automotiveIT car.summit 2024
Der automotiveIT car.summit am 5. November 2024 in München bringt Experten und Stakeholder von OEMs, Zulieferer und Tech-Player an einen Tisch, um die Herausforderungen um das Software-Defined Vehicle, autonomes Fahren und Connectivity zu diskutieren. Gleichzeitig soll die Brücke zwischen klassischer Fahrzeugentwicklung und Software/IT geschlagen werden, da die Autobranche das Auto von Grund auf neu denken und verstärkt auf Kollaborationen setzen muss. 🎫 Jetzt Ticket sichern!
Tür auf, reinsetzen, anschnallen, Motor an, losfahren. Jahrzehntelang war das der übliche Ablauf, wenn man als Autofahrer seine Tour beginnen wollte. Doch seitdem Apple und Google damit begonnen haben, auch das Cockpit ins Visier zu nehmen, kam für viele Autofahrer noch ein Schritt dazu: das Verbinden des Smartphones. Jeder, der bereits eigene Erfahrungen mit Android Auto oder Apple Carplay gemacht hat, weiß die Vorzüge der Integration des gewohnten Betriebssystems zu schätzen. Trotzdem wollen die Autohersteller den Tech-Giganten nicht das Feld überlassen und entwickeln eigene Betriebssysteme.
Das hat natürlich damit zu tun, dass es bei dem Thema nicht nur um das reine Infotainment geht. Automobile Betriebssysteme steuern auch sicherheitskritische Anwendungen und das automatisierte Fahren. Generell wird der Begriff des Betriebssystems aber nicht einheitlich verwendet und ist nicht eindeutig definiert, sagt Jan Becker, CEO von Apex.AI. Während einige Hersteller auf maßgeschneiderte, proprietäre Lösungen setzen, verfolgen andere einen Open-Source-Ansatz, der Flexibilität und Anpassungsmöglichkeiten bietet. Doch wo stehen die Automobilhersteller heute und welche Trends zeichnen sich ab?
Maßgeschneiderte Systeme und Open-Source-Lösungen
Die aktuelle Landschaft der Fahrzeugbetriebssysteme ist vielfältig und komplex. Viele OEMs setzen auf Komplettlösungen, die flexibel für eine Vielzahl von Steuergeräten ausgelegt sind, die in einer Fahrzeugarchitektur vorkommen, erklärt Martin Schleicher, Head of Software Strategy bei Continental. Solche Betriebssysteme erlauben es den Herstellern, spezifische Funktionen und eine maßgeschneiderte Nutzererfahrung zu entwickeln, die den Anforderungen der jeweiligen Marke gerecht werden.
Daneben finden jedoch auch Open-Source-Systeme wie Android Automotive und Automotive Grade Linux (AGL) immer mehr Zuspruch. „Diese Anpassbarkeit finden immer mehr OEM-Kunden attraktiv“, sagt Christian Kaiser, Partner bei Berylls by AlixPartners. Becker grenzt jedoch auch diese beiden Systeme nochmals voneinander ab. „AGL ist ein auf dem open-source Linux-Kernel basierendes, klassisches Betriebssystem, welches primär auf Infotainmentsysteme abzielt." Android Automotive dagegen sei kein klassisches Betriebssystem, sondern ein von Android für Smartphones abgewandeltes Software Development Kit. Darunter liege dann ein klassisches Betriebssystem, das die Hersteller-übergreifende Implementierung von Infotainment-Software ermögliche. Prominente Hersteller, die auf Android Automotive setzen sind Volvo, Renault oder GM.
Die Rolle sicherheitskritischer Systeme
Während Open-Source-Plattformen vor allem im Bereich Infotainment Fuß gefasst haben, dominieren in sicherheitskritischen Anwendungen nach wie vor Systeme wie BlackBerry QNX. Denn diese liefern eine hohe Stabilität und Echtzeitfähigkeiten, die etwa in ADAS-Systemen und bei autonomen Fahrfunktionen erforderlich sind. In diesem Zusammenhang ordnet Schleicher QNX den kommerziellen Betriebssystemen zu. Dagegen seien Linux und Autosar Standardbetriebssysteme, wobei Autosar als Automotive-spezifischer Standard mehr umfasse als nur ein Betriebssystem. „Doch nicht jede dieser Standard-, kommerziellen oder Open-Source-Lösungen ist für jede Art von Steuergerät geeignet", so Schleicher. Betriebssysteme wie Linux, QNX und Android bräuchten ein System mit Mikro-Prozessor, während Autosar Classic auch auf einfacheren und günstigeren Mikro-Controllern laufe, die vom sehr vielen Steuergeräte im Fahrzeug genutzt werden, betont Schleicher.
Das steckt hinter ISO 26262
Die ISO 26262 ist eine internationale Norm, die sich auf die funktionale Sicherheit von elektrischen und elektronischen Systemen in Straßenfahrzeugen konzentriert. Ein zentrales Konzept dieser Norm ist die Klassifizierung der Sicherheitsanforderungen durch Automotive Safety Integrity Levels (ASIL). Diese Levels helfen dabei, das Risiko von Ausfällen in sicherheitskritischen Systemen zu bewerten und entsprechende Maßnahmen zur Risikominimierung zu ergreifen. Die ASIL-Klassifizierung reicht von A (niedriges Risiko) bis D (höchstes Risiko) und wird verwendet, um die notwendige Sorgfalt und Strenge bei der Entwicklung von Fahrzeugkomponenten festzulegen. Infotainment-Systeme sind in der Regel ASIL B-Systeme, autonome Fahrfunktionen in der Regel ASIL D. „Die Sicherheitsanforderungen sind vier bis sechs Größenordnungen höher und damit auch der Aufwand and Tests, Verifikation, Validierung, Absicherung und Freigabe", erklärt Jan Becker von Apex.AI.
Zusammenarbeit mit Technologieunternehmen
Ein weiterer entscheidender Faktor in der Entwicklung moderner Fahrzeugbetriebssysteme ist die Zusammenarbeit zwischen Automobilherstellern und Technologieunternehmen. „In derartigen Partnerschaften übernehmen in der Regel die OEMs Betriebssystemlösungen, die von den Tech-Firmen vorkonfiguriert und teilweise auch selbst entwickelt wurden", betont Kaiser. Die enge Zusammenarbeit zwischen Halbleiterherstellern, Betriebssystemanbietern und Automobilherstellern ist daher nicht nur sinnvoll, sondern notwendig, um die immer komplexeren Anforderungen an Fahrzeugarchitekturen zu bewältigen, findet auch Martin Schleicher. Diese Kooperationen reichen über das Fahrzeug hinaus und umfassen zunehmend Cloud-basierte Lösungen, die eine nahtlose Integration von Online-Diensten und Over-the-Air-Updates (OTA) ermöglichen.
Over-the-Air-Updates: Die nächste Herausforderung
Womit wir beim nächsten Punkt wären, der in aller Munde ist, aber noch längst nicht so gut funktioniert, wie es die Nutzer von ihren Smartphones gewohnt sind. Die größten Hindernisse bei der Implementierung von Over-the-Air-Updates für Betriebssysteme in Fahrzeugen sieht Kaiser in der „mangelnden Kompetenz der OEMs, domänenübergreifend Funktionen umzusetzen." Auch die mangelnde architektonische Vorbereitung bestehender Fahrzeugarchitekturen sei problematisch. Wenn mehrere Steuergeräte im Fahrzeug aktualisiert werden sollen, gibt es zusätzliche Herausforderungen, betont auch Schleicher. Es können große Datenmengen anfallen, die Übertragung dauert damit eine gewisse Zeit und es braucht entsprechende Kommunikationskanäle, so der Conti-Mann.
Proprietäre und Open-Source-Lösungen in Balance
Der Status Quo der Betriebssysteme in Autos deutet darauf hin, dass es auf absehbare Zeit eine Koexistenz von proprietären und Open-Source-Lösungen geben wird. „Die Automobilindustrie steht noch am Anfang, gemeinsam an Open-Source-Lösungen zu arbeiten. Wir sehen hier Chancen, durch Kollaboration Entwicklungsaufwände zu senken", so Schleicher. Auch Kaiser sieht in Open-Source-Systemen eine zunehmende Verbreitung, ergänzt durch proprietäre Sicherheitszertifizierungen und Support.
Wie eingangs bereits beschrieben, bleibt für den Endnutzer aber vor allem die Integration der bekannten Smartphone-Systeme wichtig. Tatsächlich beurteilen viele Kunden ihre User-Experience mit der Qualität und Geschwindigkeit der Verbindung zu Android Auto oder Apple Carplay, betont Berryls-Partner Kaiser. Die schnellen Softwareupdatezyklen der New-Economy seien jedoch nur darstellbar, wenn die gesamte nutzerrelevante Software in Händen des OEM, mindestens aber im Source-Code Zugriff liegt. „Insofern könnte eine Open-Source-Lösung die Brücke zwischen Synergie und vollem Zugriff schließen."