„Die ökologische Transformation der Lieferkette ist essenziell“
Zonale Architekturen und digitalisierte Designs verändern die Bordnetzbranche enorm. Karsten Dieckmann von Sumitomo erklärt, wie der Tier-1-Zulieferer Automatisierung, Nachhaltigkeit und skalierbare E/E-Integration für die Mobilität von morgen vorantreibt.
Benjamin MüllerBenjaminMüller
4 min
Karsten Dieckmann, Diplom-Ingenieur, studierte Automatisierungstechnik an der Fachhochschule Iserlohn.SEBN
Anzeige
Karsten Dieckmann arbeitet als General Manager Design and
Development Electronics Division bei Sumitomo SEWS Components and Electronics
Europe. Bevor er 2016 zu dem Zulieferer kam, war er fast 18 Jahre bei Forvia Hella in verschiedenen Führungspositionen tätig
– vom optischen Design bis hin zur Lichtentwicklung.
Mit dieser tiefgreifenden Erfahrung treibt er heute Sumitomos Strategie für
fortschrittliche E/E-Architekturen und Automatisierung voran – und beantwortet unsere
Interviewfragen.
Herr Dieckmann, wir befinden uns mitten eines dynamischen
und disruptiven Jahrzehnts für die Automobilindustrie. Was sind für Sie die
größten Herausforderungen, denen sich der Bordnetzsektor in den kommen fünf
Jahren stellen muss?
Anzeige
Die erste große Herausforderung wird die Beschleunigung der
digitalen Integration in der Zusammenarbeit zwischen OEMs und
Tier-1-Zulieferern sein. Eine umfassende Transformation ist zwingend
erforderlich, um sich mit den Aktivitäten der OEMs sowohl in der Konzeptphase
als auch in den Serienentwicklungsprozessen zu verzahnen und diese zu
unterstützen. Tier-1-Zulieferer wie Sumitomo Electric Bordnetze
(SEBN) müssen sich zu nahtlos integrierten Partnern im OEM-Entwicklungsprozess
entwickeln, die Anforderungen an schnelle Reaktionsfähigkeit erfüllen,
technische Änderungen effizient managen und gleichzeitig finanzielle
Zielvorgaben erreichen. Die strukturelle Weiterentwicklung der OEMs verläuft
jedoch langsam und wird durch interne Prozessprobleme behindert, was die
notwendige Transformation erschwert. Im Gegensatz dazu zeigen bestimmte Märkte
wie China und Südkorea eine erfolgreiche
Umsetzung und damit greifbare Vorteile. Das Paradigma von „China Speed“ und
vollständig softwaredefinierter Fahrzeugplattformen chinesischer und
koreanischer Hersteller dienen hier als überzeugende Benchmarks.
Abgesehen davon – welche weiteren Aspekte sollte die
Branche im Blick behalten?
Eine weitere zentrale Herausforderung ist die Entwicklung
von Resilienz und Flexibilität im Engineering für die Mobilität der Zukunft.
Die Erfüllung der neuesten Anforderungen des autonomen Fahrens erfordert einen
sensiblen Ausgleich zwischen Leichtbau und hoher Dauerhaltbarkeit, insbesondere
in Bordnetzen. Gleichzeitig stehen europäische Hersteller vor der Aufgabe,
Automatisierung und Robotik in der Produktion voranzutreiben und dabei mit der
Kapitalintensität solcher Investitionen umzugehen – insbesondere vor dem
Hintergrund sinkender Stückzahlen pro Baureihe. Modularisierung und flexible
zonale Architekturen bieten vielversprechende Wege, diese Spannungsfelder
aufzulösen und zugleich skalierbare, kosteneffiziente Designstrategien zu
ermöglichen. Schließlich werden nachhaltige Innovation und Resilienz in der
Lieferkette entscheidend sein. Die Akzeptanz zukünftiger Mobilitätslösungen –
ob Elektrofahrzeug oder Verbrenner – hängt davon ab, inwieweit bezahlbare und
umweltverträgliche Materialien eingesetzt werden. Die ökologische
Transformation der Lieferkette ist nicht mehr optional, sondern essenziell. Ein
widerstandsfähiger und nachhaltiger Beschaffungsansatz wird der Schlüssel sein,
um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben und gegenüber Regulierern wie Verbrauchern
glaubwürdig aufzutreten.
Anzeige
Als globaler Tier-1-Zulieferer spielt SEBN eine wichtige
Rolle bei der Gestaltung zukünftiger E/E-Architekturen. Wie gehen Sie und Ihr
Team den Übergang von traditionellen zu zonalen oder domainbasierten
Bordnetzkonzepten an – und welche technischen oder organisatorischen
Veränderungen sind nötig, um in dieser Transformation zu bestehen?
Bereits vor fünf Jahren hat das Management von SEBN eine
vorausschauende Entscheidung getroffen und dedizierte Abteilungen mit Fokus auf
fortgeschrittene Elektronikkompetenzen aufgebaut. Unser Ziel war es, ein tiefes
Verständnis für aufkommende Systemanforderungen der OEMs zu erlangen –
insbesondere im Kontext neuer zonaler Architekturen und
Highspeed-Computing-Plattformen – und dieses Wissen zu nutzen, um optimierte
Lösungen für Domain- und Zonalarchitekturen zu entwickeln. Parallel dazu hat
unsere Muttergesellschaft Sumitomo Wiring Systems in Japan mit der Entwicklung
von Automatisierungsanlagen der nächsten Generation begonnen, die speziell auf
die Anforderungen zunehmend automatisierter Produktionsprozesse für Domain- und
Zonalbordnetze zugeschnitten sind.
Wie haben sich diese Investitionen in der Praxis
ausgezahlt?
Anzeige
Heute kommen diese ausgebauten Kompetenzen und unsere
hochmodernen, eigenen Fertigungstechnologien zusammen und versetzen uns in die
Lage, auf aktuelle Kundenanfragen effektiv zu reagieren. Darüber hinaus hat
sich unsere IT-Infrastruktur weiterentwickelt, um eine engere Zusammenarbeit
mit unterschiedlichen Kunden zu unterstützen. Ein bemerkenswertes Beispiel ist
eine strategische Partnerschaft mit einem OEM zur gemeinsamen Entwicklung
zukünftiger Prozessframeworks. Diese Zusammenarbeit, kombiniert mit unserer
Erfahrung in der Umsetzung abgestimmter Prozesse, versetzt uns in eine gute
Position, aktiv zu den kommenden Herausforderungen der Branche beizutragen.
Gibt es einen klaren Trend hin zu einer dominanten
Topologie – etwa zonale Architekturen – über die globalen Märkte hinweg, oder
werden OEMs weiterhin parallele Strategien verfolgen, abhängig von regionalen
und plattformspezifischen Prioritäten?
Aus meiner Sicht gewinnen zonale Architekturen in der
Automobilindustrie zwar deutlich an Fahrt – getrieben von klaren Vorteilen wie
reduzierter Leitungskomplexität, verbesserter Skalierbarkeit und schnellerer
Integration fortschrittlicher Funktionen –, es ist jedoch unwahrscheinlich, dass
eine einzige Topologie weltweit in naher Zukunft vollständig dominiert. In
Schlüsselmärkten setzen sich zonale Architekturen zunehmend als bevorzugte
Lösung durch, um Performance- und Integrationsziele zu erreichen. Gleichzeitig
spielen domainbasierte Architekturen weiterhin eine wichtige Rolle –
insbesondere dort, wo sie die aktuellen Kundenanforderungen in Bezug auf
Leistung und Ziele hinsichtlich automatisierter Fertigung gut adressieren.
Was sind die Hauptfaktoren, die diese Vielfalt
vorantreiben?
Anzeige
Mehrere Faktoren tragen zu dieser architektonischen Vielfalt
bei. Regionale Marktunterschiede spielen eine wichtige Rolle: Regulatorische
Rahmenbedingungen, der Reifegrad der Infrastruktur und die Erwartungen der
Kunden unterscheiden sich erheblich zwischen den Regionen und beeinflussen die
Strategien der OEMs. Märkte mit besonders strengen Sicherheits-
oder Cybersicherheitsanforderungen könnten beispielsweise Architekturen
bevorzugen, die diese Bedürfnisse besser unterstützen – selbst wenn das
bedeutet, von einer rein zonalen Lösung abzuweichen. Ein weiterer Faktor sind
plattformspezifische Prioritäten, da sich Fahrzeugsegmente und -plattformen von
kompakten Pkw bis hin zu schweren Nutzfahrzeugen erstrecken – jeweils mit
individuellen Kosten-, Gewichts- und Performanceanforderungen. Manche
Plattformen profitieren stärker von verteilten oder domainbasierten
Architekturen, insbesondere dort, wo Legacy-Systeme oder Lieferantennetzwerke
tief verankert sind.
Sehen Sie bereits OEMs, die mit hybriden Setups
experimentieren, welche unterschiedliche Ansätze kombinieren?
Die Branche befindet sich derzeit in einer Übergangsphase
und experimentiert mit Hybridarchitekturen, die zonale, Domain- und verteilte
Elemente kombinieren. Dieser hybride Ansatz ermöglicht OEMs einen ausgewogenen
Fortschritt – fördert Innovation und hilft zugleich, Risiken zu managen und
Kosten zu kontrollieren. Schließlich muss auch der Einfluss von Zulieferern und
Ökosystemen berücksichtigt werden. Die Verfügbarkeit von Komponenten,
Software-Stacks und Integrationsexpertise prägt ebenfalls die Architekturentscheidungen,
und OEMs orientieren sich häufig an Zulieferern, die bewährte,
topologiespezifische Lösungen anbieten, die zu ihren strategischen und
operativen Zielen passen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Obwohl zonale Architekturen
an Bedeutung gewinnen und sich wahrscheinlich langfristig zu einem dominanten
Paradigma entwickeln werden, erwarte ich, dass OEMs auf absehbare Zeit
weiterhin parallele Strategien verfolgen, zugeschnitten auf regionale Märkte
und plattformspezifische Anforderungen. Diese architektonische Pluralität
fördert kostenbewusste Innovation und ermöglicht es der Bordnetzindustrie,
flexibel auf sich wandelnde technologische Anforderungen und Marktanforderungen
zu reagieren. Glücklicherweise ist SEBN dank seiner globalen Präsenz in dieser
Hinsicht gut aufgestellt – und auf alles vorbereitet.