Ein Google-Schriftzug an einer Wand.

Der Aftermarket ist längst nicht in der digitalen Welt angekommen. Google könnte dies ändern. (Bild: Google)

Vor gut 17 Jahren brachte Google seinen Kartendienst an den Start. Mittlerweile ist er zu einem umfassenden Ökosystem angewachsen, das öffentliche, gewerbliche und private Daten verschmelzen lässt. Der US-Konzern beschränkt sich längst nicht mehr auf Kontaktmöglichkeiten, Öffnungszeiten oder Rezensionen: Google Maps wird zum beinahe obligatorischen Bindeglied für alle Unternehmen, die es bevorzugen, Teil einer durchgängigen User Experience anstatt Herr der eigenen Insellösung zu sein.

All dies sei aus der simplen Idee heraus entstanden, etwa die Suchergebnisse nach Restaurants geographisch darzustellen, erklärt Gerhard Keller, Head of Automotive Sales Germany bei Google Cloud, auf der Automechanika 2022 in Frankfurt. Dass der Tech-Player sich seit damals bis zur integrierten Tischreservierung vorgearbeitet hat, ist nur eines von vielen Indizien, wie umfassend er auch den Bereich Automotive und Mobilität im Blick hat. Informationen zur Verkehrslage oder Ladesäulen, die Integration von Mobilitätsdiensten sowie Infotainment-Kooperationen mit Autoherstellern könnten erst der Anfang sein. Denn Google denkt nun ebenfalls den Aftermarket vor!

Potenzial birgt das Teilegeschäft allemal: Bis 2030 werden die Aftermarket-Sales in Europa konstant auf 41,6 Milliarden Euro anwachsen, während sich der Anteil des E-Commerce bis dahin mindestens verdoppelt, so eine Auswertung der Boston Consulting Group (BCG). Um die Profitabilität dieses stabilen Marktes abzusichern und den Kundenzugang zu erhalten, überdenken viele Player ihre tradierte Mentalität, erklärt Albert Waas, Managing Director und Partner bei BCG. Grund dafür sei eine „Rekonfiguration“ der bislang sehr linear geprägten Wertschöpfungskette. Supplier würden den Großhändler überspringen und deutlich direkter auf Werkstätten zugehen. Remote Diagnostics schaffe neue Kontaktpunkte zwischen OEMs und Endkunden, so der Analyst.

Google plädiert für gemeinsames Ökosystem

Während Fahrerassistenzsysteme und elektrifizierte Antriebe für eine Verschiebung zugunsten markengebundener Werkstätten sorgen könnten, wird im Digitalzeitalter die größte Schwäche des Aftermarkets offensichtlich – seine Fragmentierung. Autobauer, Erstausrüster, Teile-Onlineshops, große Marktplätze wie Ebay oder Amazon, Reifenhändler, Werkstätten und Routing-Plattformen: Sie alle wollen laut BCG mitverdienen. Genau hier will Google ins Spiel kommen und seinem Partnernetzwerk eine einheitliche Toolbox an die Hand geben. „Es ist nicht unser Interesse, mit Aftermarket-Lösungen als solche in Wettbewerb zu treten“, verdeutlicht Gerhard Keller. Er nennt die Bestrebung viel eher in einem Atemzug mit Catena-X. Daten effizienter nutzen, Geschäftsprozesse digital verknüpfen und dennoch die Datenhoheit bewahren, lautet das Credo.

Was Julius Ollesch, Enterprise Account Manager bei Google, im Anschluss an Kellers Rede auf der Messe vorstellt, gleicht zunächst einer optimierten Routing-Plattform. Vor dem Hintergrund des Google-Universums wird jedoch schnell der bahnbrechende Ansatz offensichtlich. „Wie schaffe ich ein wirklich digitales, durchgängiges Kundenerlebnis?“, fragt Ollesch im Rahmen seiner Präsentation. Die Frage ist mit Blick auf die Karten- oder Shopping-Features des Konzerns selbsterklärend. Von der ersten Fehlermeldung im Fahrzeug, über das Finden einer Werkstatt, bis hin zur Nachsorge soll künftig alles für die Partner abgedeckt werden. „Wir haben in Deutschland ungefähr 300 Millionen Suchanfragen pro Jahr nach Aftermarket-Services“, verdeutlicht Ollesch das Potenzial und denkt dabei über die reine Platzierung der Produkte und Dienstleistungen in den Suchanfragen hinaus.

Chatbots werden Anlaufstelle bei der Werkstattsuche

Am Beispiel einer App zeigt der Google-Experte, wie vielfältig das Ökosystem künftig gefüttert werden kann: Der Kunde melde sein Fahrzeug zunächst an und habe dadurch das nächste Inspektionsdatum, das Service-Checkbuch, Garantien oder Versicherungspolicen auf einen Blick. In etwa also, was Autohersteller in abgespeckter Variante bereits mit ihren eigenen Applikationen versuchen. Wartungs- oder Reparaturerfordernisse können bei vernetzten Fahrzeugen somit schon heute in digitaler Weise weitergegeben werden. Doch bei einer Meldung auf dem Smartphone des Kunden ist meist Schluss. Datendurchgängigkeit sieht anders aus.

Google will diese Informationen in das Ökosystem einfließen lassen und dem Fahrer zusätzlich eine digitale und kommunikative Fehleranalyse bieten. „Das Suchen nach einer Lösung findet heutzutage ohnehin sehr oft digital statt“, erläutert der Google-Experte. Hierbei zahle sich die Expertise im Bereich Text- und Spracherkennung aus. Demnach sollen Chatbots künftig bei der Diagnose des Problems helfen und im Anschluss eine passende Werkstatt empfehlen. Eine lästige Terminvereinbarung per Telefonanruf entfällt – selbstverständlich. Doch Google geht noch einen Schritt weiter als aktuelle Routing-Plattformen bei ihrer Vermittlung einer Werkstatt.

Alle Beteiligten profitieren von Transparenz

Dem Workshop werden anschließend nicht nur die Fahrzeuginformationen und Ergebnisse des Chats übermittelt, auch die tiefergehende Diagnose soll vereinfacht werden. „Wir glauben, dass künstliche Intelligenz der neue Treibstoff für den Lifecycle Value ist“, fasst Julius Ollesch zusammen. Am deutlichsten wird dies bei der Diagnose. Denn je mehr Daten gesammelt werden, desto einfacher fällt eine marken- und modellspezifische Statistik über mögliche Fehlerursachen und Lösungen. Dank eines integrierten Teilekatalogs kann auf Grundlage dessen deutlich transparenter und passgenauer geordert werden – über Wholesaler oder direkt beim Supplier.

Administrative Tätigkeiten wie Teilebeschaffung, Buchführung oder Kundenmanagement werden im Zuge dessen rundum digitalisiert. Im besten Fall wandert alles in die Cloud. Manuelle Prozesse bei Gewährleistungsfragen und Reklamationen gehören dann der Vergangenheit an, so die Vision von Google. „Diejenigen, die dieses durchgängige Engagement schaffen, die gemeinsam mit Ökosystempartnern eine Plattform für den User bauen, werden nachhaltig erfolgreich sein“, prognostiziert Ollesch. Und damit spricht er mehr an als nur die Werkstätten. Letztlich sollten nämlich alle Akteure um die digitalen Touchpoints des Aftermarkets ringen – sei es nur für das Lieferketten-Management. Wer datenbasiert die Teilenachfrage analysiert, kann diese schließlich nicht nur verkaufen, sondern seine Logistikströme wesentlich effizienter lenken.

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