Bild von Augustin Friedel, MHP. Komplexe Architekturen, fehlende Standards, Fachkräftemangel – die flächendeckende Umsetzung von SDVs bleibt für viele OEMs eine Herausforderung. Im Zuge der Automotive Software Strategies Conference haben wir Augustin Friedel von MHP dazu interviewt.

Augustin Friedel studierte unter anderem Maschinenbau und arbeitete für Uber. (Bild: Marco Lombardi)

Die Automobilindustrie fokussiert sich immer stärker auf SDVs. Einer, der sich mit den Entwicklungen und Herausforderungen in der Branche bestens auskennt, ist Augustin Friedel, Senior Manager bei MHP. Gemeinsam mit seinem Team berät Friedel Kunden aus unterschiedlichen Branchen – darunter Fahrzeughersteller, Zulieferer und Startups. Er studierte Maschinenbau und Management an der TU München, anschließend war er für Unternehmen wie Uber, Blacklane und Rocket Internet tätig. Vor seinem Wechsel zu MHP hatte er verschiedene strategische Positionen im Volkswagen-Konzern inne.

Am Rande der 6. Automotive Software Strategies Conference in München trafen wir Friedel zum Interview:

Herr Friedel, was sind derzeit die größten Hindernisse bei der flächendeckenden Einführung von SDVs?

Die Komplexität bestehender E/E-Architekturen und die Herausforderung, Altsysteme zu integrieren, gehören definitiv zu den Hauptfaktoren, die die Umsetzung von SDV-Vorhaben branchenweit verlangsamen. Hinzu kommt ein gravierender Fachkräftemangel im Bereich Software und künstliche Intelligenz, der die Entwicklung zusätzlich bremst. Regulatorische Anforderungen – insbesondere in Bezug auf Sicherheit und Cybersecurity – schaffen zusätzliche Hürden für die Markteinführung von SDV-Lösungen. Ein weiterer kritischer Punkt ist der Mangel an standardisierten Plattformen und skalierbarer Over-the-Air-(OTA)-Infrastruktur, die für einen effizienten Rollout und kontinuierliche Updates essenziell wären. Viele Unternehmen unterschätzen außerdem die notwendige interne Transformation hin zu einer softwarezentrierten Denkweise. Erschwerend kommt hinzu, dass Kooperationsmodelle zwischen OEMs und Tier-1-Zulieferern oft unzureichend sind oder vollends fehlen. Zudem konzentriert sich die Branche aktuell noch zu stark auf einzelne Leuchtturmprojekte, anstatt SDV-Technologien in der Breite über komplette Modellportfolios hinweg hochzuskalieren.

Wie bewerten Sie den Reifegrad von SDV-Initiativen bei OEMs im Vergleich zu technologiegetriebenen Neueinsteigern?

Zwischen beiden Ansätzen besteht ein klarer Kontrast. Technologieorientierte Neueinsteiger wie Tesla oder Nio sind bei Softwareinnovationen führend. Sie verfügen über vollständig integrierte Inhouse-Software-Stacks, äußerst effektive OTA-Funktionalitäten und arbeiten mit schnellen, datengetriebenen Entwicklungszyklen. Ihr fokussierter Einsatz von KI und autonomen Systemen ermöglicht es ihnen, schneller zu iterieren als viele traditionelle OEMs. Allerdings stoßen auch Tech-Unternehmen auf Herausforderungen – insbesondere beim tiefgreifenden Fahrzeug-Knowhow.

Welche Schwierigkeiten resultieren daraus?

Das führt mitunter zu Schwierigkeiten in der Umsetzung, wobei sie jedoch schnell lernen. Die größere Frage ist die langfristige Tragfähigkeit ihrer Geschäftsmodelle. Viele agieren weiterhin nicht profitabel und sind stark abhängig von Investorengeldern, ohne positiven Cashflow zu erwirtschaften. OEMs hingegen setzen stärker auf Partnerschaften – etwa mit Microsoft, AWS oder Horizon Robotics. Das kann zwar langsamer wirken, ermöglicht ihnen aber den Zugang zu hochspezialisierter Expertise. OEMs sind zudem unübertroffen, wenn es um Skalierung geht.

Was macht OEMs dahingehend so stark?

Jahrzehntelange Erfahrung in globaler Produktion, Qualitätssicherung und Industrialisierung macht sie zu einem starken Player, und sie holen rasant auf. Einige haben bereits serienreife SDV-Fahrzeuge in der Pipeline, mit einem erwarteten Hochlauf in den kommenden sechs bis achtzehn Monaten. Außerdem fokussieren sie sich auf die wichtigsten Marktsegmente, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Kurzum: Während Tech-Unternehmen beim Softwaretempo den Takt vorgeben, holen OEMs definitiv auf. Sie verfügen über das industrielle Rückgrat und die Marktreichweite, um softwaredefinierte Fahrzeuge in großem Maßstab umzusetzen.

Wie unterscheiden sich SDV-Projekte in Deutschland von denen in anderen Ländern?

Deutsche SDV-Projekte haben definitiv eine eigene Prägung, auch wenn sie sich nicht grundlegend von anderen europäischen Initiativen oder klassischen US-amerikanischen OEMs unterscheiden. Ein zentrales Merkmal ist die starke Fokussierung auf Qualität und langfristige Zuverlässigkeit – das ist ihnen wichtiger als reine Geschwindigkeit. Gerade in Bereichen wie Sicherheit und Cybersecurity gelten besonders hohe Standards. Ein weiterer Unterschied liegt in der engen Zusammenarbeit deutscher OEMs mit Tier-1-Zulieferern. Man sieht auch mehr und mehr ein Open-Source-Mindset, insbesondere im Hinblick auf zukünftige Fahrzeugplattformen. Das fördert Kollaboration und Transparenz im gesamten Ökosystem. Derzeit konzentrieren sich die meisten SDV-Projekte in Deutschland auf das Premiumsegment, angeführt von Marken wie BMW und Mercedes. Der Rollout auf Volumenmodelle ist für die kommenden Jahre geplant. Insgesamt verfolgen deutsche Hersteller also einen eher vorsichtigen, schrittweisen Ansatz – im Gegensatz zu internationalen Wettbewerbern, die Geschwindigkeit und breite Marktabdeckung priorisieren.

Dieses Interview wurde zuerst auf Automotive Digital Transformation veröffentlicht.

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