Teil des Karrierepfads gesehen werden.“
Eine Karriere mit, wie es aussieht, blendenden Zukunftsaussichten. Denn: „Konventionelle KI-Methoden sind häufig nicht einsetzbar, da diese Anforderungen an Validierbarkeit oder Datenverfügbarkeit teilweise nicht erfüllen“, begründet der Experte, Auch Akzeptanz und Interpretierbarkeit könnten limitierende Faktoren sein. Hierfür böten interaktive oder kooperative Ansätze eine Lösung. Und daher braucht es Menschen wie Wirth.