Fast scheint es, als sei das softwaredefinierte Fahrzeug schon ein alter Hut. Sprachlich gibt sich Wu Xinzhou, Head of Automotive bei Nvidia, jedenfalls nicht mehr damit ab: Für ihn sind künftige Fahrzeuge klar KI-definiert. Wie auch immer: Künstliche Intelligenz wird Entwicklungskapazitäten steigern, Entwicklungszeiten verringern und Innovationspotenziale erhöhen – das Engineering wird zunehmend algorithmusbasiert, was etliche neue Möglichkeiten eröffnet.
Was verbirgt sich hinter Prompt Engineering?
Die nutzt der Zulieferer Magna Electronics Europe bei der Entwicklung neuer Fahrerassistenzsysteme, wobei maschinelles Lernen und KI eine „zentrale Rolle“ einnehmen, betont man bei dem Unternehmen: „KI hat das Potenzial zur radikalen Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit beizutragen“, unterstreicht Steven Jenkins, Vice President, Technology Strategy von Magna Electronics. Die frühzeitige Fusion im Engineering mit KI könne die Leistung von Assistenzsystemen verbessern, indem deutlich mehr der bereits in den Sensordaten enthaltenen Informationen genutzt würden.
Daher werden die gemischten Entwicklerteams durch neue Mitglieder ergänzt: KI-Agenten. Die sollen künftig auch in Autos Fahrer unterstützen und die User Experience verbessern. Vorher wird generative KI dabei helfen, so Jenkins, reale Trainingsdaten, etwa für das Monitoring der Umgebung autonomer Fahrzeuge, durch gezielte Prompts zu verbessern oder synthetische Trainingsszenarien zu generieren. Synthetische Daten werden Entwicklungskosten und –zeiten deutlich reduzieren“, ist Jenkins überzeugt, „Prompt Engineering steigert die Qualität der Entwicklung und reduziert die Menge an handgeschriebenem Code.“
So hilft KI in der Antriebsentwicklung
Bei Porsche ist von künstlicher Intelligenz als „Schlüsseltechnologie für die Antriebsentwicklung“ die Rede. Beim Design klassischer Verbrennungsmotoren half KI bereits einen Weg zu finden, den Gasgehalt im Motoröl zu prognostizieren. Das Problem: Hohe Gasanteile führen zur Ölverschäumung, worunter die Schmierfähigkeit leidet. Folglich sollte der Gasgehalt möglichst gering sein. Allerdings lässt sich der Effekt im Betrieb eher schlecht messen, geschweige denn vorhersehen. Die Motorenentwickler haben nun mit einem speziell dafür ausgelegten KI-Tool massenweise Daten analysiert und das Aggregat entsprechend optimiert.
Als hilfreich erwies sich KI auch beim Monitoring des Alterungsverhaltens von Lithium-Ionen-Batterien, wodurch Reichweitenprognosen verbessert werden. „Dabei schließt der KI-Algorithmus durch den Innenwiderstand der Batterie auf ihre Alterung“, heißt es bei den Ingenieuren von Porsche Engineering. „Er berücksichtigt unter anderem Einflüsse wie die Temperatur und den Ladezustand sowie Ergebnisse von Langzeit- und Flottentests.“ Im Fahrzeug passe sich die KI an das Nutzerprofil des Fahrers an, sodass die Vorhersage immer präziser werde.
KI macht Kundenwünsche wahr
Im Auftrag der BASF Polyurethanes GmbH, einem Hersteller von Federbeinen für Fahrzeuge, haben Forschende am Berliner Fraunhofer IPK einen KI-Prozess entwickelt, mit dem direkt aus den Anforderungen des Kunden ein geeignetes Bauteil entworfen werden soll. KI erspart hier zeitraubendes iteratives Vorgehen der Entwickler. Zum Training der KI nutzten die Forschenden den Standardprozess CRISP-DM. Dabei werden nach der Situationsanalyse vorliegende Daten begutachtet und konkrete Ziele abgeleitet. So wird die Basis geschaffen, um ein KI-Modell zu trainieren. „Im Vergleich zu anderen Trainingssätzen mit komplexeren historischen Daten vereinfacht dieses Vorgehen das Training der KI deutlich“, so die Forschenden. So konnten sie aus einem einzigen Modell mehr als 10.000 verschiedene Designs generieren.
Anschließend simulierte das Tool, wie sich die virtuellen Federn unter verschiedenen Belastungen verhalten. Die aus den Simulationen gewonnenen Daten dienen wiederum als Trainingsgrundlage für ein neuronales Netz. Künftig soll die KI mit den Anforderungen aus dem Lastenheft des Kunden gefüttert werden, um zügig passende Federn zu entwickeln. Über den Zeitgewinn können die Forschenden noch nichts sagen.
Für BMW und Co. wird KI zum Standard-Tool
Mehr Geschwindigkeit in die Produktentwicklung bringt BMW schon jetzt mit der KI-Plattform des britischen Startup Monolith. Dem Crashtest-Team gelingt es mit selbstlernenden Modellen früh im Fahrzeugentwicklungsprozess Crashverhalten vorherzusagen – weit vor dem Prototypenstadium. Was noch spannender als der beschleunigte Fahrzeugentwicklungsprozess ist, so Monolith-Gründer und CEO Richard Ahlfeld, sei die Möglichkeit für Ingenieure, mehr Konstruktionsparameter zu erforschen und neue Beziehungen zwischen Betriebsbedingungen zu finden - ohne dass sie Unterstützung von Data Scientists benötigten: „Plötzlich wird die Kombination aus Ingenieurwissen und maschinellem Lernen zu einem Wettbewerbsvorteil“, sagt Ahlfeld.
Bei BMW wie anderen OEMs werden derartige KI-Tools im gesamten F&E-Bereich breit ausgerollt, vor allem dort, wo große Datenmengen generiert werden – von der Aerodynamik bis zu Fahrerassistenzsystemen. Ihr Einsatz wird gewissermaßen zu einem Selbstläufer. „Die Genauigkeit selbstlernender Modelle verbessert sich weiter, je mehr Daten zur Verfügung stehen und KI tiefer in das Engineering integriert wird“, sagt Petra Jenner, Senior Vice President und General Manager für Europa, den Nahen Osten und Afrika beim Datenspezialisten Splunk.
Wo spart KI Zeit in der Entwicklung?
„Engineers können bereits in einem früheren Stadium des Konstruktionsprozesses Designs optimieren und so zeitraubende wie teure Tests verringern.“ Und ja, das Engineering wird sich grundlegend wandeln, ist Jenner überzeugt: „Künftig werden rund 30 Prozent der eher lästigen operativen Arbeiten im Engineering an generative KI delegiert werden“, zitiert sie Prognosen. Berechnungen, Simulationen, Routinejobs. „Ein Zeitgewinn, der auf der Innovationsschiene genutzt werden kann“, betont Jenner.
Allerdings werde ein Teil der eingesparten Zeit für Reverse-Engineering genutzt werden müssen, um nachzuvollziehen, was KI wie und warum erzeugt hat. „Vor allem auch, um zu vermeiden, dass sich nicht wieder frühere Fehler in der Produktentwicklung einschleichen.“ Jenner hat keinen Zweifel daran, dass das Engineering durch generative KI besser wird. Das allerdings unter einer Voraussetzung: „Der Mensch muss nach wie vor im Mittelpunkt stehen.“