Wer sich einen BMW kauft, hat in der Regel Spaß am Selbstfahren. Dennoch arbeitet der bayerische OEM unermüdlich an der Verbesserung seiner automatisierten Fahrfunktionen. Rund 40 solcher Features hat der bayrische Hersteller bereits am Markt. Level 2-Funktionen, die nahezu überall verfügbar seien, werden weiter ausgebaut, so Nicolai Martin, Senior Vice President Fahrerlebnis BMW Group. In naher Zukunft sollen neue Funktionen auch in den nächsten Fahrzeuggenerationen Anwendung finden. „Eine Level 3-Funktion – das heißt: wenn die Verantwortung vom Menschen auf die Maschine übertragen wird – werden wir in unseren Fahrzeugen erst anbieten, wenn diese absolut sicher ist und einen Mehrwert bietet.“, erklärt Martin. Ende September 2023 war die Zeit offenbar reif. Martin bestätigte, dass BMW die Zulassung vom Kraftfahrt-Bundesamt für automatisiertes Fahren der Stufe 3 erhalten hat. Seit März 2024 ist das System in der 7er-Reihe verfügbar sein.
Was bedeutet SAE-Level 3?
Level 3 des autonomen Fahrens entspricht einer bedingten Automatisierung. Der Fahrer kann seine Aufmerksamkeit vom Straßenverkehr abwenden, muss allerdings übernahmebereit bleiben. So können mit dem Stauassistenten auf der Autobahn etwa das Smartphone bedient oder Videos über das Infotainment angesehen werden. Schlafen ist hingegen nicht erlaubt, da eine geforderte Übernahme innerhalb von Sekunden erfolgen muss.
Praktisch bedeutet das für den Fahrer, dass er nach Aktivierung des sogenannten Personal Pilot L3 bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h die Hände dauerhaft vom Lenkrad nehmen darf. Entscheidender Unterschied zwischen Level 2 und Level 3: Bei Level 2, dem teilautomatisierten Fahren, bleibt der Fahrer immer in der Verantwortung. Wird der BMW Autobahnassistent genutzt, müssen die Fahrer das Verkehrsgeschehen verfolgen und stets in der Lage sein, die Fahraufgabe wieder zu übernehmen. Dies wird mithilfe einer intelligenten Aufmerksamkeitskamera kontinuierlich überwacht. Der Personal Pilot L3 im BMW 7er bildet für das hochautomatisierte Fahren auf Level 3 die Voraussetzung dafür, sich auf Nebentätigkeiten abseits des Verkehrsgeschehens zu konzentrieren. Ist der Personal Pilot aktiviert, kann man zukünftig während der Fahrt beispielsweise Mails bearbeiten oder sich in Telefonate vertiefen. Auch digitalen Services Video-Streaming Angebote können während der Fahrt genutzt werden.
Wie funktioniert der Personal Pilot von BMW?
Mit entsprechenden Symbolen auf dem Display hinter dem Lenkrad wird signalisiert, ob der Personal Pilot verfügbar ist. Aktiviert oder deaktiviert wird über eine Taste am Lenkrad. Während die Funktion genutzt wird, muss der Fahrer dennoch bereit sein, die Fahraufgabe jederzeit wieder zu übernehmen, sobald die Verkehrssituation dies erfordert oder der für die Verwendung des Personal Pilot geeignete Streckenabschnitt endet. Optische und akustische Signale bedeuten dem Fahrer, dass er wieder in das Verkehrsgeschehen eingreifen muss. Sollte eine entsprechende Reaktion asubleiben, wird das Fahrzeug kontrolliert zum Stillstand gebracht.
Welche Technik steckt im Personal Pilot von BMW?
Eine Live-HD-Karte mit exakten Streckenverläufen wird permanent mit einer hochgenauen GPS-Ortung abgeglichen und gewährleistet in Kombination mit einer 360 Grad-Sensorik eine präzise Positionsbestimmung und Umfeldüberwachung. Die Live-HD-Karte sei dabei stets auf dem neuesten Stand. Das werde mit regelmäßigen Updates sichergestellt. Die technologischen Voraussetzungen dafür werden im 7er mit einem neuen Software-Stack, einer leistungsstarken Rechenplattform und einer Anbindung an die BMW Cloud über den Mobilfunkstandard 5G erfüllt. Fahrzeuge, die mit dem BMW Personal Pilot L3 ausgestattet sind, verfügen außerdem zusätzlich zu den Kameras, über Ultraschall- und Radarsensoren der jüngsten Generation und über einen hochempfindlichen 3D-Lidarsensor zur Überwachung des Umfelds und des Verkehrsgeschehens. Dank dieses Technologiepakets soll der BMW Personal Pilot L3 auch bei Dunkelheit sehr zuverlässig funktionieren.
BMWs Autobahnassistent in weiteren Modellen verfügbar
Seit Juni 2023 darf BMW als erster Hersteller in Deutschland ein teilautonomes System für Geschwindigkeiten von bis zu 130 km/h anbieten. Das vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) freigegebene System ermöglicht es Nutzern der neuen 5er Limousine, künftig während der Fahrt auf bestimmten Strecken die Hände vom Lenkrad zu nehmen. Diese Fahrfunktion ist seit Frühjahr 2024 auch für die Luxuslimousinen der BMW 7er Reihe, für den BMW iX und den BMW XM sowie für den X5, den X6 und den BMW X7 verfügbar. Der Autobahnassistent, der neben der Geschwindigkeits- und Abstandsregelung beim Fahren mit bis zu 130 km/h auch die Lenkaufgaben übernimmt, ist bislang bereits auf den Automobilmärkten in den USA und in Kanada verfügbar. Eine Weltneuheit des neuen 5ers ist BMW zufolge jedoch eine Bestätigung autonomer Spurwechsel via Blickkontakt mit dem Fahrzeug. Statt einen Spurwechsel mit dem Blinker zu bestätigen reicht es mit dem neuen System, wenn der Fahrer einen Blick in den Außenspiegel wirft.
Eigenentwicklung genießt hohen Stellenwert bei BMW
Im Bereich des hochautomatisierten Fahrens konzentrieren sich bei BMW drei verschiedene Software-Teams auf die Weiterentwicklung in Richtung der Level 4 und 5. Zuständig sind die Mannschaften jeweils für Umfelderfassung/Sensorik, Planung sowie die Fahrfunktionen mit Anzeigen, Degradation und Gesamtausprägung. In vierwöchigen Sprints werden dabei neue Releases entwickelt. „Alle acht Wochen gehen diese dann ans Unternehmen. Dementsprechend achten wir hierbei stets auf hohe Qualität, da die Software im Anschluss freigegeben und im Fahrbetrieb getestet wird“, sagt Tobias Rothmundt, Area Product Owner HighwayPilot und UrbanPilot bei BMW.
Bei Applikationen mit Kundenfokus in den Bereichen FAS, neue Mobilität und autonomes Fahren liegt der Fokus des Herstellers klar auf einer hohen Kerneigenleistung. So könne man sicherstellen, dass die Programme weiterentwickelt und an aktuelle Bedürfnisse angepasst werden, heißt es beim bayerischen Autobauer. „Wir sehen dieses Knowhow als marktdifferenzierendes Instrument. Softwarekompetenz ist die Kernkompetenz, die jeder zukunftsfähige OEM haben sollte“, betont Simon Fürst, Principal Expert Autonomous Driving Technologies bei BMW. Anders verhalte es sich mit der Plattformsoftware, wo bereits etablierte Lösungen wie beispielsweise Linux am Markt sind.
BMW setzt künftig auf Qualcomm und Arriver
An weiterführenden Technologien möchte BMW in Zukunft hingegen mit Qualcomm und Arriver Software arbeiten. "Die anstehende Zusammenarbeit mit Qualcomm und Arriver für die Entwicklung einer skalierbaren Softwareplattform für automatisierte Fahrfunktionen betrifft die nächste Generation unseres Technologiebaukastens mit Marktreife ab Ende 2025 und anschließender Ausrollung in neue Fahrzeugprojekte. Im Rahmen dieser neuen Kooperation sind und bleiben wir offen für weitere Partner", führt Martin aus.
Bereits im Novemer 2021 vereinbarten BMW, Qualcomm und Arriver eine Kooperation beim autonomen Fahren. Im März 2022 folgte eine Ausweitung der Zusammenarbeit. Im Fokus stehen Anwendungsfälle auf den SAE-Leveln 2 und 3. Bereits 2021 gaben die Unternehmen bekannt, dass das BMW-System für automatisiertes Fahren der nächsten Generation auf dem Snapdragon Ride Vision System-on-Chip (SoC) aufbauen werde. Dies beinhalte unter anderem den Einsatz von Arriver Computer Vision und den Compute-SoC-Controller der Snapdragon Ride Platform.
In Zukunft möchten BMW, Qualcomm und Arriver eine skalierbare Plattform für autonome Fahrfunktionen schaffen, bei der die Entwicklung einer Referenz- sowie Sicherheitsarchitektur und gemeinsamer Sensorspezifikationen als Grundlage dienen. Unter anderem wird hierfür eine gemeinsame Toolkette definiert und der Betrieb eines Data Centers für die Speicherung und Aufbereitung von Daten sowie die Simulation eingesetzt. Insgesamt sollen laut BMW rund 1.400 Experten weltweit das Thema bearbeiten, für weitere Partner sei die Kooperation ausdrücklich offen.
Daten bilden die Grundlage der Entwicklung
Die Grundlage zum Anlernen der autonomen Systeme bildet die D³-Plattform (Data-Driven Development), die BMW bereits 2019 vorgestellt hat. Der Ansatz fußt auf der Annahme, dass die Komplexität und Vielzahl von Verkehrssituationen letztlich über große Datenmengen abbildbar und beherrschbar wird. Die genutzten Informationen bestehen aus den Sensordaten realer Testfahrten, die regelmäßig qualifiziert und aufgewertet werden, sowie Millionen an simulierten Testkilometern.
Für die Verbindung zwischen der gemeinsam mit DXC Technologies realisierten D³-Plattform zu den Hardware in the Loop (HiL)-Stationen am BMW Group Autonomous Driving Campus stehen Glasfaserleitungen zur Verfügung. Räumlich sind Campus und Plattform nur wenige Kilometer in Unterschleißheim bei München getrennt, um die Übertragung der Datenmengen zu garantieren. Als Partner sind Zulieferer wie Aptiv oder Continental sowie Technologie-Partner wie Here, Intel oder Mobileye an dem Projekt beteiligt.
Kooperationen ergänzen Kompetenzen von BMW
Nicht nur in der Datenverarbeitung zeigt sich BMW trotz des Anspruchs auf hohe Kerneigenleistungen offen für Kooperationen in strategisch sinnvollen Feldern. Nach der gescheiterten Zusammenarbeit mit Mercedes-Benz holt der Autobauer dabei inzwischen eher Tech-Player als andere Autobauer ins Boot: Seit 2021 arbeitet der Münchener OEM etwa beim Thema eingebetteter Software mit Blackberry zusammen.
Die Partner gaben kurz vor Jahresende eine mehrjährige Vereinbarung über die gemeinsame Entwicklung von Technologien für Fahrzeuge der nächsten Generation bekannt. Blackberry werde im Rahmen dessen seine QNX-Technologie, ein Echtzeitbetriebssystem, sowie ein Team von Ingenieuren zur Verfügung stellen. Dies erfolge, um die Entwicklung neuer Fahrautomatisierungsfunktionen nach SAE-Level 2 und 2+ zu unterstützen. Die neuen Funktionen sollen in mehreren Modellen verschiedener Marken zum Einsatz kommen.
Bereits seit 2016 kooperiert BMW zudem mit der Intel-Tochter Mobileye, später traten Delphi, Continental, Magna, FCA, Aptiv und Baidu sowie KPIT und TTTech der Plattform bei. Die Zusammenarbeit wird allerdings im Jahr 2025 mit Ende der aktuellen Generation des genutzten Technologiebaukastens auslaufen. „Unsere Kooperation mit Intel/Mobileye bleibt vorhanden und bezieht sich auf den aktuellen Technologiebaukasten, der erstmals im neuen BMW iX zum Einsatz kam und den wir in den kommenden Jahren parallel in weiteren Serien-Fahrzeugen verwenden werden", erklärt Nicolai Martin.