Karsten Dieckmann, Sumitomo

„Die ökologische Transformation der Lieferkette ist essenziell“

Zonale Architekturen und digitalisierte Designs verändern die Bordnetzbranche enorm. Karsten Dieckmann von Sumitomo erklärt, wie der Tier-1-Zulieferer Automatisierung, Nachhaltigkeit und skalierbare E/E-Integration für die Mobilität von morgen vorantreibt.

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Karsten Dieckmann, Diplom-Ingenieur, studierte Automatisierungstechnik an der Fachhochschule Iserlohn.

Karsten Dieckmann arbeitet als General Manager Design and Development Electronics Division bei Sumitomo SEWS Components and Electronics Europe. Bevor er 2016 zu dem Zulieferer kam, war er fast 18 Jahre bei Forvia Hella in verschiedenen Führungspositionen tätig – vom optischen Design bis hin zur Lichtentwicklung. Mit dieser tiefgreifenden Erfahrung treibt er heute Sumitomos Strategie für fortschrittliche E/E-Architekturen und Automatisierung voran – und beantwortet unsere Interviewfragen.

Herr Dieckmann, wir befinden uns mitten eines dynamischen und disruptiven Jahrzehnts für die Automobilindustrie. Was sind für Sie die größten Herausforderungen, denen sich der Bordnetzsektor in den kommen fünf Jahren stellen muss?

Die erste große Herausforderung wird die Beschleunigung der digitalen Integration in der Zusammenarbeit zwischen OEMs und Tier-1-Zulieferern sein. Eine umfassende Transformation ist zwingend erforderlich, um sich mit den Aktivitäten der OEMs sowohl in der Konzeptphase als auch in den Serienentwicklungsprozessen zu verzahnen und diese zu unterstützen. Tier-1-Zulieferer wie Sumitomo Electric Bordnetze (SEBN) müssen sich zu nahtlos integrierten Partnern im OEM-Entwicklungsprozess entwickeln, die Anforderungen an schnelle Reaktionsfähigkeit erfüllen, technische Änderungen effizient managen und gleichzeitig finanzielle Zielvorgaben erreichen. Die strukturelle Weiterentwicklung der OEMs verläuft jedoch langsam und wird durch interne Prozessprobleme behindert, was die notwendige Transformation erschwert. Im Gegensatz dazu zeigen bestimmte Märkte wie China und Südkorea eine erfolgreiche Umsetzung und damit greifbare Vorteile. Das Paradigma von „China Speed“ und vollständig softwaredefinierter Fahrzeugplattformen chinesischer und koreanischer Hersteller dienen hier als überzeugende Benchmarks.

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Abgesehen davon – welche weiteren Aspekte sollte die Branche im Blick behalten?

Eine weitere zentrale Herausforderung ist die Entwicklung von Resilienz und Flexibilität im Engineering für die Mobilität der Zukunft. Die Erfüllung der neuesten Anforderungen des autonomen Fahrens erfordert einen sensiblen Ausgleich zwischen Leichtbau und hoher Dauerhaltbarkeit, insbesondere in Bordnetzen. Gleichzeitig stehen europäische Hersteller vor der Aufgabe, Automatisierung und Robotik in der Produktion voranzutreiben und dabei mit der Kapitalintensität solcher Investitionen umzugehen – insbesondere vor dem Hintergrund sinkender Stückzahlen pro Baureihe. Modularisierung und flexible zonale Architekturen bieten vielversprechende Wege, diese Spannungsfelder aufzulösen und zugleich skalierbare, kosteneffiziente Designstrategien zu ermöglichen. Schließlich werden nachhaltige Innovation und Resilienz in der Lieferkette entscheidend sein. Die Akzeptanz zukünftiger Mobilitätslösungen – ob Elektrofahrzeug oder Verbrenner – hängt davon ab, inwieweit bezahlbare und umweltverträgliche Materialien eingesetzt werden. Die ökologische Transformation der Lieferkette ist nicht mehr optional, sondern essenziell. Ein widerstandsfähiger und nachhaltiger Beschaffungsansatz wird der Schlüssel sein, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben und gegenüber Regulierern wie Verbrauchern glaubwürdig aufzutreten.

Als globaler Tier-1-Zulieferer spielt SEBN eine wichtige Rolle bei der Gestaltung zukünftiger E/E-Architekturen. Wie gehen Sie und Ihr Team den Übergang von traditionellen zu zonalen oder domainbasierten Bordnetzkonzepten an – und welche technischen oder organisatorischen Veränderungen sind nötig, um in dieser Transformation zu bestehen?

Bereits vor fünf Jahren hat das Management von SEBN eine vorausschauende Entscheidung getroffen und dedizierte Abteilungen mit Fokus auf fortgeschrittene Elektronikkompetenzen aufgebaut. Unser Ziel war es, ein tiefes Verständnis für aufkommende Systemanforderungen der OEMs zu erlangen – insbesondere im Kontext neuer zonaler Architekturen und Highspeed-Computing-Plattformen – und dieses Wissen zu nutzen, um optimierte Lösungen für Domain- und Zonalarchitekturen zu entwickeln. Parallel dazu hat unsere Muttergesellschaft Sumitomo Wiring Systems in Japan mit der Entwicklung von Automatisierungsanlagen der nächsten Generation begonnen, die speziell auf die Anforderungen zunehmend automatisierter Produktionsprozesse für Domain- und Zonalbordnetze zugeschnitten sind.

Wie haben sich diese Investitionen in der Praxis ausgezahlt?

Heute kommen diese ausgebauten Kompetenzen und unsere hochmodernen, eigenen Fertigungstechnologien zusammen und versetzen uns in die Lage, auf aktuelle Kundenanfragen effektiv zu reagieren. Darüber hinaus hat sich unsere IT-Infrastruktur weiterentwickelt, um eine engere Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Kunden zu unterstützen. Ein bemerkenswertes Beispiel ist eine strategische Partnerschaft mit einem OEM zur gemeinsamen Entwicklung zukünftiger Prozessframeworks. Diese Zusammenarbeit, kombiniert mit unserer Erfahrung in der Umsetzung abgestimmter Prozesse, versetzt uns in eine gute Position, aktiv zu den kommenden Herausforderungen der Branche beizutragen.

Gibt es einen klaren Trend hin zu einer dominanten Topologie – etwa zonale Architekturen – über die globalen Märkte hinweg, oder werden OEMs weiterhin parallele Strategien verfolgen, abhängig von regionalen und plattformspezifischen Prioritäten?

Aus meiner Sicht gewinnen zonale Architekturen in der Automobilindustrie zwar deutlich an Fahrt – getrieben von klaren Vorteilen wie reduzierter Leitungskomplexität, verbesserter Skalierbarkeit und schnellerer Integration fortschrittlicher Funktionen –, es ist jedoch unwahrscheinlich, dass eine einzige Topologie weltweit in naher Zukunft vollständig dominiert. In Schlüsselmärkten setzen sich zonale Architekturen zunehmend als bevorzugte Lösung durch, um Performance- und Integrationsziele zu erreichen. Gleichzeitig spielen domainbasierte Architekturen weiterhin eine wichtige Rolle – insbesondere dort, wo sie die aktuellen Kundenanforderungen in Bezug auf Leistung und Ziele hinsichtlich automatisierter Fertigung gut adressieren.

Was sind die Hauptfaktoren, die diese Vielfalt vorantreiben?

Mehrere Faktoren tragen zu dieser architektonischen Vielfalt bei. Regionale Marktunterschiede spielen eine wichtige Rolle: Regulatorische Rahmenbedingungen, der Reifegrad der Infrastruktur und die Erwartungen der Kunden unterscheiden sich erheblich zwischen den Regionen und beeinflussen die Strategien der OEMs. Märkte mit besonders strengen Sicherheits- oder Cybersicherheitsanforderungen könnten beispielsweise Architekturen bevorzugen, die diese Bedürfnisse besser unterstützen – selbst wenn das bedeutet, von einer rein zonalen Lösung abzuweichen. Ein weiterer Faktor sind plattformspezifische Prioritäten, da sich Fahrzeugsegmente und -plattformen von kompakten Pkw bis hin zu schweren Nutzfahrzeugen erstrecken – jeweils mit individuellen Kosten-, Gewichts- und Performanceanforderungen. Manche Plattformen profitieren stärker von verteilten oder domainbasierten Architekturen, insbesondere dort, wo Legacy-Systeme oder Lieferantennetzwerke tief verankert sind.

Sehen Sie bereits OEMs, die mit hybriden Setups experimentieren, welche unterschiedliche Ansätze kombinieren?

Die Branche befindet sich derzeit in einer Übergangsphase und experimentiert mit Hybridarchitekturen, die zonale, Domain- und verteilte Elemente kombinieren. Dieser hybride Ansatz ermöglicht OEMs einen ausgewogenen Fortschritt – fördert Innovation und hilft zugleich, Risiken zu managen und Kosten zu kontrollieren. Schließlich muss auch der Einfluss von Zulieferern und Ökosystemen berücksichtigt werden. Die Verfügbarkeit von Komponenten, Software-Stacks und Integrationsexpertise prägt ebenfalls die Architekturentscheidungen, und OEMs orientieren sich häufig an Zulieferern, die bewährte, topologiespezifische Lösungen anbieten, die zu ihren strategischen und operativen Zielen passen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Obwohl zonale Architekturen an Bedeutung gewinnen und sich wahrscheinlich langfristig zu einem dominanten Paradigma entwickeln werden, erwarte ich, dass OEMs auf absehbare Zeit weiterhin parallele Strategien verfolgen, zugeschnitten auf regionale Märkte und plattformspezifische Anforderungen. Diese architektonische Pluralität fördert kostenbewusste Innovation und ermöglicht es der Bordnetzindustrie, flexibel auf sich wandelnde technologische Anforderungen und Marktanforderungen zu reagieren. Glücklicherweise ist SEBN dank seiner globalen Präsenz in dieser Hinsicht gut aufgestellt – und auf alles vorbereitet.

Dieses Interview erschien zuerst auf unserem englischsprachigen Portal Automotive Digital Transformation.