Thomas  Kamla sprach auf dem prostep ivip Symposium in Berlin.

Thomas Kamla sprach auf dem prostep ivip Symposium in Berlin. (Bild: prostep ivip Association LinkedIn)

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Dass die deutsche Autoindustrie unter Druck steht, wurde auch beim prostep ivip Symposium in Berlin deutlich. Die Situation sei „wirklich, wirklich herausfordernd“, bekannte Thomas Kamla, der als CTO unter anderem die Entwicklung des ID.1 bei Volkswagen verantwortet: „Wir müssen unsere Geschwindigkeit erhöhen und unsere Kosten drastisch senken. Deshalb müssen wir intensiv an der Methodik, an Prozessen und an unserer Toolchain arbeiten – denn das ist die Grundlage für unsere zukünftige Effizienz“, so Kamla, der zugleich prostep ivip-Vorstandsmitglied ist.

Die große Hoffnung liegt also auf dem Software-defined Vehicle (SDV) und dem digitalen und AI-basierten Zwilling, der die Aufwände stark reduzieren soll. Unter dem Aspekt der starken Veränderungen gab auch der ivip prostep Verein eine Anpassung seiner Strategie bekannt. „Die Situation hat sich dramatisch verändert, nicht nur mit Blick auf geopolitische Themen, sondern auch durch Software-definierte Produkte und den Fortschritt in der Künstlichen Intelligenz“, stellte Tomohiko Adachi von Mazda fest. Der Verein wolle ein Leuchtturm in dieser Veränderung sein.

VW verabschiedet sich vom Weltauto

Thomas Kamla berichtete, dass VW sich vom Konzept des aus Wolfsburg entwickelten „Weltautos“ mit gleichem Design und gleicher Technologie in fast allen Märkten verabschieden wolle. „Wir werden Kompetenzen und Prozesse zu unseren Development-Zentren überall auf der Welt verschieben“, erklärte Kamla. Ziel sei, innerhalb der Gruppe 200 Millionen Euro in R&D zu sparen. Um von der kostenintensiven Pflege von bisher mehr als 450 Systemen wegzukommen, habe man sich für einen Plattformansatz entschieden. Dabei will VW auf 3DX als PLM-System und damit als Daten-Backbone setzen. „Der Plan ist, es hauptsächlich out of the box zu nutzen, mit minimalem Customizing“, so Kamla, was sowohl von ihm als auch vielen Teilnehmenden mit Lachen quittiert wurde – schließlich gilt PLM als besonders schwer standardisierbarer Bereich.

Bei VW wolle man ein „New Normal“ erreichen, bei dem der Fokus auf dem CDV, Customer-defined Vehicle, in Verbindung mit dem SDV liegt. Beim ID.1 sei es gelungen, den Entwicklungsprozess um 30 Prozent zu verkürzen, berichtete der CTO. Zum einen setze man auf die Ausweitung von Virtualisierungstechnologie, bei VW Road2Rig2Byte genannt. Vor allem im Testing will man verstärkt zu virtuellen Testbeds und Simulation wechseln. Zum anderen geht das Development jetzt für jedes Projekt von einem spezifischen Fokusbereich mit konkreten Kundenpersonas und ihren jeweiligen Bedürfnissen aus, für die zuvor Daten gesammelt werden.

Führt KI Deutschland wieder nach vorne?

Kamla stellte einige Personas vor: Eine 19-jährige, die viel Social Media nutzt, eine Pflegekraft, die das Auto beruflich nutzt, oder ein 62-jähriger Heimwerker. Damit dürfte VW – anders als die asiatischen Player – den variantenreichen Pfad der Individualisierung auch im Bereich von Fahrzeugen um 20.000 Euro weiter vorantreiben. Dabei bleiben viele Fragen offen: Was passiert etwa, wenn sich Bedürfnisse oder Berufe ändern? Wie viele 19-Jährige nutzen statt Smartphone das Entertainment-System?

Immerhin ist man sich auf der Veranstaltung einig: KI ist das Gegengift für die steigende Komplexität. Aus Sicht von Sabine Scheunert, Managing Director Eurocentral bei Dassault Systèmes, könnten AI-basierte Virtual Twins „die deutsche Autoindustrie wieder in die Pole-Position bringen“. Die Autoindustrie stehe vor einer „massiven Revolution“. Die Technologie setzt auf Large Language Models und gibt Menschen in der Entwicklung einen „Virtual Companion“ an die Hand, der einen erheblichen Teil zeitintensiver Aufgaben übernimmt. Aus Dassault-Sicht lassen sich Innovationszyklen mit dem neuen Ansatz von rund sieben Jahren auf unter drei Jahre herunterbringen. Scheunert verwies auch auf die Notwendigkeit digitaler Souveränität, es sei wichtig, dass europäische Unternehmen ihre Daten innerhalb Europas halten können.

Daten müssen strukturiert sein

Die größte Herausforderung ist – wenig überraschend – die Datenqualität, damit die KI ihre volle Wirkung entfalten kann. Das gilt umso mehr, wenn zunehmend Agentische AI Aufgaben im Entwicklungsprozess übernehmen soll. „Ontologie“, also eine formale Beschreibung von Wissen über ein bestimmtes Fachgebiet, war deshalb ein vielgenutztes Wort auf der Berliner Konferenz. „Wir sitzen alle auf einer Schatzkiste an Daten – aber wir wissen auch alle: Diese Schatzkiste lässt sich oft nur schwer öffnen“, umschrieb es Ulrich Wolters von Bosch Connected Industry. Informationen müssen unter semantischen Gesichtspunkten zusammengeführt werden, damit KI-Modelle auf den Unternehmensdaten arbeiten können.

Dabei kann den Erfahrungen von Bosch, Mercedes und Schaeffler zufolge die von Catena-X bereitgestellte Ontologie (Semantic Hub) und die dafür genutzte Verwaltungsschale eine gute Ausgangsbasis für die nötige Interoperabilität sein. Die Entscheidung, den Digital Twin an der Verwaltungsschale zu orientieren, ermögliche Bosch jetzt, in Kollaborations-Szenarien in Catena-X einzusteigen, so Wolters.

Die Erfahrung zeige: Wenn auf die KI auf Rohdaten angesetzt wird, gebe es 20 Prozent korrekte Antworten, bei Semantik mit strukturierten Daten erhöht sich die Zahl auf 60 Prozent. „Wir versuchen, die KI nicht zu trainieren. Agentische Systeme stellen Umgebungskontext bereit, um zu vermeiden, dass Large Language Models halluzinieren. Wir leiten diese Systeme an, die Daten zu navigieren. Das ist ein wesentlich kostengünstigerer Weg im Vergleich zum Training“, so Wolters.

Aus Sicht von Sebastian Handschuh, Head of Catena-X Architecture and Operation bei Mercedes-Benz, fließt bei weitem zu viel Arbeit in die manuelle Datenvorbereitung: „Wenn wir ein Dataset manuell vorbereiten und es momentan senden, dauert es mehrere Tage bis Wochen, bis diese Feedback-Zyklen geschlossen sind“. Das gelte etwa beim Demand- und Kapazitätsmanagement, aber auch bei CAD- und Geometriedaten. Gerade weil über das Verkaufs- und Partnernetzwerk monatlich Millionen Dateien hereinkommen, sei das Digitalisierungspotenzial groß. Dafür hält Handschuh einen Mindset-Wechsel für nötig, um nicht nur die eigene Unternehmensebene betrachten, sondern sich – wie gerade vor Ort in Berlin – als vertrauensvolle Community zu sehen und die traditionelle OEM-Supplier-Sicht hinter sich zu lassen.

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