Große Messehalle der Auto Shanghai 2025 mit zahlreichen Besuchern, modernen Fahrzeugmodellen und hell ausgeleuchteten Ausstellungsständen internationaler und chinesischer Automobilhersteller.

Auf der Auto Shanghai 2025 präsentieren chinesische und internationale Hersteller ihre neuesten Modelle und Technologien. (Bild: Auto Shanghai)

Bisweilen glaubt man in Europa, dass man in China das autonome Fahren aggressiv vorantreibt. Ohne Rücksicht auf Verluste. Doch unlängst hat das chinesische Ministerium für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) der Praxis, dass Beta-Tester neue ADAS-Systeme erproben können, einen Riegel vorgeschoben. Auch Funktionen wie das Robo-Parken, die ohne Zutun des Fahrers vollzogen werden, sind verboten. Grund für das harte Durchgreifen der Behörde ist ein Unfall eines Xiaomi SU7 am 29. März, bei dem drei Menschen ums Leben kamen.  Aufzeichnungen zufolge prallte das Fahrzeug mit 97 km/h gegen einen Pfosten, Sekunden nachdem der Fahrer die Kontrolle über das Fahrassistenzsystem (ADAS) übernommen hatte und versuchte, das Unglück zu verhindern.

Diese Zäsur kommt für die chinesischen Automobilhersteller kurz vor dem Heimspiel der Auto China in Shanghai zur Unzeit. Denn auch Marketingbegriffe wie „automatisches Fahren“, "autonomes Fahren", "intelligentes Fahren" oder “fortgeschrittenes intelligentes Fahren" sind verboten. An der grundsätzlichen Strategie der Autobauer aus dem Reich der Mitte, Schlüsseltechnologien selbst zu entwickeln und sich von ausländischen Zulieferern unabhängig zu machen, ändert dieser Einschnitt jedoch nichts. Die Entwicklungen der hauseigenen Silikon- und Algorithmus-Tüftler tragen inzwischen immer reifere Früchte. Während Mercedes im vergangenen Jahr mit dem DrivePilot 95 ein Level-3-System vorgestellt hat, das allerdings zumeist ein Vorderfahrzeug benötigt, heißt es im Reich der Mitte dagegen „Level 4 oder nichts!“

Xpengs Turing Chip als KI Kraftpaket

Dazu braucht man leistungsstarke Prozessoren, die jetzt in China selbst entwickelt werden. Einer davon ist Xpengs Turing-KI-Chip: Mit einem 40-Kern-Prozessor unterstützt dieser Prozessor Modelle mit bis zu 30 Milliarden Parametern und liefert so die Leistung von drei Hochleistungs-Chips in einem. Mit einer Rechenleistung von rund 700 TOPS (Trillionen Operationen pro Sekunde) soll dieser Prozessor das Leistungsniveau von Nvidias Thor-Chip erreichen. Im Zusammenspiel mit kontinuierlichen Updates von Verkehrsszenarien, die aus der Cloud kommen, wird das Deep Learning in Richtung Level 4 vorangetrieben und das Fahrverhalten des Robo-Vehikels verbessert.

Eine leistungsstarke Architektur ist unabdingbar, um diese Rechenmodelle umzusetzen. Die Canghai-Plattform fungiert bei Xpeng sozusagen als neuronales Netzwerk für Level 4 mit verbesserten Sicherheitsfunktionen, 33-facher Bandbreite und zwölffach schnellerer Kamerabildverarbeitung und schafft damit die Grundlage für KI-gestützte Fahrfunktionen. Der Automobilhersteller aus Guangzhou verzichtet bei seinen Fahrerassistenzsystemen explizit auf teure Hardware wie Lidar und setzt auf die Kombination von hochauflösenden Kameras mit verschiedenen Radarsensoren. Die AI Hawkeye Visual Solution umfasst zwei 8M-Kameras, Millimeterwellen-und Ultraschall-Radare. Dieses Konstrukt soll laut Xpeng auch bei schlechtem Wetter, Dunkelheit oder extremer Sonneneinstrahlung für zuverlässige Ergebnisse bei der Erfassung der Umgebung sorgen.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Tesla schon seit einiger Zeit. Bislang ist ein überzeugender Durchbruch noch nicht gelungen. Auch wenn Xpeng wie die meisten anderen chinesischen Autobauer das Robo-Fahren ziemlich ambitioniert verfolgt, ist klar, dass das Level 4 nicht im Hauruckverfahren zu erreichen ist. Deshalb bildet diese Sensortechnologie die Grundlage für ein breites Arsenal an Assistenzsystemen, die Level 2++ ermöglichen soll. Vor allem in Verbindung mit der von Xpeng selbst entwickelten XOS 5.4 Plattform sollen grundlegende autonome Fahrmanöver wie zum Beispiel einen Spurwechsel ermöglicht werden.

Ein autonom fahrendes Fahrzeug von Xpeng auf einer städtischen Straße, umgeben von einem halbtransparenten, bläulichen Visualisierungsnetz, das die Erfassungsbereiche der Kameras und Sensoren des AI Hawkeye Visual Systems darstellt.
Xpengs AI Hawkeye Visual Solution mit 360-Grad-Umfelderfassung soll sicheres Fahren bei jedem Wetter ermöglichen. (Bild: Xpeng)

Full Stack Strategien bei Nio und BYD

Einen ähnlichen Plan verfolgt Nio mit seinem Full-Stack-Konzept bei dem die Eigenkompetenz in zwölf Bereichen aufgebaut werden soll. Darunter das autonome Fahren und die dementsprechenden Assistenzsysteme. Der NX9031-Chip stammt aus der hauseigenen Siliziumküche und soll ebenfalls in der Lage sein, die immense Datenflut, die bei den autonomen Fahrfunktionen anfällt, zu bewältigen. Das erste Fahrzeug, das mit dieser Architektur ausgestattet ist, ist das Premium-Flaggschiff Nio ET9, das auf der Auto China in Shanghai steht und mit einem Steer-by-Wire-System ausgestattet ist, das vom deutschen Zulieferer ZF stammt und eine wichtige Voraussetzung für autonomes Fahren ist.

BYD treibt ebenfalls eigene ADAS-Systeme voran. Allerdings rollt Chinas Nummer eins bei der Elektromobilität die Fahrassistenzsysteme unter der pathetischen Bezeichnung „God’s Eye“ (das Auge Gottes) je nach Fahrzeugsegment in unterschiedlichen Konfigurationen aus. Während bei der Basisvariante („God’s Eye C) insgesamt zwölf Kameras und ebenso viele Ultraschallsensoren mit dem DiPilot-100-Prozessor (maximale Rechenleistung 100 TOPS) kombiniert, sind es bei der B-Ausbaustufe schon 300 TOPS (DiPilot 300) sowie ein Lidar-Element. Diese Ausstattung ist für Denza vorgesehen. Die A-Version hat gleich drei Lidars verbaut und mit 600-Tops den leistungsstärksten Computer. Luxus-Mobile wie der Yangwang U8L, der ebenfalls auf der Messe steht, werden diese Technologie bieten. Dass BYD KI in Kombination mit Daten aus der Cloud nutzt, versteht sich von selbst.

Wandel der Fahrzeugarchitekturen bei Nio

Mittendrin statt nur dabei lautet das Motto von Nio, wenn es um das Infotainment beziehungsweise UX geht. Noch vor einem Jahr schien dem Bildschirm-Wucher in chinesischen Fahrzeugen keine Grenzen gesetzt zu sein. Doch nun findet ein Paradigmenwechsel statt. Ein schmales Displayband zieht sich beim Nio ET9 quer über das Armaturenbrett und der 5D PanoCinema-Modus hebt das Betrachten von Filmen und Rennspiele auf eine neue Stufe. Das Auto bewegt sich dank des hydraulischen Fahrwerks mit den Szenen auf dem 15,6-Zoll-Bildschirm mit und wenn nötig, bläst die Klimaanlage Gegenwind ins Gesicht. Praktikabilität bleibt nach wie vor wichtig und das Auto soll zu einem zweiten Wohnzimmer mutieren. Das können die Hersteller nicht alleine stemmen. Deswegen hat Nio die Vehicle API (Application Programming Interface) eingeführt. Diese Schnittstelle ermögliche eine nahtlose Interaktion zwischen den Fahrzeugen und Software-Anwendungen von Drittanbietern.

Das Thema KI und die Interaktion des Fahrers mit Chatbots spielen natürlich auch in China eine immer größere Rolle. XPeng will auf dieser Welle ebenfalls weit oben reiten und hat mit Aios ein intelligentes Cockpit in petto, in das umfangreiche GPT-Modelle integriert sind. Da das System kontinuierlich dazulernt und sich den Gewohnheiten des Fahrers anpasst, soll eine fast menschliche Interaktion entstehen. Die dafür nötige Rechenleistung kommt von zwei Turing-KI-Chips.

Innenraum eines Nio ET9 mit futuristischem Cockpitdesign, integriertem Panoramabildschirmband über das gesamte Armaturenbrett, zentralem Touchscreen und einer kleinen digitalen Figur auf dem Armaturenbrett, die als Sprachassistent dient.
Das digitale Cockpit im Nio ET9 bietet ein zentrales Touchdisplay und einen integrierten Sprachassistenten für ein personalisiertes und interaktives Nutzererlebnis. (Bild: Nio)

Chinesische Nutzerbedürfnisse rücken in den Fokus

Für ausländische Zulieferer wird es immer wichtiger, die Produkte auf die Vorlieben der chinesischen Autofahrer anzupassen. Die Hyundai-Tochter Mobis stellt ein Head-up-Display mit Augmented Reality vor, dessen virtuelle Projektion 70 Zoll misst und dessen Anzeigen auch bei grellem Licht gut sichtbar sind, selbst wenn der Fahrer eine Sonnenbrille trägt.

Continental verfolgt das Konzept weiter, bei dem Bedienelemente nur bei Bedarf sichtbar sind. Die „In2Visible Dachkonsole“ integriert die Dachelektronik nahtlos in Oberflächenmaterialien, die ein intelligentes Variantenmanagement der benötigten Funktionen ermöglichen. Das ist insofern von Bedeutung, dass die Funktionen des Daches immer vielfältiger werden. Angefangen von Schiebedächern bis hin zu Panorama-Glasdächern, die ganz oder teilweise abgedunkelt werden können. Continentals AD-Cockpit HPC integriert Cluster-, Infotainment- und ADAS-Funktionen auf einem einzigen System-on-Chip (SoC) und vollzieht damit einen Schritt hin zur vollständigen Domänenintegration.

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